Zwischen den Zahlen:Dresscode

Früher ging der Mann im Anzug ins Büro. Heute soll er lässig sein. Das ist nicht immer einfach. Turnschuhe? Kapuzenpulli? Fragen wir mal Joschka Fischer.

Von Michael Kuntz

Es war deutlich im vorigen Jahrhundert, als ein Aufschrei durch die Medien ging. Der Grüne Joschka Fischer, heute auch schon 68 Jahre alt, leistete den Amtseid als Umweltminister im traditionell linken Hessen. Er trat dabei so lässig gekleidet auf, dass er in den Geschichtsbüchern nun immer noch als "Turnschuhminister" zu finden ist. Damals waren der gedeckte Anzug und die Krawatte die Berufskleidung nicht nur von Politikern. Ein Minister mit Turnschuhen, was 1985 noch für Aufruhr sorgte, es wirkt heute so banal, dass es niemanden interessiert.

Irgendwann schwappte aus Amerika der Trend zum "Casual Friday" in die deutschen Büros. Jeans und Polos ersetzten Anzüge und Oberhemden, Vorstände kamen auf einmal zu Pullover-Meetings zusammen. Heute ist in vielen Unternehmen, was die Kleidung anbelangt, schon der Montag ein Freitag. Start-up-Gründer tragen T-Shirts mit, haha, ultralustigen aufgedruckten Sprüchen. Etwa dem von Google-Gründer Larry Page: "Always deliver more than expected" - frei übersetzt: "Reiß Dir stets ein Bein aus". Wer das nicht gut findet, kann ja im grauen Konfirmandenanzug untertauchen.

Manche Personalmanager versuchen zunehmend erfolglos, sich gegen den Zeitgeist zu stemmen. Dann verschicken sie im Frühsommer humorlose Mails, wonach kurze Hosen am Arbeitsplatz vielleicht doch nicht das Richtige sind. Das kommt bei der Smart-Casual-Fraktion ungefähr so gut an, wie der Hinweis im Ferienhotel, wonach man doch bitte zum Essen im Restaurant mehr tragen möge als Badehose oder Bikini. So etwas wirkt schnell beleidigend, weil es ja nicht viele so arg treiben. Die meisten beschreiten den goldenen Mittelweg: Wer Smart Casual verinnerlicht hat, der kommt mit Sakko und gebügelter Hose gut durchs Leben, beruflich und privat. Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche zieht Turnschuhe an, wenn er mit Uber-Rüpel Travis Kalanick diskutiert oder vor seinen Aktionären öffentlich auftritt. Die guten Sitten ändern sich eben.

Übrigens auch den Turnschuhminister hat das Leben verändert. Während seiner Jahre als Außenminister reifte Joschka Fischer in Bekleidungsfragen zu jenem Staatsmann, der nach seiner aktiven Zeit als Politiker lässig, aber distinguiert auftrat im Wirtschaftsleben, als Berater von Establishment-Konzernen wie Siemens und BMW, RWE und OMV.

Erst Revolutionär, dann blank geputzte Lederschuhe - ist das der Trend? Jawohl. Angepasstheit im klassischen Sinn ist das neue Anderssein. Turnschuhe trägt ja heute jeder.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: