Bemannte Raumfahrt:Umsonst ins All

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Das Raketenflugzeug "Lynx" wird für suborbitale Raketenflüge entwickelt (Foto: Xcor Aerospace)

Viele Menschen träumen von einem Flug ins All, doch die Voraussetzungen erfüllen nur wenige. Eine Stiftung in den USA bietet nun einigen Laien kostenlose Raumflüge an.

Von Christoph Behrens

Der Weltraum ist eine ungeheure Angelegenheit. Unendlich groß, unverstanden im Bauplan, unglaublich schwer zu erreichen. Und unmöglich teuer - mehr als 50 Millionen Dollar kostet es die USA, einen einzigen Menschen auf dem derzeit einzig möglichen Weg in den Orbit zu schicken: mit einer russischen Kapsel. Für ein Ticket ins All muss man also Astronaut sein oder astronomisch reich. Oder man kennt einen Mann namens Edward Wright.

Der Texaner hat zehn Suborbitalflüge der Firma Xcor Aerospace gekauft und mit einer Million Dollar Spendengeld finanziert. Das für die Reisen vorgesehene wiederverwendbare Raumschiff Lynx wird zwar gerade erst gebaut, doch Wright sucht bereits jetzt Co-Piloten, die mitfliegen wollen, kostenlos. " Citizens in Space" nennt er das, Bürger im Weltraum.

"Wir suchen die unterschiedlichsten Leute, Lehrer, Studenten, Bastler. Vielleicht jemand, der Science-Fiction-Bücher liest oder Star Trek schaut", erklärte Wright in dieser Woche dem staunenden Publikum des " Space Hacker Workshop" im kalifornischen Mountain View.

Die Teilnehmer erfuhren hier von dem Plan einer Art Bürgerraumfahrt. Der Ort ist gut gewählt, denn das "Hacker Dojo" ist ein Tummelplatz für abgedrehte Tüftler und Träumer. Im Inneren der Halle, auf halber Strecke zwischen dem Ames-Forschungszentrum der Nasa und dem Google-Hauptquartier, kurvt ein weißer Roboter auf zwei Rädern zwischen den mehr als hundert Teilnehmern, ein Student wandelt mit einer Virtual-Reality-Brille umher. "Wie ein Weltraum-Camp für Große", sagt die Teilnehmerin und Nasa-Astronautin Yvonne Cagle, "hoffentlich platzen keine Kinder rein und nehmen uns die Spielzeuge weg."

Wright trägt einen roten Mechanikeranzug mit aufgenähtem Texas-Stern, er spricht leise und wirkt schüchtern. Mit so viel Andrang hat er wohl nicht gerechnet. Fünf Startplätze ins All seien schon so gut wie vergeben, sagt er, meist an Profis aus Forschung oder Luftfahrt. Frühestens Anfang 2015 sollen sie abheben, finanziert von Spenden an Wrights gemeinnützige Organisation " US Rocket Academy".

Für die restlichen Plätze möchte der Texaner "Citizen Scientists" gewinnen, Bürger-Wissenschaftler, die ihm eine gute Idee für ein wissenschaftliches Experiment präsentieren. Im Zentrum der geplanten Missionen stehen nicht die Astronauten, sondern ihr Gepäck: An Bord der Lynx sollen bei jedem Start zehn selbstgebastelte Experimente an Bord sein und in der Schwerelosigkeit ablaufen. Dafür suchen sie jetzt nach Ideen aus der Tüftlerszene. "Das Weltall ist nicht mehr das exklusive Terrain von Nasa und Elite-Unis", glaubt Sean Casey, Direktor des Silicon Valley Space Center, das den "Space Hacker Workshop" organisiert hat.

Es ist so etwas wie Wissenschaft für Arme. Die Lynx fliegt nicht zum Mars oder Mond, sie umrundet nicht einmal die Erde. Gerade einmal viereinhalb Minuten lang soll das schnittige Schiff, das an ein verkleinertes Space Shuttle erinnert, die "Weltraum-Marke" von 100 Kilometern Höhe durchbrechen, einige Augenblicke in Schwerelosigkeit verharren um dann wieder zur Erde zu gleiten. Nach 30 Minuten ist die Reise schon vorbei.

