Finanzkrise:Rabatt im Hirn

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Der Finanzcrash ist kein Wunder: Menschen sind einfach nicht dafür gemacht, mit Geld umzugehen.

Patrick Illinger

Die menschliche Phantasie hat schon bemerkenswerte Kreaturen ersonnen: Dr. Mabuse, Superman, Darth Vader oder Hannibal Lecter. Alle haben sie besondere Fähigkeiten und Macht. Doch das mächtigste all dieser fiktiven Wesen ist der Homo oeconomicus.

Der ganze Irrsinn beginnt schon im Supermarkt. (Foto: Foto: AP)

Ausgestattet mit übermenschlichen mathematischen Fähigkeiten sind seine Entscheidungen stets von bestechender Logik. Niemals lässt sich der Homo oeconomicus launisch zu einer Eskapade hinreißen. Und er beherrscht die Weltwirtschaft. Als stets rational handelnder Marktteilnehmer bildet der Homo oeconomicus das Fundament der modernen Ökonomie. Das einzige Problem ist: Mit realen Gegebenheiten hat er nichts zu tun.

Er ist nur eine Wunschvorstellung von Ökonomen, damit die komplizierte Welt von Geld, Gütern und Dienstleistungen nicht auch noch mit den Niederungen menschlicher Unzulänglichkeit belastet wird. Eigentlich wissen auch Wirtschaftsforscher, dass der Mensch fast nie rational ist. Wer nach Erklärungen für das globale Finanzchaos sucht, sollte daher nicht nur in der Welt von Mortgage-Bonds und Knockout-Zertifikaten stöbern.

"Viele Probleme des realen Lebens kommen von unserer Unfähigkeit mit Geld umzugehen", sagt der Verhaltensökonom Dan Ariely von der Duke University, "Geld ist ein abstraktes Konzept, das wir Menschen nicht verstehen."

Der ganze Irrsinn beginnt schon im Supermarkt. Wenn die Wege zwischen den Regalen im Uhrzeigersinn zur Kasse führen, geben die Kunden 14 Prozent mehr Geld aus. Menschen im Kaufladen haben einen Rechtsdrall, eine Eigenart, die dem Homo oeconomicus absolut fremd ist.

Auch der "Popo-Wisch-Effekt" ist so eine menschliche Eigenart. Wenn Kunden in der Enge vor einem Warenständer versehentlich von anderen Kunden am Hinterteil gestreift werden, brechen sie ihre Entscheidungsfindung sofort ab. Oder das Marmeladen-Experiment: Kunden, denen man 24 Marmeladensorten zur Auswahl anbietet, kaufen eindeutig weniger als wenn nur sechs Marken zur Auswahl stehen. Der Homo oeconomicus müsste - mehr Angebot, mehr Umsatz - eigentlich das Gegenteil tun.

Klassische Ökonomen sehen in solchen Erkenntnissen gern vernachlässigbare Macken des Menschen. Doch mehr und mehr erkennen Wirtschaftswissenschaftler, dass sich hier ein neues Forschungsfeld auftut. 2002 gab es dafür den ersten Nobelpreis. Daniel Kahneman und Vernon Smith wurden ausgezeichnet, weil sie psychologische Erkenntnisse in das ökonomische Geschehen einflochten.

Auch Hirnforscher entdecken bizarre Wechselwirkungen zwischen Geld und Mensch. So bringen zum Beispiel Rabatte Hirnareale in Wallung, die auch von Kokain angesprochen werden. Gratis-Angebote können gar rauschartige Zustände auslösen. In vielen Situationen reagieren hirngeschädigte Menschen vernünftiger als Gesunde. In Experimenten schrecken Menschen vor einem Münzwurf-Spiel zurück, auch wenn sie mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit 1,50 Dollar gewinnen und nur einen Dollar verlieren können. Logisch gesehen ist das ein Fehler, den Menschen vermeiden, deren Angstzentrum im Gehirn beschädigt ist.

Wie viel sind zehn Euro wert?

Das Gegenteil passiert beim Lotto, wo klar ist, dass nur 50 Prozent des eingezahlten Geldes wieder ausgezahlt werden. Erstaunlich dabei ist auch, was der Neuroökonom George Loewenstein von der Carnegie Mellon Universität herausgefunden hat. Bei fingierten Straßenumfragen bat er Probanden, ihr Jahreseinkommen auf einer Skala anzugeben. Diese begann in einem Fall mit der Angabe "unter 100.000 Dollar" und führte in großen Schritten nach oben, was bei den Probanden ein Gefühl von Armut erzeugte.

Andere Teilnehmer bekamen Bögen, auf denen die Einkommensfrage von Null in 10.000-Dollar-Schritten aufwärts führte. Als den Probanden als Dank für ihre Zeit ein Geldbetrag oder alternativ ein bezahlter Lotterieschein angeboten wurde, entschied sich die frustrierte Gruppe doppelt so häufig für den Wettschein.

George Loewenstein hat auch die Wirkung von Kreditkarten auf das Kaufverhalten erforscht und kommt zu erschreckenden Ergebnissen. Das Plastikgeld verlockt viele Menschen zu Einkäufen, die sie mit realem Geld nicht machen würden. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie sich die Entfremdung vom realen Geld bei Investmentbankern noch potenziert, wenn sie mit Mausklicks und verschachtelten Wertpapieren handeln.

