Insekten und Kunstgeschichte:Die Spur der Käfer

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Holzwürmer haben ihre Spuren in der Kunstgeschichte hinterlassen. Insektenforscher nutzen diese, um die Verbreitung verschiedener Arten in den vergangenen Jahrhunderten festzustellen.

Christian Weber

Blair Hedges von der Penn State University nutzt die Spuren von Holzwurmlöchern auf historischen Kunstdrucken. Löcher, die die Käfer in die Holzblöcke gebohrt haben, mit denen die Drucke hergestellt wurden, geben Auskunt über die Inseketenart. Wurmlöcher lassen sich auch auf diesem Druck von Cornelis Anthonisz (1541) als helle Punkte erkennen. (Foto: Rijksmuseum, Amsterdam)

Vielleicht erschließt sich nicht jedem Laien, wieso es dringlich sein sollte, zu rekonstruieren, wie diverse Holzwurmarten über die Jahrhunderte den europäischen Kontinent besiedelten. Doch auch sie könnten die methodische Eleganz bewundern, mit welcher der Biologe Blair Hedges von der amerikanischen Penn State University dieser Frage nachging. Er besorgte sich aus Bibliotheken und Archiven Kunstdrucke, die von Holzstöcken abgezogen worden waren und suchte auf ihnen nach den Spuren der Holzwürmer: kreisrunden, weißen Flächen.

Wie das Forscherteam um Hedges jetzt im Fachmagazin Biology Letters (online) berichtet, gelang es ihm mit diesem Ansatz und über eine lange Indizienkette zu klären, wie sich die Populationen von Gemeinen Nagekäfern und Südlichen Nagekäfern ab dem späten Mittelalter in Europa verteilten, wobei sie vorab einen weit verbreiteten Irrtum entkräfteten:

Die meisten sogenannten Wurmlöcher im Holz stammen gar nicht von den wurmähnlichen Larven, sondern von erwachsenen Insekten. Die Käfer legten ihre Eier in die Spalten und Risse des Holzes, wo sich die geschlüpften Larven dann drei bis vier Jahre von Zellulose ernähren. Erst nachdem sie sich verpuppt haben und sich dann als erwachsene Käfer aus dem Holz herausnagen, entstehen die typischen Gänge und die für jede Käferart charakteristischen Austrittslöcher, die sich auf den Holzdrucken wiederfinden.

"Wir sehen Wurmlöcher, die zu einem bestimmten Datum in der Geschichte entstanden", sagt Hedges. "Es sind fast perfekte, biologische Zeitmarken. Wenn gedruckte Wurmlöcher auf einen Druck erscheinen, der 1462 in Bamberg gemacht wurde, dann wissen wir, dass die Käfer, die diese Wurmlöcher im zugehörigen Holzblock gemacht haben, zu dieser Zeit in dieser Gegend gelebt haben müssen."

Holzwürmer bohren Gänge mit einem Durchmesser, der sich von Art zu Art unterscheiden kann. (Foto: S. Blair Hedges, Penn State Univ)

Aus diesem Grund vermaß Hedges mehr als 3000 Wurmlöcher-Prints aus Druckwerken, die zwischen 1462 und 1899 entstanden waren. Dabei fand er eine auffällige Verteilung. Bei Drucken aus England, den Niederlanden, Deutschland und Schweden waren die Löcher klein und rund und hatten durchschnittlich 1,43 Millimeter Durchmesser. In Portugal, Spanien, dem größten Teil Frankreichs und in Italien hingegen waren die Löcher durchschnittlich 2,3 Millimeter breit und zeigten einige Unregelmäßigkeiten in der Form.

Anhand dieser Spuren sowie Hinweisen auf die verwendeten Holzarten kam der Biologe dann zu seinem entscheidenden Befund. In den nördlichen Ländern lebten früher offensichtlich fast ausschließlich Vertreter der Gemeinen Nagekäfer, während in Südeuropa vor allem die Südlichen Nagekäfer am Werk waren. "Das ist überraschend, weil es bedeutet, dass die beiden Lebensräume eng aneinander grenzten, sich aber nicht überlappten", erklärt Hedges. Mittlerweile allerdings hätten sich die beiden Käferarten dank Reisen, Schiffstransporten und Möbelhandel über ganz Europa und die Welt verteilt, so dass die Methode für die Gegenwart nicht mehr taugt.

© SZ vom 21.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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