Doch für die Forschung könnten diese vier Minuten Mikrogravitation von großem Nutzen sein: Man kann beobachten, wie Feststoffe in dieser Umgebung schmelzen und erstarren, oder neue Technologien auf ihre Weltraumtauglichkeit testen.

Ein Forscher möchte in 100 Kilometer Höhe sogenannte noctilucent clouds studieren, nachtleuchtende Eiskristallwolken, die möglicherweise mit dem Klimawandel zu tun haben. Ein 10.000-Dollar-Preis ist bei Citizens in Space speziell dafür ausgelobt, Mikroorganismen aus der Mesosphäre einzusammeln, einer der höchsten Schichten in denen noch Leben existieren kann.

"Die Mesosphäre könnte als eine Art Transportsystem für Krankheiten dienen", sagt Wright, "oder wegen der erhöhten Strahlung entwickeln sich dort vielleicht ganz neue Mutationen". Bislang wisse man nur, dass dort oben noch etwas lebt, aber nicht wie es sich verbreitet. Auch die Farbindustrie interessiert sich für diese Einzeller, weil sie UV-Licht-beständige Pigmente liefern könnten und somit Farben, die nicht in der Sonne verblassen.

Eine Bedingung gibt es für die Experimente: Ihr Design und sämtliche Daten müssen öffentlich gemacht werden. "In den großen Institutionen behalten die Wissenschaftler ihre Daten oft für sich, aus Angst von anderen ausgestochen zu werden", sagt Wright. Er verlangt daher einen Open-Source-Ansatz von den Bewerbern, auch um die Elite-Unis abzuschrecken.

Die Experimente selbst könnten dann hinter dem Cockpit in sogenannten Ardulabs ablaufen. Das sind durchsichtige Plastikwürfel mit zehn Zentimeter Kantenlänge, etwas Rechenpower und USB-Anschluss - die einfachste Variante eines solchen Miniatur-Laboratoriums kostet weniger als 2000 Dollar. Der Copilot an Bord könnte die Versuche dann während des Flugs starten und überwachen. Mit dieser Form der Low-Budget-Forschung will Wright auch der Nasa eins auswischen, die sich weigert, solche Versuche mit ins All zu nehmen.

"Wir bringen die Weltraum-Forschung in die Garage", verspricht Andrew Nelson, einer der Chefs von XCor Aerospace. Jetzt hängt alles von seinem 50-köpfigen Team ab, das die Lynx gerade auf dem Mojave Raumbahnhof in der kalifornischen Wüste zusammenschraubt. Gegen Ende des Jahres soll der wiederverwendbare Shuttle bereits die ersten Flugmanöver absolvieren. Er habe schon 270 Vorbestellungen für Flüge, sagt Nelson stolz, auch Konzerne und Regierungen seien darunter. Zum Vergleich: Bislang sind insgesamt nur rund 530 Menschen in den Weltraum gereist, die meisten von ihnen professionelle Astronauten.

Ob Nelsons Zeitplan zu halten ist, weiß derzeit aber niemand. Hauptkonkurrent Virgin Galactic arbeite bereits seit acht Jahren an seinem Flaggschiff SpaceShipTwo, gibt ein Nasa-Insider zu bedenken. Vor wenigen Tagen durchbrach das Schiff erstmals die Schallmauer, aber immer noch weit unter 100 Kilometer Höhe, die als Grenze zum All gelten.

"Die Herausforderung für private Weltraumunternehmen ist weniger die Technologie, sondern eher genügend Investoren mit langem Atem zu finden", sagt Analyst Richard David, der die private Raumfahrtszene für das Beratungsunternehmen NewSpace Global beobachtet. Der Wunsch, ins All zu reisen, werde jedoch weltweit zunehmen und die Preise für ein Ticket sinken lassen, schätzt David. "Die Kommerzialisierung des Weltraums bedeutet letztlich auch seine Demokratisierung."

© SZ vom 10.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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