Geschenke der Pharmaindustrie:Bestechung schöngeredet

Nach der langen, harten Ausbildung - hat man es als Arzt nicht verdient, Geschenke und lukrative Angebote von Pharmaunternehmen anzunehmen? Manche Mediziner rechtfertigen so die Vorteilsannahme.

Wiebke Rögener

Wenn Ärzte ungeniert Geschenke der Pharmaindustrie annehmen, ist offenbar eine gute Portion Selbstmitleid mit im Spiel. Was hat man nicht alles auf sich genommen auf dem Weg zu Dr. med. und Facharzttitel: lange Nachtdienste, karge Bezahlung, womöglich gar Schulden gemacht, um die Ausbildung zu finanzieren.

Ärzte und Kliniken wollen Bestechung bekämpfen

Mal ist es ein Kaffeebecher mit dem Logo eines Pharmaunternehmens, mal das lukrative Honorar für einen Vortrag - manche Ärzte nehmen ungeniert Geschenke an.

(Foto: dpa)

Da darf man sich etwas gönnen, wenn ein Pharmavertreter mit Präsenten daherkommt oder ein lukratives Honorar für einen Vortrag bietet. Das jedenfalls legt eine Studie nahe, die an diesem Mittwoch im Fachblatt Journal of the American Medical Association erschienen ist (Bd.304, S.1204, 2010)

Mal ist es nur ein Kaffeebecher mit dem Logo einer Pharmafirma, mal die teure Konferenzreise an einen attraktiven Urlaubsort. Mit kleinen und großen Geschenken werben Pharmakonzerne um das Wohlwollen der verschreibenden Zunft.

Durchaus erfolgreich, wie viele Untersuchungen gezeigt haben. Wer etwas annimmt, und sei es nur eine Kleinigkeit, möchte sich - oft unbewusst - revanchieren. So ist er schneller bereit, statt eines preiswerten und altbewährten ein teures, neues Medikament zu verordnen.

Immerhin ist dieses Geben und Nehmen ins Gerede gekommen: Medizinische Fachgesellschaften wie das American Medical College raten Klinikärzten dringend von der Annahme aller Pharma-Geschenke ab.

In mehreren Ländern entstanden Zusammenschlüsse niedergelassener Ärzte, die keine Pharmareferenten in ihre Praxen lassen und keine Einladungen zu "Arbeitsessen" mit Industrievertretern annehmen. "Mein Essen zahl' ich selbst", kurz Mezis, heißt der Verein in Deutschland. Was aber bewegt Ärzte, die keine solchen Skrupel hegen?

Die Wahrnehmung, eine besonders anstrengende Ausbildung durchlaufen zu haben, rechtfertigt für viele Mediziner offensichtlich die Annahme von Vorteilen, zeigt die US-Studie. Sunita Sah und George Loewenstein von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh befragten online 300 junge Kinder- und Allgemeinärzte.

Gefragt wurde nach Erfahrungen während der Ausbildung: Wie viel Schlaf bekamen die Jungmediziner im Bereitschaftsdienst? Wie gut war ihre Bezahlung? Zum anderen sollten die Assistenzärzte beantworten, ob es zulässig sei, von der Pharmaindustrie Geschenke zu akzeptieren oder sich dafür bezahlen zu lassen, dass sie Patientendaten für Studien zulieferten.

Zudem wurde direkt gefragt, ob es wegen der harten Ausbildung gerechtfertigt sei, Zuwendungen der Industrie anzunehmen. Die Mehrheit der Befragten lehnte diese Argumentation zwar ab. Immerhin ein gutes Drittel aber stimmte der Aussage zu, schlechte Bezahlung und hohe Schulden, mit denen Ärzte ins Berufsleben starten, seien ein guter Grund, zum Ausgleich Geschenke der Pharmaindustrie anzunehmen.

Selbst diejenigen, die einen solchen Freibrief für Bestechlichkeit zurückwiesen, waren offenbar für die Argumente empfänglich. Die Bewertung der Pharmapräsente hing stark von der Reihenfolge ab, in der die Fragen gestellt wurden.

In der Gruppe, die zunächst nach den Beschwernissen ihrer Ausbildung befragt wurde, sagte fast jeder zweite Arzt, es sei in Ordnung, auch mal Geschenke anzunehmen. Erkundigten sich die Forscher hingegen zuerst danach, wie die Ärzte Zuwendungen der Arzneimittelhersteller beurteilten, fand nur jeder fünfte Befragte, Ärzte dürften diese akzeptieren.

Die Erinnerung an die entbehrungsreichen Lehrjahre erhöht offenbar die Bereitschaft, "zum Ausgleich" Vorteile anzunehmen, schlussfolgern Sah und Loewenstein. "Ich vermute, dass eine solche Befragung in Deutschland ähnlich ausgehen würde", sagt der Allgemeinarzt Eckhard Schreiber-Weber aus Bad Salzuflen, Mitglied des Vorstands von Mezis.

"Zwar gibt es in Deutschland keine Studien dazu. Aber unsere Erfahrung lässt den Schluss zu, dass eine subjektiv empfundene soziale Benachteiligung eine Rolle spielt, wenn Ärzte der Meinung sind, es sei kein Problem, Geschenke von der Pharmaindustrie zu erhalten."

Aus Gesprächen weiß Schreiber-Weber: "Die Kollegen empfinden das offenbar als gerechte Teilhabe am Profit der Pharmaindustrie." Sich selbst und anderen sagten die Mediziner dann: "Wo wir so viel arbeiten und so viel in die Praxis investieren, ist es doch in Ordnung, dass wir es uns mal auf Kosten der Pharmaindustrie gutgehen lassen."

Diese Argumentation diene den Ärzten als moralische Rechtfertigung für ihr Verhalten, folgert er. Empfänglich für Avancen der Arzneimittelhersteller seien indes nicht nur Ärzte, deren wirtschaftliche Lage tatsächlich schwierig ist, betont Schreiber-Weber.

"Auch Ärzte, die sehr gut verdienen, lassen sich durch Zuwendungen manipulieren." Er hebt hervor: "Die US-Studie zeigt, wie wichtig psychologische Faktoren beim Pharma-Marketing sind, und wie leicht Ärzte sich beeinflussen lassen, oft ohne dass es ihnen bewusst wird."

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