Zwischen den Zahlen:Überschätzt

Lake Wobegon ist nur eine kleine Fantasiestadt im mittleren Westen der USA. Aber den Lake-Wobegon-Effekt gibt es nicht nur dort - fast jeder hält sich für besser, als er ist. Auch die Deutschen haben ein überzogenes Bild von sich selbst.

Von Aloysius Widmann

Zu blöd, dass es Lake Wobegon gar nicht gibt, zumindest nicht außerhalb der Vorstellungen des amerikanischen Moderators und Schriftstellers Garrison Keillor. Denn die kleine Fantasiestadt im Mittleren Westen der USA klingt wie eine ziemlich perfekte Welt. Dort sind alle Frauen stark, alle Männer schön und alle Kinder hochbegabt, erzählt Keillor. Zumindest in den Augen der Einwohner von Lake Wobegon. Ganz anders sieht das die Psychologie, die den Namen der Stadt entlehnt hat und vom "Lake-Wobegon-Effekt" spricht. Sie meint damit, flapsig übersetzt, Größenwahn. Oder: "selbstwertdienliche Verzerrung".

Dass Selbstüberschätzung den Namen einer fiktiven Kleinstadt in Amerika bekommt, ist gar nicht so abwegig. Man verletzt keine Gefühle. Und außerdem ist der Lake-Wobegon-Effekt typisch amerikanisch, wie eine Studie der Umfrageplattform Qualtrics zeigt: Dort glauben besonders viele Menschen, viel produktiver zu arbeiten als ihre Kollegen - selbst wenn das gar nicht stimmt.

Woher kommt diese Selbstüberschätzung? Vielleicht steckt ein bisschen amerikanischer Traum dahinter, vielleicht auch ein wenig Weltmachtbewusstsein. Wie würden sich Amerikaner erst im Vergleich zu anderen Ländern einschätzen? Etwa zu Deutschland?

Das hängt davon ab, welches Bild sie von den Deutschen haben. Denn in Amerika gibt es ganz unterschiedliche Vorstellung davon, was "typical german" ist. Da ist zum einen der fußballsüchtige, bierbäuchige Deutsche, der seine Tage - völlig unproduktiv - mit Sauerkraut und Bratwurst im Wirtshaus zubringt, oder seinen Rausch auf der Bierbank unter dem Maibaum aussitzt. Da ist aber auch das Bild vom unnahbaren, ordnungsversessenen und überpünktlichen Deutschen, der nichts anderes tut, als ultraproduktiv seine Pflicht zu erfüllen.

Ein bisschen Wahrheit steckt in beidem: Spätestens seit der WM 2014 ist Deutschland fußballvernarrt. Und das mit der Pünktlichkeit nimmt man hierzulande auch sehr ernst. Aber was es mit Bier, Ordnungsliebe und Gemütlichkeit so auf sich hat, das sollten die Amerikaner lieber nicht von den Deutschen erfahren. Denn auch die haben nicht immer das treffendste Selbstbild. So glaubte man hierzulande lange, viel mehr zu schuften als in Griechenland, obwohl Griechen jedes Jahr über sechshundert Stunden mehr arbeiten als Deutsche, wie OECD-Zahlen zeigen.

Wie produktiv die Griechen dabei sind, ist eine andere Frage. Denn laut Qualtrics-Studie ist der Lake-Wobegon-Effekt bei den Griechen auch ganz schön groß. Denn die Hellenen halten sich für deutlich produktiver als sie eigentlich sind.

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