Sicherheit deutscher Kernkraftwerke:Kurzschluss, Blitz und Flugzeugabsturz

Von den 17 verbleibenden Reaktoren in Deutschland entsprechen die acht ältesten nicht dem aktuellen Stand der Technik. Besonders vor Flugzeugabstürzen und Terrorangriffen warnen Kritiker. Auch vor Erdbeben sind die Reaktoren nicht sicher.

C. Schrader

Es war ein heißer Tag im Juli 2006, das Hoch Eilbertus sorgte für blauen Himmel. Im schwedischen Forsmark aber geschah etwas, das den Tag ins Geschichtsbuch hätte bringen können. Im Vattenfall-Kraftwerk Forsmark 1 an der Ostseeküste trennte ein Kurzschluss in einer Umspannstation den Reaktor vom Stromnetz. Er schaltete sich automatisch ab. Um die Nachwärme der nuklearen Kettenreaktion abzuführen, hätte ein Notkühlsystem anspringen sollen, doch zwei der vier Generatoren versagten. Wegen des Stromausfalls brauchte die Bedienungsmannschaft in der Leitwarte 23Minuten, um sich einen Überblick zu verschaffen und die fehlenden Generatoren per Hand zu starten. Nur sieben Minuten später, sagt der langjährige Chef der Konstruktionsabteilung von Vattenfall, Lars-Olov Höglund, wäre die Kernschmelze unausweichlich gewesen.

atomkraftwerke, deutschland

Die Atomkraftwerke in Deutschland und ihre Restlaufzeiten. Zum Vergrößern klicken Sie bitte in das Bild. Graphik: SZ.

Seine Einschätzung wurde von den Betreibern prompt zurückgewiesen, die später aber einräumten, der Zwischenfall sei ernster gewesen als zuerst angenommen. Auch ein "Verfall der Sicherheitskultur" wurde bemängelt, am Ende musste der Kraftwerkschef gehen. Deutsche Betreiber von Atommeilern, zu denen Vattenfall auch gehört, erklärten damals schnell, so ein Ereignis sei hierzulande undenkbar - genau wie sie es jetzt nach den Ereignissen in Japan tun.

Bei Schäden am Reaktorkühlkreislauf bei gleichzeitigem Stromausfall stehen nach Angaben des Deutschen Atomforums an deutschen Kernkraftwerken mehr Diesel-Notstromgeneratoren zur Verfügung als an den japanischen. Zudem verfügten hiesige Anlagen standardmäßig über Anschlüsse für mobile Stromgeneratoren, die alle für die Kühlung nötigen Aggregate versorgen könnten.

Doch der Vorfall in Schweden zeigt, dass weder Erdbeben noch Tsunamis nötig sind, um an den Rand einer nuklearen Katastrophe zu geraten. Es gibt unspektakuläre Auslöser für Stromausfälle in Kraftwerken - etwa Netzstörungen nach Blitzeinschlägen. Problematisch sei daran, dass ein Umschalten auf die kraftwerkseigene Notstromversorgung nicht immer reibungslos klappe, erklärt der Atomexperte der deutschen Sektion der Ärzteorganisation IPPNW, Henrik Paulitz. Andere Experten bemängeln, dass manche Meiler über wenig Kühlmittelreserven verfügten.

In Deutschland sind siebzehn Kernkraftwerke in Betrieb. Davon sind sieben bereits seit den 1970er Jahren am Netz. Zusammen mit dem Pannenreaktor Krümmel gehören sie zu zwei alten Baulinien, denen die Bundesregierung 2009 grundsätzlich schlechtere Sicherheitseigenschaften bescheinigte. Etliche ältere Anlagen, hieß es schon 2006, "entsprechen nicht dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik".

Das Sicherheitsniveau von 1975

Die acht älteren Reaktoren haben im Mittel jeden Monat ein meldepflichtiges Ereignis, auf sie entfallen das Gros aller Vorfälle, in denen Radioaktivität in die Umwelt freigesetzt wurde. Es handelt sich um die Reaktoren Brunsbüttel, Biblis, Philippsburg 1, Neckarwestheim 1, Krümmel, Isar 1 und Unterweser. "Etliche Kraftwerke laufen im Prinzip auf einem Sicherheitsniveau von 1975", sagt der Münchner Strahlenmediziner Edmund Lengfelder.

Atomkraftwerke in Deutschland

RWE-Atomkraftwerk Biblis in Südhessen (Archivfoto vom 06.04.2006, oben links), das Kernkraftwerk von Brokdorf (Archivfoto vom 01.05.2004, oben rechts), das Atomkraftwerk in Brunsbüttel (Archivfoto vom 23.07.2007, unten links) und das Kernkraftwerk Emsland in Lingen mit dem davor gelagerten Standort-Zwischenlager (Archivfoto vom 14.11.2002).

(Foto: dpa)

Besonders vor Flugzeugabstürzen und Terrorangriffen warnen Kritiker. Die Kuppeln der Reaktoren wurden teilweise nur für Sportflugzeuge oder die Jagdflieger der 1970er Jahre ausgelegt, aber nicht gegen den Aufprall einer Verkehrsmaschine oder den Brand von vielen Tonnen Kerosin. Nicht einmal vor Erdbeben sind deutsche Reaktoren sicher. Leichtere Erdstöße sind auch hierzulande in einigen Regionen denkbar.

Die Kernkraftwerke im baden-württembergischen Neckarwestheim oder im hessischen Biblis liegen in solchen Gebieten. Dort hält man nach Angaben von Experten inzwischen stärkere Erdstöße für möglich als bei der Planung und Genehmigung zugrunde gelegt wurden. "Unsere Kernkraftwerke sind nur so lange sicher, wie nichts passiert, was wir nicht erwartet haben", fasst Edmund Lengfelder zusammen.

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