Kernenergie:Aufschwung der Atome

Die deutsche Kernkraft-Branche strotzt vor Selbstbewusstsein und erwartet eine Renaissance der Reaktortechnik - obwohl Deutschland doch den Ausstieg beschlossen hat.

Christopher Schrader

Die neue Rechtschreibreform der Nuklearindustrie umfasst vier Buchstaben. A-T-O-M darf man dort nun vor Wörter wie "Energie" oder "Kraftwerk" stellen, statt wie bisher nur K-E-R-N. Die Erlaubnis hat einer der Chef-Lobbyisten der Branche erteilt, Walter Hohlefelder.

Kernenergie: Die Nuklearindustrie erlaubt es sich selbst, das Wort Atomkraft wieder zu verwenden.

Die Nuklearindustrie erlaubt es sich selbst, das Wort Atomkraft wieder zu verwenden.

(Foto: Foto: dpa)

"Die meisten haben eben gezuckt, als ich den Begriff ,Atomkraftwerk' in den Mund genommen habe", sagte Hohlefelder zur Eröffnung der Jahrestagung Kerntechnik in der vergangenen Woche in Hamburg.

Er versteht die Lockerung als Abkehr vom Lagerdenken. "Heutzutage ist nicht jeder, der von Atomkraftwerken und Atomenergie spricht, aus ideologischen Gründen einer pragmatischen Diskussion nicht zugänglich."

Aus solchen Worten spricht das überschäumende Selbstbewusstsein der Branche. Zwar hat Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, aber viele andere Länder verschaffen der Technik eine Renaissance. Die USA, Großbritannien und Italien steigen wieder ein, Frankreich und Finnland bauen neue Reaktoren, in Asien wächst die Atomindustrie.

"Alle deutschen Firmen sind bis an die Grenzen ihrer Kapazität im Ausland aktiv", sagt Wolfgang Steinwarz, Geschäftsführer der Firma Siempelkamp, die unter anderem Castor-Behälter für Atommüll fertigt.

Die Lobbyisten erwarten, dass Deutschland die Restlaufzeiten seiner Kernkraftwerke nach der Bundestagswahl im Herbst 2009 verlängert. Sie hätten doch, wie jeder rational Denkende einsehen müsse, die besseren Argumente, sagen sie. Wenn nicht sogar die einzigen.

Aus dieser Position lässt sich leicht, und ziemlich gönnerhaft, ein Ende eines ideologischen Streits um die Kernkraft verkünden. Die Präfixe "Atom-" und "Kern-" sind ein zentrales Symbol dafür. Für Befürworter der Nukleartechnik war bislang nur "Kernkraftwerk" akzeptabel, denn der Reaktor nutzt Energie aus den Kernen von Atomen. Kohlemeiler oder Gaskraftwerke gewinnen Strom aus Vorgängen in der Hülle der Atome.

Entscheidender war aber stets die Entscheidung von Gegnern der Technik, auf die Vorsilben "Atom-" zu bestehen. Nicht nur skandiert sich "Ah-Kah-Weh-Nee" flüssiger. Die Bürgerinitiativen gegen Reaktoren in den 1970er-Jahren konnten so nahtlos an den Widerstand gegen die Atombomben-Bewaffnung der Bundeswehr in den 1950ern anknüpfen.

Damals war das Präfix "Atom-" allerdings noch nicht ideologisch besetzt, da war Franz-Josef Strauß Bundesminister für Atomfragen und Walter Hohlefelders Atomforum wurde gegründet. Die Technikeuphorie der Wirtschaftswunderzeit würden die Kerntechniker mit ihrer Rechtschreibreform nun gern wiederbeleben. Die Redner am ersten Tag des Kongresses nahmen daher Hohlefelders Diktum gerne auf.

Den leisen Protest vor dem Kongresszentrum CCH konnten sie getrost ignorieren. Ein paar Dutzend Demonstranten protestierten dort gegen Endlager und Castor-Transporte. In den Pausen zwischen den Vorträgen standen die Kerntechniker vor dem Eingang und blickten milde auf die jungen Leute.

Schecks für Jung-Ingenieure

Kaum etwas unterstreicht die optimistische Stimmung der Nuklearbranche besser als der Erfolg ihrer Nachwuchsarbeit. Jahrelang klagten Kernkraftfreunde über den Mangel an Studenten, die sich auf Reaktortechnik spezialisieren. In Aachen zum Beispiel fand die Vorlesung dazu gelegentlich vor drei Studenten statt, berichten Kenner.

