Landwirtschaft:Geschäfte mit dem kleinen Geschäft

Was für eine Verschwendung: Bislang wird der Urin der Städter einfach weggespült. Mithilfe moderner Toilettentechnik könnten die enthaltenen Nährstoffe wieder als Dünger auf den Feldern landen.

Von Dierk Jensen

Vorbei am muckeligen Aufenthaltsraum des Toiletten-Reinigungspersonals führt eine Stahltreppe in den Untergrund. Kabel und Rohre überall, nackte Betonwände. Pumpen brummen. Während oben Passanten und Konsumenten auf der öffentlichen Toilette ihr Geschäft tätigen, befindet sich nur einige Stufen unterhalb der geschäftigen Hamburger Einkaufsmeile Mönckebergstraße eine revolutionäre Technik: Es ist eine Anlage, die ohne Einsatz von Wasser den anfallenden Urin zu Dünger aufbereitet. Dieser kann dann auf die Äcker zurückgeführt werden.

Der Gedanke, dass Stickstoffe und Phosphate aus der Stadt wieder in den ackerbaulichen Kreislauf gelangen könnten, beflügelt die Phantasien der Beteiligten. "Wir schaffen das Abwasser ab", sagt Ulrich Braun, Technikchef des Herstellers Intaqua AG, einer Ausgründung der Universität Hamburg. Er zeigt einen weißen Behälter, in dem speziell gezüchtete Stickstoffbakterien den Urin nitrifizieren, der vorher von der festen Fraktion getrennt wurde. Innerhalb nur einer Stunde erledigen die Bakterien ihre Arbeit.

Diese Effizienz ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil so das Volumen der inzwischen marktreifen Anlage reduziert werden konnte. Nachdem die fleißigen Bakterien ihr Werk vollbracht haben, werden sie in einer sogenannten Ultrafiltration vom nitrifizierten Urin getrennt. Anschließend durchläuft die Flüssigkeit eine Nanofiltration, die Stickstoffe und Phosphate zurückhält sowie renitente Farbstoffe und problematische Medikamenten-Rückstände.

Pionieranlage bereits in Betrieb

In einer weiteren Etappe des Verfahrens folgt dann eine Vakuum-Verdampfung, bei welcher der behandelte Urin mit einer Temperatur von 200 Grad Celsius eingedampft wird. Am Ende bleiben die auskristallisierten Nährstoffe mit den Medikamentenrückständen übrig, die bei einer kurzen thermischen Oxidation von 350 Grad Celsius eliminiert werden.

Seit Anfang des Jahres ist diese Pionieranlage in Betrieb. Rund 350 Menschen nutzen die öffentlichen Toiletten täglich; sie verbrauchen nicht wie üblich sieben Liter pro Spülung, sondern kommen ganz ohne Wasser aus. "Unsere Technik ist nicht nur ökologisch geboten, sondern schon heute wirtschaftlich, wo Wasser extrem knapp ist", erklärt Braun - etwa auf Kreuzfahrtschiffen und Fähren, aber auch in Hotels und großen Ferienanlagen. Der Mikrobiologe verweist auf den enormen Wasserverbrauch, den der moderne Tourismus mit sich bringt: Rund 400 bis 500 Liter pro Tag verbraucht der erholungssuchende Europäer durchschnittlich.

Zudem entstehen durch die Aufbereitung menschlicher Geschäfte am Ende Nährstoffe, die zu hochwertigen Düngern verarbeitet werden können. "Wir werden versuchen, diese Nährstoffe in Zukunft zu vermarkten", sagt Thomas Wüstefeld, der als Geschäftsführer der Intaqua AG bemüht ist, das neue Verfahren am Markt zu platzieren. Er rechnet vor: "Ein Mensch scheidet pro Tag zwischen sechs und zehn Gramm reinen Stickstoff und etwas mehr als ein Gramm Phosphat aus. Allein am Ort unserer Pilotanlage fallen damit jährlich umgerechnet rund 0,7 Tonnen Phosphat und 4,6 Tonnen Stickstoff an." Würde das Verfahren überall in Hamburg etabliert sein, dann könnte man - kühn hochgerechnet - rund 10.000 Tonnen Stickstoff und 1500 Tonnen Phosphat gewinnen.

Großes Potenzial mit Fragezeichen

"Tatsächlich steckt in der Rückgewinnung von weltweit knapp werdendem Phosphor aus Sekundärrohstoffen wie Urin ein großes Potenzial. Dies ist auch in der Kombination mit Stickstoff durchaus sinnvoll", begrüßt Carsten Meyer, Bereichsleiter für Abwassertechnik am Stuttgarter Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft, den Ansatz der Hamburger. "Allerdings setze ich bei dem aufwendigen Verfahren noch ein Fragezeichen. Der Energieaufwand scheint mir hoch zu sein", wirft Meyer ein.

Ohnehin wird es noch eine Weile dauern, bevor der Dünger aus der Hamburger Innenstadt konzentriert auf die Felder norddeutscher Landwirte gelangt. Es fehlen die Geschäftspartner. Zudem ist noch nicht klar, ob die Phosphate und Stickstoffe mineralisch aufbereitet oder doch eher Komposten und anderen organischen Materialien zugeschlagen werden sollen. Obgleich Wüstefeld noch am Anfang eines professionellen Vertriebs steht, gibt er sich optimistisch. Nicht zuletzt aus dem Grund, weil das Phosphat eine knappe Ressource ist, deren dramatische Abnahme von Fachleuten seit Längerem kontrovers diskutiert wird.

"Wir bieten mit unserem System eine Option für die Rückgewinnung von Phosphat", so Wüstefeld. Zudem spart die Separierung der Stickstoffe nach dem neuen Verfahren viel Energie: Weniger Wasser und weniger Stickstoffe im Abwasser bedeuten einen geringeren Aufwand beim Klären.

"Verdammte Spültoiletten"

Im Büro von Ralf Otterpohl steht eine Toilette mitten im Raum. "Terra Preta Sanitation" steht drauf. Es ist ein Demonstrationsobjekt und zeigt, womit sich Otterpohl als Leiter des Instituts für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) seit vielen Jahren beschäftigt: mit häuslichen Abwässern. "Verdammte Spültoiletten", schimpft Otterpohl und wirbt für neue Methoden am stillen Örtchen. "Das ist ein wahnsinniger Luxus, den wir uns erlauben."

Der Ingenieur kritisiert nicht nur die Verschwendung von Trinkwasser, sondern auch von Energie. So geht Otterpohl davon aus, dass rund 50 Kilowattstunden pro Person und pro Jahr eingesetzt werden, um Stickstoff beim Klärprozess aus dem Abwasser herauszulösen. Dabei erschwere die Vermischung sowohl von Kot und Urin als auch verschiedener städtischer Abwässer aus Haushalten, Gewerbe, Industrie und Niederschlägen den Aufbereitungsprozess erheblich.

Deswegen favorisiert Otterpohl wasserfreie Toilettensysteme. Und genau deswegen setzt er so viele Hoffnungen auf das Intaqua-Pionierprojekt in der Hamburger Innenstadt. Er selbst sitzt für das Unternehmen im Aufsichtsrat und freut sich darüber, dass die Anlage im Gedärm der Großstadt von der Hamburger Umweltbehörde und Siemens finanziell unterstützt wird.

Dabei stellt Otterpohl mit Zufriedenheit fest, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für die Themen Abwasser und Nährstoffrückgewinnung deutlich zugenommen hat. Noch Anfang der 2000er-Jahre, als er für die Lübecker Neubausiedlung Flintenbreite eine Abwasseraufbereitung mit Vakuumtoiletten konzipierte, wurde er von den meisten Architekten, Städteplanern und Abfallwirtschaftlern belächelt.

Doch das hat sich deutlich geändert, seitdem die Folgen einer global dramatischen Urbanisierung, des Klimawandels und der Verarmung der Böden offensichtlich werden. So ist es wohl zu erklären, dass das städtische Wasserwerk Hamburg im geplanten Neubaugebiet Jenfelder Au ebenfalls mit neuartigen Unterdrucktoiletten Wasser und Strom sparen sowie Nährstoffe zurückgewinnen will.

Derweil hält Otterpohl den Nährstofftransfer von der Stadt zurück aufs Land für dringender denn je. Nur so lasse sich der Abfluss von Nährstoffen in die Meere der Welt verhindern. "Wenn es uns gelingt, die stoffliche Balance zwischen den Orten der Produktion und den Stätten des Konsums wiederherzustellen, dann können wir die überall auf der Welt zu verzeichnenden Negativtrends abmildern." Kontraproduktiv sei die weltweit unvermindert zu beobachtende Landflucht, stellt Otterpohl fest und verrät, dass er sich persönlich gegen diesen Trend entschieden hat: Er will seinen Ruhestand auf jeden Fall auf dem Land in einem landwirtschaftlichen Betrieb verbringen.

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