Zehntausende noch nicht vermittelt:Gähnende Leere bei der Lehre

Der Lehrstellenmarkt ist so angespannt wie noch nie seit der Wiedervereinigung.

Detlef Esslinger

49.500 Jugendliche konnten bis Ende September nicht vermittelt werden. Nur knapp die Hälfte der Jugendlichen, die sich bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) meldeten, erhielt auf Anhieb eine Lehrstelle.

Zehntausende noch nicht vermittelt: "Fast dramatische" Zahlen.

"Fast dramatische" Zahlen.

(Foto: Foto: dpa)

BA-Vorstand Heinrich Alt sprach am Mittwoch in Nürnberg zum Teil von ,,fast dramatischen'' Zahlen, bemühte sich aber zugleich, auch ,,positive Signale'' zu verbreiten.

Dazu zählte er, dass die Wirtschaft in diesem Jahr mit mehr Jugendlichen einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hat als im Vorjahr. In Industrie und Handel ist die Zahl der Lehrstellen um 11.700 auf 303.300 gestiegen. Dies ist ein Plus von vier Prozent.

Im Handwerk wurden 143.800 Ausbildungsverträge abgeschlossen, das sind 2300 Verträge beziehungsweise 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Zusammengenommen ergibt das die Zahl von 447.100 Ausbildungsverträgen in der Wirtschaft. Allein bei der Bundesagentur meldeten sich jedoch 763.100 junge Menschen, die eine Lehrstelle suchten.

9000 Suchende mehr als im Vorjahr

BA, Bundesregierung, Wirtschaft und Arbeitgeber ziehen jeweils Anfang Oktober, zum Ende des so genannten ,,Berufsberatungsjahres'', ihre Lehrstellenbilanz, auch wenn zahlreiche Jugendliche noch jeweils in den letzten Monaten eines Jahres untergebracht werden können.

Am Mittwoch stellte die BA heraus, dass von ihren 763.100 Bewerbern insgesamt 94 Prozent ,,versorgt'' werden konnten: Knapp 48 Prozent erhielten eine Lehrstelle, jeweils elf Prozent entschieden sich für einen weiteren Schulbesuch oder ein Studium oder nahmen eine Arbeit an, acht Prozent wiederum nahmen an berufsvorbereitenden Programmen teil - das sind jene, die umgangssprachlich oft als ,,Warteschleifen'' bezeichnet werden -, 15 Prozent traten Wehr- oder Zivildienst oder ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr an.

Bei den verbleibenden sechs Prozent handelt es sich um jene 49.500 Jugendlichen, für die sich bisher überhaupt nichts gefunden hat. Ihre Zahl liegt noch einmal um 9000 höher als im Vorjahr.

Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften beurteilten die Lage auf dem Ausbildungsmarkt unterschiedlich. Regierung und Wirtschaft schlossen vor zwei Jahren den Nationalen Ausbildungspakt, in dem sich die Wirtschaft verpflichtete, jedes Jahr 30.000 neue Lehrstellen und 25.000 Praktikumsplätze für ,,Einstiegsqualifikationen'' zu schaffen.

Die Spitzenverbände der Wirtschaft hoben am Mittwoch hervor, dass sie diese Zusage ,,bereits jetzt mehr als erfüllt'' hätten. In diesem Jahr hätten die Betriebe 55.800 neue Lehrstellen und 29.600 Praktikumsplätze bereitgestellt. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zeigte sich zuversichtlich, dass alle noch nicht vermittelten Jugendlichen bis Jahresende ein Ausbildungsangebot erhalten würden.

Der Minister appellierte an die Unternehmen, ihre Anstrengungen zur Schaffung von Ausbildungsplätzen zu verstärken. Der DGB hingegen erklärte, der Ausbildungspakt sei gescheitert. ,,Seit dem Inkrafttreten dieses Paktes steigt die Zahl der unversorgten Jugendlichen kontinuierlich an'', sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock am Mittwoch in Berlin. ,,Dies ist ein Armutszeugnis für den Pakt.''

In den kommenden Monaten sollen noch zahlreiche Anstrengungen unternommen werden, die bisher unversorgten Jugendlichen doch noch unterzubringen. Die Hoffnungen von BA, Bundesregierung und Wirtschaft gründen unter anderem darauf, dass es noch 15400 Lehrstellen gibt, die unbesetzt sind. Darüber hinaus will die BA noch im laufenden Jahr zusätzlich 5000 außerbetriebliche Lehrstellen zur Verfügung stehen, die vor allem für ausländische Jugendliche gedacht sind.

Anfang 2007 sollen 2500 weitere Plätze hinzukommen. Außerdem seien die meisten Plätze für ,,Einstiegsqualifikationen'' noch unbesetzt. Die BA gründet ihren Optimismus auf eien Vergleich zum Vorjahr: Im Jahr 2005 habe die Ausbildungslücke von Oktober bis Januar noch um 16.800 auf 11.500 unversorgte Jugendliche geschlossen werden können.

Grundsätzlich ist die Lage in Deutschland jedoch so, dass es - allen Versprechungen und Anstrengungen der Wirtschaft zum Trotz - zu wenig Lehrstellen gibt. Bundesweit kommen 100 Bewerber auf 54 betriebliche Lehrstellen. ,,In keinem der 16 Bundesländer gibt es einen Stellenüberhang'', sagte BA-Vorstand Alt am Mittwoch.

In den neuen Bundesländern kämpfen im Schnitt sogar drei Jugendliche um eine Lehrstelle. Die Situation in Sachsen und Brandenburg sei ,,fast dramatisch'': Dort gibt es für mehr als 34.000 Bewerber lediglich knapp 8800 Plätze.

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