Selbst erklärte Gegner der Technik wie Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe empfanden den Mangel als Krise: Schließlich brauche es Fachleute für Kerntechnik auch beim Abriss von Reaktoren, da sei für mindestens eine Generation von Fachleuten genug zu tun.

Inzwischen machen jedes Jahr etwa 100 Reaktor-Ingenieure und sonstige Fachleute ihr Examen, sagt Siempelkamp-Chef Steinwarz. Damit ließen sich Lücken schließen, für den großen Boom reiche es aber immer noch nicht. "Die Leute werden gehegt und gepflegt, und alle bekommen gute Jobs in der Industrie."

Auch Cora Fischer, bis vor kurzem Sprecherin der Nachwuchsorganisation "Junge Generation", sagte auf dem Kongress: "Der Aufschwung kommt nicht, er ist bereits da." Noch keine 30 Jahre alt, bekundet sie dieselbe Verwunderung wie die Granden ihrer Branche: Wie könne sich Deutschland rationalen Argumenten für die Kernkraft derart verschließen? Fischer arbeitet inzwischen für den Reaktorbauer Areva in Frankreich, wo es solchen Widerstand kaum gibt.

Aufschwung der Atome

Für andere Nachwuchskräfte organisiert Wolfgang Steinwarz seit zehn Jahren bei Jahrestagungen den "Workshop Kompetenzerhalt", auf dem junge Fachleute von ihren Dissertationen berichten.

Sogar einen Preis gibt es: Der diesjährige Sieger Stephan Kelm vom Forschungszentrum Jülich bekam 1000 Euro für seinen Vortrag über den Abbau von gefährlichem Wasserstoffgas in Reaktoren. Kelm findet Nukleartechnik faszinierend, seit er als Junge von seinem Vater, der in der Branche arbeitet, einen Bastelbogen für ein Kernkraftwerk bekommen hat.

Berührungsängste mit Atomenergie hatte auch keiner der anderen Teilnehmer an dem Workshop, obwohl etliche die Ablehnung der Kernkraft von Freunden oder in der Familie spüren. Bei Christoph Granzow, ebenfalls aus Jülich, zögert sogar die Mutter, Bekannten zu erläutern, was genau ihr Sohn in seiner Promotion macht.

Er selbst vermeidet Grundsatzgespräche über Nuklearfragen. Immerhin könnte er dabei sagen, dass sein Thema an der Schnittstelle mehrerer Technologien angesiedelt ist und er damit auch in die Elektronik- oder Autoindustrie gehen könnte. Eigentlich wünscht er sich einen Job in der Einsatzplanung eines Kraftwerksparks, aber er kann sich auf lukrative Angebote aus der Atomindustrie verlassen.

Als tragfähig wird sich die beschworene Renaissance der Kernkraft allerdings erst erweisen, wenn tatsächlich neue Reaktoren bei der Nuklearindustrie bestellt werden, warnte in Hamburg Areva-Chef Ulrich Gräber: "Der Aufschwung der Kernenergie resultiert aus einer Neubewertung durch die Politik", sagte er - nicht durch die Energieversorger, die Kernkraftwerke bezahlen müssen.

In diese Wunde legt vor allem Gerd Rosenkranz von der Umwelthilfe seinen Finger. "Es ist noch nie in einem deregulierten Strommarkt ein neues Kernkraftwerk gebaut worden. Alle halten die Hand auf, der Staat soll Subventionen geben oder Abnahmepreise garantieren." Wettbewerbsfähig ist die Technik auch nach 50Jahren nicht, heißt das.

Dem Optimismus der Kerntechniker widerspricht auch ein Detail vom zweiten Kongress-Tag. Die politischen Reden waren verklungen, die Demonstranten vor dem CCH verschwunden, die Arbeit zu den Fachthemen fing an. Im größten der Räume ging es vor hunderten von Zuhörern nicht um neue Reaktorkonzepte oder den Aufschwung in Asien.

Thema war die Stilllegung von Reaktoren und die mühsame Entsorgung ihres strahlenden Inventars. Es war eine Sitzung nach dem Motto: Der Letzte macht das Licht aus. Außerdem stand hier der Kern der Argumente auf dem Programm, die Atomenergie-Gegner benutzen. So ganz konnten ihnen die Nukleartechniker die Rationalität dann doch nicht absprechen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: