Zeitenwende bei Fiat:Turiner Optimisten

Auf zum "kreativen Wiederaufbau nach dem perfekten Sturm": Wie Sergio Marchionne Italiens Nationalstolz Fiat mit einer neuen Strategie aus der Krise führen will.

Thomas Fromm und Ulrike Sauer

Turbulente Tage bei Fiat: Zuerst wurde der Enkel des Konzernpatriarchen Gianni Agnelli, John Elkann, zum neuen Präsidenten gekürt. Einen Tag später geht es in Turin um die Zukunft des Traditionsunternehmens. Es soll sich mit der Abspaltung des Autogeschäfts radikal ändern.

Fiat 500

Fiat möchte das Autogeschäft vom Rest des Konzerns abspalten.

(Foto: Foto: oh)

Vor Sergio Marchionne liegen noch sechs Stunden Präsentation seines Masterplans der Fiat-Zukunft, als er mit gewohnter Lässigkeit zunächst den neuen Konzernpräsidenten John Elkann zu sich auf die Bühne ruft: "John, los, komm rauf hier". Im Kammermusiksaal "Sala 500", den Renzo Piano unter das fast 100 Jahre alte ehemalige Turiner Fiat-Werk Lingotto gebaut hat, spenden die Investoren und Analysten dem 34-jährigen Agnelli-Enkel lange stehend Beifall.

Am Morgen erst war der bereits 1997 zum Konzernerben designierte Elkann vom Fiat-Verwaltungsrat als Nachfolger von Luca di Montezemolo bestimmt worden. Das neue Gespann, das aus dem in New York geborenen Agnelli-Spross und dem italo-kanadischen Emigrantensohn Marchionne besteht, will den traditionsreichen Industriekonzern Fiat nun zum "kreativen Wiederaufbau nach dem perfekten Sturm" führen. Unter dieses Motto jedenfalls stellte Marchionne den Investorentag im Lingotto.

Und es gab an diesem Tag viel zu erklären. Denn wer an Fiat denkt, denkt vor allem an Autos. An den kleinen Cinquecento, an den Punto, den Panda. Vielleicht noch an Alfa Romeo, Ferrari, Maserati. Aber an den Lkw-Hersteller Iveco, den Zulieferer Magneti Marelli, den Bau- und Landmaschinenhersteller Case New Holland, den Anlagenbauer Comau, den Fußballclub Juventus Turin?

Neue Allianzen einfacher organisieren

Das Autogeschäft ist nur für 56 Prozent des Umsatzes verantwortlich. Schon seit langem wird daher darüber spekuliert, dass Fiat seine Traditionssparte mit den Marken Fiat, Alfa, Lancia abtrennt, um den Konzern unabhängiger von den brutalen Zyklen im Autogeschäft zu machen.

Branchenkenner halten die Trennung vom Geschäft mit Bau- und Landmaschinen CNH sowie vom Lkw-Bauer Iveco also für sinnvoll. Außerdem: Auf diese Weise wären neue Allianzen mit anderen Autoherstellern einfacher zu organisieren. Für die mehr als 100 Agnelli-Erben ist die Aufspaltung des Konzerns zudem der sicherste Weg, ihr Vermögen zu mehren. Der übliche Holding-Rabatt fällt weg.

"Das wird ein Kürzungsplan"

Während die Herren der Konzernspitze auf der Bühne noch Arm in Arm in die Fernsehkameras lächeln, sprechen Gewerkschafter vor den Werkstoren in Turin über die Ängste der Beschäftigten, die von Marchionnes Krisentherapie schmerzhafte Einschnitte erwarten. "Das wird ein Kürzungsplan", weiß Giorgio Cremaschi von der Metallgewerkschaft Fiom schon vorher.

An der Börse ist die Stimmung an diesem Mittwoch, den sie im italienischen Fernsehen "historisch" nennen, auch nicht besser. Der Kurssprung der Fiat-Aktie um neun Prozent, der am Vortag die Ankündigung des Stabwechsels euphorisch begleitet hatte, erwies sich als Strohfeuer. Als Marchionne in Turin den auf Englisch gehaltenen Rede-Marathon einleitet, fällt die Fiat-Aktie um 4,3 Prozent und ist damit sogar das Schlusslicht auf dem Mailänder Kurszettel.

Das ändert sich schlagartig, als Marchionne gegen 17 Uhr endlich die Katze aus dem Sack lässt. Nach fünfstündigen Detailbetrachtungen über den Geschäftsplan von Fiat bis 2014 ruft er die von der Börse beschworene Aufspaltung des Konzerns aus. Noch bis Ende des Jahres will Marchionne die Autosparte vom Konzern abtrennen und an die Börse bringen. Unter dem Namen Fiat Industrial firmieren dann die zurückbleibenden Aktivitäten von CNH, Iveco und den anderen Konzerntöchtern. Geplant ist, dass jeder gegenwärtige Fiat-Aktionär jeweils eine Auto-Aktie und Fiat-Industrial-Aktie erhalten wird.

Funktioniert die Liaison?

