Zigarettenverband löst sich auf:"Wir sind einen nervigen Lobbyisten losgeworden"

Die Selbstauflösung des Verbandes der Cigarettenindustrie ist von Gesundheits- und Verbraucherpolitikern mit großer Genugtuung aufgenommen worden. Die Selbstauflösung sei das Eingeständnis einer gescheiterten Strategie.

Robert Roßmann

"Wir sind damit einen nervigen Lobbyisten losgeworden", sagte die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestages, Martina Bunge (Linke), der Süddeutschen Zeitung (Samstagsausgabe).

"Die Zigarettenindustrie wird deshalb aber nicht zu Grunde gehen." Auch die Vorsitzende des Verbraucherausschusses, Ulrike Höfken (Grüne), zeigte sich zufrieden.

Höfken sagte der SZ, der Verband der Cigarettenindustrie (VdC) have "mit seinen Kampagnen und seiner massiven Einflussnahme dafür gesorgt, dass Millionen von Menschen in eine Drogenabhängigkeit geraten sind".

"An den Argumenten der Vernunft gescheitert"

Jetzt sei der "Lobbyverband an den Argumenten der Vernunft gescheitert". Damit würden "die Chancen für die Durchsetzung von Verbraucher- und Gesundheitsinteressen in Deutschland steigen".

Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen und langjährige Verbraucherministerin von Nordrhein-Westfalen, Bärbel Höhn, sagte der SZ, die Auflösung sei "für die Gesundheitspolitik in Deutschland ein gutes Zeichen".

Der VdC habe "lange die Fäden gegen einen umfassenden Nichtraucherschutz gezogen und mit fadenscheinigen Argumenten die Raucher der Berliner Regierungskoalition in Stellung gebracht". Die Selbstauflösung sei deshalb "auch das Eingeständnis einer gescheiterten Strategie".

"Den Geist der Zeit verkannt"

Der VdC habe "den Geist der Zeit verkannt und weiter auf eine Totalopposition gegen einen umfassenden Nichtraucherschutz gesetzt". Letztendlich sei er "so unter öffentlichen Beschuss gekommen, dass er komplett isoliert war".

Kein Politiker habe noch etwas mit dem VdC zu tun haben wollen. Für einen Lobbyverband sei das tödlich. Höhn war in der Debatte um Rauchverbote die verhementeste Kritikerin des VdC.

Der VdC hatte am Freitag vormittag seine Selbstauflösung bekanntgegeben. Auslöser für den in der deutschen Industrie ungewöhnlichen Vorgang war der Austritt des Branchenführers Philip Morris aus dem VdC.

Heftige Turbulenzen

Der Schritt des Marlboro-Herstellers hatte zu heftigen Turbulenzen in der Branche geführt. Der VdC galt bisher als einer der einflussreichsten Lobbyverbände. Der Verband vertrat bisher die Interessen einer Branche mit knapp 9000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von zusammen rund 20 Milliarden Euro (2006).

Die deutsche Philip-Morris-Tochter in München hatte Mitte Mai überraschend den Austritt aus dem Verband zum Jahresende mitgeteilt.

Zuvor hatte es Differenzen über die weitere Ausrichtung insbesondere im Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik und einem Tabakwerbeverbot gegeben.

"Scheinheilige Argumente"

Philip Morris fordert einen Schutz vor allem von Kindern und Jugendlichen und lehnt eine Ausdehnung des Tabakwerbeverbots nicht ab. Der VdC hatte dem Unternehmen daraufhin "scheinheilige Argumente" vorgeworfen.

Ohne den größten deutschen Hersteller vertritt der VdC sechs Unternehmen mit einem Marktanteil von zusammen 60 Prozent.

Dem VdC gehören noch die British American Tobacco (Germany) GmbH an, die Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH (beide Hamburg), die Gallaher Deutschland GmbH (Unterschleißheim), JT International Germany GmbH (Köln), Tabak- und Cigarettenfabrik Heitz van Landewyck GmbH (Trier) sowie die Joh. Wilh. von Eicken GmbH in Lübeck.

Philip Morris ist mit einem Anteil von knapp 37 Prozent der Marktführer auf dem deutschen Zigarettenmarkt. Das Unternehmen erwirtschaftet mit rund 2900 Mitarbeitern einen Umsatz von mehr als sechs Milliarden Euro.

Der VdC, der unter anderem die Interessen der deutschen Tabakindustrie in Berlin und Brüssel vertritt, hatte zuletzt betont, auch ohne Philip Morris schlagkräftig zu sein.

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