Neutrino-Telegrafie:Die aufwendigste Kurzmitteilung der Welt

Physiker haben mit einem Strahl von Elementarteilchen eine Nachricht verschicken - durch 240 Meter Gestein hindurch.

Patrick Illinger

Es ist die aufwendigste Kurzmitteilung, die je verschickt wurde. Gemessen daran ist der Inhalt von erschreckender Belanglosigkeit. Er lautet: "Neutrino". Interessant jedoch ist der Weg, auf dem die als binärer Code verschickte Mitteilung übertragen wurde.

Weder Schall noch Funk dienten als Signalträger, sondern ein Strahl von Elementarteilchen, sogenannte Neutrinos, die durch 240 Meter Gestein hindurchgeschossen wurden.

Diese Partikel sind im gesamten Weltraum extrem häufig. Dabei reagieren sie jedoch nur selten mit anderer Materie. Neutrinos sind nicht elektrisch geladen, haben eine winzige Masse und können nahezu ungehindert ganze Galaxien, das Sonnensystem und auch die Erdkugel durchqueren, ohne in Erscheinung zu treten.

In nuklearen Prozessen spielen sie eine wichtige Rolle, insbesondere bei der Kernfusion. Daher strömen aus der Sonne permanent enorme Mengen Neutrinos in den Weltraum. In jeder Sekunde durchqueren Milliarden dieser geisterhaften Teilchen jeden Kubikzentimeter des menschlichen Körpers.

Umso erstaunlicher ist, dass es Elementarteilchenforschern gelungen ist, mit einem gepulsten Neutrinostrahl eine rudimentäre Nachricht sowohl zu versenden als auch zu empfangen.

Das Experiment hat eine Physikergruppe am Fermi-Lab, dem amerikanischen Elementarteilchenzentrum bei Chicago, durchgeführt. Um die Neutrinos zu erzeugen, wurden mit einem vier Kilometer umfassenden Ringbeschleuniger zunächst Wasserstoff-Atomkerne mit einem ähnlichen Takt auf einen Kohlenstoffblock geschossen wie früher Telegrafisten auf die Sendetaste drückten. Als Empfänger der Neutrino-SMS diente ein tonnenschwerer Teilchendetektor in einer Höhle 100 Meter unter dem Erdboden.

Neue physikalische Einsichten liefert das Experiment kaum. Doch zeigt es, wie gut moderne Teilchendetektoren funktionieren, indem sie einen Strahl dieser nur schwach wechselwirkenden Partikel aufspüren. Prinzipiell könnte ein Neutrinostrahl dazu dienen, um Nachrichten zwischen zwei beliebigen Punkten auf der Erde auszutauschen, ohne Kabel, Satelliten oder Funkwellen.

Die Kommunikation mit Neutrinos ist zwar ungleich komplizierter als sämtliche heute üblichen Übertragungstechniken. Doch könnte die Methode irgendwann einen strategischen Nutzen haben. U-Boote zum Beispiel sind in großer Tiefe kaum mit Funkwellen erreichbar.

Ließe sich die Neutrinotechnik miniaturisieren, so könnte man vom Meeresgrund aus quer durch das Erdinnere mit jedem beliebigen Ort auf der Welt kommunizieren. Und weil Neutrinos Himmelskörper nahezu ungehindert passieren, könnte ein Neutrinostrahl problemlos die Rückseite des Mondes erreichen.

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