Der Börsenkurs sprang umgehend wieder ins Plus. Das epochale Projekt soll im Juli vom Fiat-Verwaltungsrat beschlossen werden. "2010 ist der perfekte Zeitpunkt für die Ausgliederung", schwärmt Marchionne. "Wenn man sie jetzt vornimmt, löst man jedes Problem". Mit der Abspaltung begänne eine neue Fiat-Geschichte mit zwei völlig unabhängigen Unternehmen. Eine Fusion der Autosparte mit dem im Sommer übernommenen US-Hersteller Chrysler hält er nicht für sinnvoll.

Fiat, SZ-Grafik

Die Unternehmensstruktur der Fiat-Gruppe sehen Sie in dieser Grafik - ein Klick genügt.

(Foto: Grafik: SZ)

2014 sollen Fiat und Chrysler zusammen sechs Millionen Fahrzeuge auf den Markt bringen - immerhin zwei Millionen mehr als heute. "Das ist die Mindestgröße für einen wettbewerbsfähigen Spieler auf dem Weltmarkt", beschwichtigt er. Den Umsatz will er bis dahin auf 93 Milliarden Euro anheben, was einer Steigerung des Rekordergebnisses von 2008 um 55 Prozent entsprechen würde. 34 neue Modelle sollen in fünf Jahren in Europa auf den Markt gebracht werden.

Viel zu tun

Es ist aber viel zu tun bis dahin. Die Quartalsergebnisse, die Chrysler am Morgen an der New Yorker Börse präsentierte, hatten die Stimmung erst einmal gedrückt. Der angeschlagene US-Autobauer, der durch Fiat gerettet wurde, hat seit dem Ende der Insolvenz im Juni 2009 fast vier Milliarden Dollar verloren. Der Fiat-Umsatz stieg in den ersten Monaten des Jahres um knapp 15 Prozent, das Auto-Geschäft nahm sogar um 22 Prozent zu.

Hier habe man, mit Ausnahme von Deutschland, noch von den Nachwirkungen der staatlichen Abwrackprämien profitiert, gibt Marchionne zu. In Italien rechnet der Fiat-Chef wegen ihres Auslaufens für die zweite Jahreshälfte mit einem Einbruch des Absatzes um 30 Prozent, in Europa um 15 Prozent. Aber auch im ersten Quartal schrieb Fiat rote Zahlen, wobei der Verlust stark auf 21 Millionen Euro reduziert werden konnte. "Wir verlassen das Krisenjahr 2009 mit genug Reserven, um die Zeit bis zur Normalisierung des Marktes 2011 durchzustehen", bekräftigte Marchionne.

Doch er steht unter Druck. Er muss nun den Beweis antreten, dass seine Liaison mit dem angeschlagenen US-Hersteller funktioniert. Als er vor einem Jahr Interesse an Chrysler zeigte, war der US-Konzern zwar bankrott, aber kein hoffnungsloser Fall. Marchionne hatte selbst gerade erst seinen eigenen Konzern vor dem Untergang gerettet. Jeder andere hätte sich damit zufrieden gegeben und sich nicht auf das Übersee-Abenteuer eingelassen. Nicht so Marchionne.

Chrysler war einfach da

Der Manager, der bei Autos an Stückzahlen und weniger an Design und Emotionen denkt, glaubt an die Masse. Wer mindestens 5,5 Millionen Autos im Jahr baue, sei für die Zukunft gerüstet, sagte er mal. Wer weit darunter liege, werde vom Markt gefegt. Chrysler war nie Marchionnes Herzensangelegenheit. Chrysler war einfach da. Und leicht zu haben. Künftig soll Fiat Modelle des US-Partners bauen; außerdem sollen die Italiener vom US-Vertriebsnetz des Partners profitieren und so wieder in den USA Fuß fassen.

Der schwierigere Part im Wachstumsszenario Marchionnes fällt Chrysler zu. Die Amerikaner sollen ihren Ausstoß in fünf Jahren von 1,3 auf 2,8 Millionen Fahrzeuge steigern. Im ersten Quartal aber konnte der Detroiter Autokonzern seinen Umsatz nicht nennenswert steigern. Aber die ,,wichtigste Zahl'' sei das positive Bruttoergebnis von 143 Millionen Dollar, betonte Marchionne. Die Allianz mit Chrysler sei der grundlegende Schritt für das Überleben von Fiat und seine Unabhängigkeit, sagte er.

Viel wird davon abhängen, wie die beiden wichtigsten Männer im Konzern miteinander klarkommen. Fiat-Chef Marchionne und der 34-jährige Elkann könnten unterschiedlicher nicht sein. Der schwergewichtige Italo-Kanadier mit dem Ruf des knallharten Sanierers, ist hemdsärmelig, bisweilen laut. Der andere leise, schüchtern, distinguiert. Der Enkel des Fiat-Patriarchen Giovanni Agnelli weiß, was er dem piemontesischen Industrieadel, aus dem er stammt, schuldig ist: Eleganz und Traditionsbewusstsein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: