Gefährliches Pflanzenschutzmittel:Pestizid schädigt das Gehirn Ungeborener

Die Belastung der Mutter durch das Insektizid Chlorpyrifos stellt ein Risiko für ihr Ungeborenes dar, warnen US-Forscher. Auch in Deutschland ist der Stoff noch zugelassen - ausgerechnet für den Kampf gegen Schädlinge im eigenen Haus und Garten.

Markus C. Schulte von Drach

US-Wissenschaftler warnen davor, dass ein auch in Deutschland noch zugelassenes Pflanzenschutzmittel bleibende Schäden im Gehirn von ungeborenen Kindern verursachen kann.

Gefährliches Pflanzenschutzmittel: Wissenschaftler der Columbia University in New York City haben mit Hilfe von Magnetresonanztomografie die Hirnentwicklung von Kindern untersucht, die vor der Geburt mit dem Pflanzenschutzwirkstoff Chlorpyrifos belastet waren.

Wissenschaftler der Columbia University in New York City haben mit Hilfe von Magnetresonanztomografie die Hirnentwicklung von Kindern untersucht, die vor der Geburt mit dem Pflanzenschutzwirkstoff Chlorpyrifos belastet waren.

(Foto: Columbia University)

Das Pestizid Chlorpyrifos greift den Forschern zufolge in die Entwicklung der Ungeborenen ein. Das gelte bereits für solche Mengen des Stoffes, die einer gewöhnlichen Belastung der Bevölkerung in den USA entsprechen, berichten Virgina Rauh von der Columbia University in New York City und ihre Kollegen.

In Deutschland ist Chlorpyrifos (CPF) in den Mitteln Garten-Loxiran und Nexion Neu, die für den Haus- und Kleingartenbereich vorgesehen sind, enthalten. Als wasserlösliches Pulver oder Granulat werden die Mittel gegen Rasenameisen und Fliegen eingesetzt, die verschiedene Gemüsearten befallen.

Die Substanz wurde 2005 in der EU bewertet, ihr Einsatz in Pflanzenschutzmitteln 2006 für zehn Jahre genehmigt. Die Zulassung für Loxiran und Nexion endet somit Ende 2015. Für etliche andere Mittel, mit denen insbesondere Ameisen bekämpft wurden, ist die Zulassung bereits abgelaufen.

Anders als in einigen anderen Ländern ist Chlorpyrifos in Deutschland auch im Weinbau nicht mehr zugelassen. In den vergangenen Jahren wurde dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zufolge in der Landwirtschaft aufgrund von akutem Schädlingsbefall - sogenannten Notfallsituationen - mehrmals die Genehmigung für den Einsatz von zwei Mitteln mit Chlorypifos und Chlorpyrifos-methyl genehmigt.

Bereits in früheren Studien hatte sich gezeigt, dass das Insektizid bei Tieren und auch Menschen einen negativen Einfluss auf die Hirnentwicklung zu haben scheint. Die US-Wissenschaftler haben nun 40 New Yorker Kinder über einen Zeitraum von der Geburt an bis zum sechsten Lebensjahr mit Hilfe der Magnetresonanztomografie untersucht. Einige Kinder beobachteten sie sogar, bis sie elf Jahre alt waren.

Die Zahl der Studienteilnehmer war zwar klein. Dafür konnten die Wissenschaftler aber bei ihnen den Einfluss anderer Belastungsfaktoren ausschließen. Die Forscher verglichen nur die Entwicklung von 20 Kindern, bei denen das Nabelschnurblut eine Konzentration von mehr als 4,39 Pikogramm CPF pro Gramm aufwies, mit 20 Kindern mit einer geringeren Belastung.

Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass bereits eine vorgeburtliche Belastung durch CPF, wie sie im Alltag auftreten kann, messbare Effekte auf die Hirnstruktur der Kinder hatte, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt PNAS. "Wir beobachteten im Zusammenhang mit höherer vorgeburtlicher CPF-Belastung deutliche Abweichungen in der Morphologie der Oberfläche des Gehirns." Darüber hinaus hätten sie Hinweise auf schädliche Effekte auf die allgemeine Denkfähigkeit und den Intelligenzquotienten beobachtet.

Die Gefahr ist schon seit Jahren bekannt

Bereits 2010 hatten die Mediziner der Columbia University festgestellt, dass eine verzögerte geistige Entwicklung von Kleinkindern in Familien mit geringem Einkommen in der South Bronx und im nördlichen Manhattan mit Pestiziden wie Chlorpyrifos zusammenzuhängen scheint, wie sie im American Journal of Public Health berichteten. In diesen Vierteln New Yorks war das Mittel häufig verwendet worden.

2011 veröffentlichten sie dann eine Studie im Journal Environmental Health Perspectives, der zufolge Kinder mit der höchsten Chlorpyrifos-Belastung mit sieben Jahren einen im Schnitt um fast drei Prozent niedrigeren IQ hatten als ihre am wenigsten belasteten Altersgenossen. In einem Test des Arbeitsgedächtnisses schnitten sie um mehr als fünf Prozent schlechter ab.

Zeitgleich veröffentlichten in dem Fachblatt Wissenschaftler der University of California in Berkeley eine ähnliche Untersuchung an Kindern mit Belastung durch Insektizide wie CPF in der landwirtschaftlich geprägten Stadt Salinas in Kalifornien. Kinder mit der höchsten vorgeburtlichen Belastung durch die Pestizide erreichten dort im Vergleich zu dem am wenigsten belasteten Nachwuchs sogar sieben IQ-Punkte weniger.

Obwohl die aktuelle Studie relativ klein ist, sind die Fachleute überzeugt davon, dass ihre Ergebnisse relevant sind. Sie zeigen ihrer Meinung nach, dass die Folgen der CPF-Belastung im Bauch der Mutter sich langfristig auswirken - mindestens bis in die ersten Schuljahre. Damit bestätigen ihre Untersuchung die Ergebnisse von Tierversuchen.

Die Verwendung von CPF durch private Haushalte ist in den USA seit 2001 verboten. "Doch der Einsatz in der Landwirtschaft geht unvermindert weiter. Viele schwangere Frauen und Kleinkinder sind deshalb weiterhin hohen Belastungen durch CPF ausgesetzt, möglicherweise sogar stärker als jene in unserer Studie, während die Bevölkerung insgesamt weiterhin kleinere Mengen CPF als Rückstände auf landwirtschaftlichen Produkten aufnimmt". Dafür spricht auch die Untersuchung von Proben aus einer Blutbank in Cincinnati: Die Kinder dort waren noch deutlich höher belastet als ihre Altersgenossen in New York.

Die gegenwärtigen Grenzwerte für CPF basieren "fast sicher" auf falschen Annahmen bezüglich der Wirkung des Giftes als Cholinesterase-Hemmer, warnen die Wissenschaftler. Deshalb "könnten sie unzureichend sein, um die Hirnentwicklung von Kindern, die dem Stoff ausgesetzt sind, zu schützen."

Die beiden in Deutschland für den Haus- und Kleingartenbereich zugelassenen Mittel erfüllen "die Bestimmungen der EU und alle gesetzlichen Anforderungen", heißt es im BVL. "Sie erfüllen auch die zusätzlichen Kriterien für den Haus- und Kleingartenbereich. Unter diesen Umständen hat das BVL die Zulassung bewilligt."

Vor dem Hintergrund der Studien dürften viele Verbraucher das aber wohl kritisch sehen. Hersteller von Pflanzenschutzmitteln wie Dow AgroSciences dagegen kritisieren, die Studien der Columbia University seien zu klein, um aussagekräftig zu sein, und was die Wissenschaftler beobachtet hätten, "wurde wahrscheinlich nicht durch Chlorpyrifos verursacht".

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