Zypern-Debatte und Europas Zukunft:Genug der Hasardspiele

Zypern, EU, Nikosia, Finanzkrise

Demonstranten vor dem zyprischen Parlament in Nikosia. 

(Foto: dpa)

Den apokalyptischen Szenarien zum Trotz: Dass Zypern bankrottiert, ist ziemlich unwahrscheinlich. Es wird eine irgendwie überbrückende Lösung geben. Die EU funktioniert nicht schlecht mit ebenjenen - und auch das zyprische Mir-san-mir-Parlament will die Pleite vermeiden. Dennoch: Drei Lehren müssen aus der aktuellen Krise gezogen werden.

Ein Kommentar von Kurt Kister

So viel Europa wie seit der Euro-Krise war noch nie. Überall auf dem alten Kontinent beschäftigen sich viele Menschen mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft Europas - in erster Linie, weil die Gemeinschaftswährung letztlich eine Angleichung nationalstaatlicher Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik erzwingt. Europa betrifft seine Bürger wie nie zuvor. Die große politische Auseinandersetzung wird sich in den nächsten Jahren darum drehen, auf welchen Wegen und mit welchen Zielen die Angleichung geschieht.

Es wird scharfe Debatten geben, auch weil italienische Grillini, deutsche Euro-Skeptiker und französische Souveränitätssozialisten aufeinanderprallen. Dennoch: So wie sich in Europa die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West erledigt hat, wird sich auch das Staatenbund-Profil schärfen. Das dauert noch, vielleicht so lange, bis die Nationalstaats-Generation des 20. Jahrhunderts in den Ruhestand geht. Aber es wird kommen.

Deutschland, das Monster

Natürlich wird das schwierig. Die aktuelle Zypern-Debatte ist ein gutes Indiz dafür, wie wirkmächtig der alte Ballast im Streit um Europas Zukunft ist. Das beginnt mit der anachronistischen Teilung der Insel. Sie wird noch immer befeuert von griechischem und türkischem Nationalismus gleichermaßen. In der EU-Republik Zypern gibt man sich angesichts der zum großen Teil selbst verschuldeten Finanzkrise einem besonders scharfen Identitismus hin, der sich nicht nur wie üblich gegen die Türken richtet, sondern jetzt auch noch gegen Europa und das Monster Deutschland. Die einhellige Ablehnung des EU-Rettungsplans durch das Parlament in Nikosia war die mediterrane Version des bayerischen "Mir san mir", was allerdings ohne ökonomische Unterfütterung an Dummstolz grenzt.

Nun wird es entgegen der sehr gern beschworenen apokalyptischen Szenarien über letzte Tabus, Krisen-Eskalationen und dergleichen mehr vermutlich eine irgendwie überbrückende Lösung geben. Die EU funktioniert mit irgendwie überbrückenden Lösungen nicht schlecht. Kaum jemand in Brüssel, Berlin, Paris oder Nikosia selbst hat ein wirkliches Interesse daran, dass Zypern aus dem Euro oder gar der EU ausscheidet. Also wird man wohl einen Kompromiss finden aus europäischen Rettungsanstrengungen, EZB-Garantien, einer veränderten zyprischen Banken- und Anlegerbeteiligung und vielleicht sogar Krediten aus Russland oder anderswoher. Die Wahrscheinlichkeit, dass Zypern bankrottiert, ist ziemlich gering. Es würde vor allem die Zyprer und ihre Wirtschaft samt der ausländischen Anleger treffen. Dies will selbst ein Mir-san-mir-Parlament um fast jeden Preis vermeiden.

Ah, die Russen!

Natürlich geht das nicht ohne Rauchentwicklung ab, Fahnengeschwenke und dunkles Raunen in hundert Talkshows. Ein beliebtes Sujet ist die Warnung vor den möglicherweise kreditgebenden Russen. Ah, die Russen! Auch sie steigen auf aus dem wabernden Nebel der Ängste des 20. Jahrhunderts. Moskau könnte sich Einfluss auf Zypern erkaufen, gar einen Marinestützpunkt . . . Na und?

Wenn Wladimir Putin gerne für teures Geld graue Schiffe mit Flugkörpern ins Mittelmeer schicken will, soll er das tun. Weder wird dadurch sein semiautoritäres Staatssystem attraktiver, noch muss man auf Rhodos, in Bodrum oder Limassol fürchten, dass die Russen landen. Alle Russen, die da hinwollen, sind längst dort, zumal jene, die mithilfe des zyprischen Bankensystems ihre Kohle zu wahnsinnig günstigen Konditionen in Euro angelegt haben. Sollte Moskau den Zyprern Kredite geben, dann nicht, weil es "Zugang zum warmen Meer" haben möchte, sondern weil es jene Quellen retten möchte, an denen sich seine Staatsbürger zum Nachteil der EU, aber zum Vorteil Zyperns gelabt haben.

Lehren aus der Zypern-Krise

Zyperns Euro-Krise hat wenig mit dem unterschiedlichen ökonomischen Niveau in der EU zu tun, kaum etwas mit dem Merkelschen Sparverständnis und nichts mit Brüsseler Gängelung. Nationale Banken haben im Windschatten der Euro-Mitgliedschaft des Inselstaates Investoren lukrative Geldgeschäfte angeboten, die sich die Banken letztlich nicht leisten konnten und die jetzt den Staatshaushalt gefährden. Weil die europäische Integration noch nicht weit genug fortgeschritten ist, hat es der EU an Bewusstsein und Möglichkeiten gemangelt, solche Hasardspiele früher zu verhindern.

Aus der Zypern-Krise ist dreierlei zu lernen. Sie gefährdet Europa nicht. Sie muss gelöst werden unter deutlicher Beteiligung der Verursacher, also der zyprischen Banken sowie jener Anleger (nicht Sparer), die von diesem Geschäftsgebaren spürbar profitiert haben. Und schließlich: Europa muss stärker und sanktionsfähiger werden, auch und gerade wegen mancher Mir-san-mir-Staaten.

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