Zwischen den Zahlen:Kleine Tiere

Unternehmen fürchten den Protest der Verbraucher - egal, ob es sich um Billig-Shirts aus Bangladesch handelt oder um Sprudelmaschinen aus dem Westjordanland. In England dreht sich nun alles um den Dachs.

Von Björn Finke

Es wird heute so manches boykottiert, aus ganz unterschiedlichen Gründen und von ganz unterschiedlichen Gruppierungen. Die einen rufen dazu auf, Billigketten wie Primark oder Kik zu meiden, weil deren T-Shirts in armen Ländern von Näherinnen zu Hungerlöhnen gefertigt würden. Andere verdammen die Firma Sodastream, weil deren Blubbermaschinen unter anderem in einer der umstrittenen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten produziert werden. Starbucks wiederum wird von einigen geächtet, weil die Kaffeekette Gewinne trickreich in Steuerparadiese verschiebt. In Großbritannien nun treibt ein Thema viele Konsumenten zum Protest, das für Beobachter außerhalb des Königreichs auf den ersten Blick befremdlich wirkt: Es geht nicht um arme Frauen, unterdrückte Volksgruppen oder listige Steuerhinterzieher. Nein, es geht um Meles meles, den Dachs.

Starbucks-Rivale Caffè Nero teilte mit, künftig keine Milch mehr von Bauern aus jenen Regionen des Vereinigten Königreichs zu kaufen, in denen Dachse gejagt werden. Die Dachs-Schützer jubilieren und kündigen an, jetzt die Supermarkt-Kette Sainsbury's ins Visier zu nehmen, damit auch diese keine Milch mehr aus diesen Gegenden beziehe. Dabei handelt es sich, genauer gesagt, um zwei offiziell festgelegte Jagdzonen in den Grafschaften Somerset und Gloucestershire. Die Landwirte dort argumentieren, es sei nötig, den Bestand an Dachsen zu dezimieren, weil die putzigen Tiere Krankheiten auf Rinderherden übertragen.

Seit Jahren tobt ein heftiger Streit über das Thema, Parlamentarier und Ministerialbeamte widmen dem Schicksal dieser Tiere aus der Familie der Marder bemerkenswert viel ihrer vermutlich knappen Arbeitszeit. Einer der größten Dachs-Lobbyisten ist Brian May, promovierter Astrophysiker und früherer Gitarrist der Bombast-Band Queen. Mit seinen langen weißen Locken, oft gepaart mit schwarzen Hemden, passt er auch optisch gut zu seinen Schützlingen. Er ist vehementer Jagdgegner und veröffentlichte vor zwei Jahren sogar ein Lied, das zur Rettung der Dachse aufruft. Es soll auch kommerziell ein Erfolg gewesen sein.

Der Bauernverband reagiert empört auf Caffè Neros Milch-Bann. Die Entscheidung sei arrogant und ignorant - und daher sollten Landwirte nun Caffè Nero meiden, sagt ein Verbandsvertreter. Jetzt wird also zurückboykottiert im Kampf um die Dachse. Das Königreich kommt nicht zur Ruhe.

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