Erstaunliches bringt auch das Ultimatum-Experiment zutage, ein Klassiker der ökonomischen Spieltheorie. Dabei bekommen Probanden Geld mit der Anweisung, einem Spielpartner einen Teil davon anzubieten. Akzeptiert der Partner den Betrag, so werden beide Anteile ausbezahlt. Lehnt er ab, bekommen beide nichts. Bei diesem Spiel geschieht es oft, dass der zweite Spieler ein als unfair empfundenes Angebot ablehnt, obwohl er sich dadurch selbst schadet. Die Strafe für den anderen ist offenbar wertvoller als der dadurch entgangene Gewinn. Menschen in allen Teilen der Welt reagieren dabei ähnlich, berichtete das Magazin Science im vergangenen Jahr.

Alan Sanfey und seine Kollegen von der Princeton University haben Ultimatum-Spieler sogar im Kernspin-Tomographen durchleuchtet. Sie entdeckten, dass ein als unfair empfundenes Angebot die Neuronen von Gefühlszentren anfeuerte. Einem Computer als Gegenspieler sind Menschen weniger böse: Die emotionalen Zentren im Hirn reagieren schwächer, wenn ein Elektronenhirn eine unfaire Teilung vorschlägt.

Der Kontext bestimmt den Wert

Faszinierend ist auch das Diktat der Relativität. Zehn Euro können einen völlig anderen Wert darstellen, je nach Kontext. Einen Zehn-Euro-Rabatt auf einen teuren Küchenschrank empfinden die meisten Menschen als Affront, während ein um zehn Euro reduzierter Pullover gern gekauft wird. Oder andersherum: Wer beim Kauf eines 400 Euro teuren Anzugs erfährt, dass es das gleiche Modell in einem 15 Minuten entfernten Laden für 390 Euro gibt, wird meist nicht weiterziehen. Eine 20 Euro teure DVD würde kaum ein Kunde kaufen, wenn er erfährt, dass sie 15 Minuten entfernt zehn Euro kostet.

Waren oder Dienstleistungen haben praktisch nie einen objektiv korrekten Wert. Das kann sich jeder vor Augen führen, der schon mit dem Handy SMS-Nachrichten verschickt hat. Für 160 Zeichen Text werden gern 20, 30 Cent oder mehr bezahlt. Doch was wäre, sollten Internet-Dienstleister plötzlich einen einzigen Cent pro E-Mail verlangen? Weltweite Proteste wären die Folge.

Preise sind eine Gefühlssache. Anbieter neuer Produkte wissen das und bieten daher oft Versionen an: eine billige, eine mittlere und eine teure. Die obere und untere Preisgrenze der Produktversionen gibt das Gefühl, den Wert der Ware einschätzen zu können, auch wenn mitunter die Preise aller drei Versionen völlig willkürlich sind. Den neuen Apple iPod touch zum Beispiel gibt es je nach Speicherplatz für 219, 279 und 379 Euro. Nun raten Sie mal, welche Version am meisten gekauft wird.

Auch wenn es um Gewinne geht, regiert oft das Gefühl. Menschen wählen lieber kleine, schnell erreichbare Vorteile, als auf eine größere Belohnung zu warten. US-Hirnforscher boten Studenten Buchgutscheine an. Deren Wert lag entweder bei fünf Dollar, wenn sie am selben Tag eingelöst werden, oder bei 40 Dollar, dann jedoch mit einer Wartezeit von einigen Wochen. In einem Kernspin-Tomographen zeigte sich, wie das limbische System aktiv wurde bei denjenigen, die sich für das schnelle Geld entschieden. Hirnbereiche, die eher nüchtern kalkulieren, wurden von diesem Gefühlszentrum übertrumpft.

Besonders krass zeigt sich der Konflikt zwischen Psyche und Logik beim Endowment-Effekt. Jeder Mensch neigt dazu, Dinge aus dem eigenen Besitz wertvoller einzuschätzen als fremde Güter. Daniel Ariely beschreibt in seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch "Denken hilft zwar, nützt aber nichts" ein Experiment mit Studenten, die großes Interesse an einem Basketballspiel bewiesen hatten, indem sie eine Nacht lang für Eintrittskarten schlangestanden. Manche von ihnen waren leer ausgegangen. Ariely bot nun einerseits den Enttäuschten nachträglich ein Ticket an und machte denjenigen, die eine Karte hatten, das Angebot sie abzukaufen.

Die leer ausgegangenen Studenten boten im Mittel 175 Dollar für ein Ticket an. Die Ticket-Besitzer aber verlangten durchschnittlich das 14-fache: 2400 Dollar. Dabei ging es um ein und dasselbe Basketballspiel. Das Überbewerten des eigenen Besitzes nennen Ökonomen den "Endowment-Effekt". Längst ist klar, dass dieses Phänomen nicht nur Flohmärkte beherrscht, sondern auch die Hochfinanz. Sogar abgefeimte Fondsmanager trennen sich nur schwer von einmal erworbenen Wertpapieren, besonders, wenn diese mit Verlust verkauft werden müssten.

Erstaunlich ist auch, wie stur die Menschen selbst dann sind, wenn man ihnen die Zusammenhänge vor Augen führt und etwa Experimente wiederholt. "Was einen umhaut ist, wie wenig Menschen lernen", sagt der Nobelpreisträger Daniel Kahneman.

© SZ vom 25.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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