Zu viel Stress:Doping für den Job

Weil der Druck bei der Arbeit oft groß ist, nehmen immer mehr gesunde Menschen leistungsfördernde Mittel - und ignorieren die Gefahren.

Von Christoph Gurk

Wie sehr sich in den vergangenen Jahren die Arbeitswelt gewandelt hat, kann man sehen, wenn man sich die Suchtprobleme der Arbeitnehmer ansieht. Zwar ist Alkohol zusammen mit Zigaretten immer noch eine der Hauptabhängigkeiten, anders als früher ist der offene Konsum aber zunehmend geächtet. Wer zum Mittagessen zwei Bier trinkt und den Nachtisch mit einem Schnaps runterspült, erntet in der Kantine zumindest kritische Blicke. Alkoholismus am Arbeitsplatz geschieht heute meist im Verborgenen. Dagegen steigen die Akzeptanz und der Konsum leistungssteigernder Mittel in Deutschland rapide an.

In einer Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK gaben 2013 fünf Prozent der Arbeitnehmer an, in den letzten zwölf Monaten Medikamente zur Leistungssteigerung eingenommen zu haben. Und 2015 sorgte eine Studie für Aufsehen, nach der knapp drei Millionen Deutsche schon einmal verschreibungspflichtige Medikamente genutzt haben, um am Arbeitsplatz leistungsfähiger zu sein oder am Abend Stress abzubauen. Zu diesen Zahlen, schätzen Experten, kommt noch eine enorm hohe Dunkelziffer, denn leistungssteigernde Medikamente werden nicht nur akzeptiert, anders als Alkohol ist ihr Konsum für andere kaum feststellbar.

Heute schlucken auch Geringqualifizierte mit prekären Jobs leistungssteigernde Mittel

Das Doping fängt an bei Koffeintabletten und Ginkgo-Extrakten, geht dann aber schnell weiter zu Medikamenten wie Methylphenidat: Eigentlich ein Mittel gegen die Aufmerksamkeitsstörung ADHS, wirkt das als "Ritalin" verkaufte Medikament bei gesunden Menschen angeblich konzentrationsfördernd, zudem soll es Reaktionszeiten verkürzen. Ähnlich beliebt ist "Modafinil", ein Medikament gegen eine seltene Schlafkrankheit, das in Gehirn-Doping-Foren als "der ultimative Wachmacher" gefeiert wird. Zur Liste kommen außerdem Stimmungsaufheller für freundlichere Kundenkontakte, Betablocker gegen Stress und Angst oder auch Demenz-Medikamente, die beim Schnelldenken helfen sollen.

Verkauft werden dürfen die meisten dieser Stoffe in Deutschland nur auf Rezept. Meistens genügt aber schon eine einfache Google-Suche, schon landet man bei einem Internetshop mit Sitz in Osteuropa oder der Karibik. Hier gibt es die Pillen rezeptfrei im Angebot, verschickt wird auch nach Deutschland, ganz einfach mit Zahlung per Kreditkarte. Längst gehören die Pillen auch zum Repertoire der Drogendealer in deutschen Großstädten. Bei ihnen ließe sich im Zweifelsfall auch LSD kaufen: Im Silicon Valley experimentieren Tech-Entrepreneure gerade mit Kleinstmengen des Halluzinogens, um kreativer zu werden und fokussierter denken zu können.

Doch das Doping hat seinen Preis: Viele der Mittel führen zu psychischen Abhängigkeiten und manche haben gravierende Nebenwirkungen, von Asthma bis hin zu Krampfanfällen und Darmblutungen. Trotzdem scheinen Menschen dieses Risiko im Tausch für mehr Leistung im Beruf eingehen zu wollen. Längst sind das nicht nur Manager, Hirnchirurgen oder Hochgeschwindigkeitsbanker: In einer Studie der DAK gaben aus der Gruppe der Hochqualifizierten 5,1 Prozent an, Medikamente zur Leistungssteigerung zu nutzen. Bei Arbeitnehmern mit einfachen und unsicheren Jobs lag der Wert dagegen höher: 8,5 Prozent. Auch im Niedriglohnsektor ist der Druck heute enorm - viele greifen deshalb zu Tabletten.

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