Zahl der Geringverdiener steigt:Jeder Fünfte muss von Niedriglohn leben

6,5 Millionen Arbeitnehmer bekommen weniger als 9,62 Euro pro Stunde - obwohl viele von ihnen Fachkräfte sind.

Thomas Öchsner

In Deutschland arbeiten immer mehr Menschen für Niedriglöhne. Dies geht aus einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen hervor. Demnach erhalten 6,5 Millionen Arbeitnehmer einen geringen Lohn - das ist mehr als jeder Fünfte aller Beschäftigten. Den Forschern zufolge schützt auch eine Berufsausbildung oder ein Studienabschluss nicht mehr vor schlechter Bezahlung.

Fensterputzer im Reichstag, Niedriglohn, Foto: AP

6,5 Millionen Arbeitnehmer erhalten bundesweit einen geringen Lohn - Tendenz steigend.

(Foto: Foto: AP)

Laut der Untersuchung ist die Zahl der Niedriglohn-Beschäftigten seit 1995 um 2,1 Millionen gestiegen, allein von 2006 auf 2007 nahm sie um 350.000 zu. Ihr Stundenlohn liegt unterhalb der Schwelle von 9,62 Euro in Westdeutschland und 7,18 Euro in Ostdeutschland. Das ist die wissenschaftlich anerkannte Niedriglohngrenze, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) festgelegt hat. Aus der Studie geht hervor, dass ein Vollzeitjob nicht vor niedrigen Stundenlöhnen schützt: So sind immerhin fast ein Viertel der Beschäftigten, die weniger als fünf Euro pro Stunde verdienen, in Vollzeit tätig.

Die meisten Beschäftigten, die mit weniger als fünf Euro auskommen müssen, waren aber Minijobber. Der Anteil der Vollzeit-Jobber steigt, je höher der Niedriglohn ausfällt. "Schon bei Stundenlöhnen von sieben Euro stellen Vollzeitbeschäftigte fast die Hälfte der Betroffenen", so das IAQ.

Die Forscher der Universität Duisburg-Essen stützen ihre Untersuchung auf Daten aus dem sozioökonomischen Panel (SOEP). Dabei handelt es sich um eine repräsentative Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dafür werden etwa 11.000 Haushalte mit mehr als 20.000 Personen befragt. Die Berechnungen beziehen sich auf alle abhängig Beschäftigten, einschließlich sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeiter und Minijobber. Schüler, Studenten und Rentner, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen, wurden jedoch nicht berücksichtigt.

Auch Fachkräfte betroffen

Auch Fachkräfte bekommen immer öfter nur noch geringe Verdienste, ihr Anteil unter den Niedriglohn-Beschäftigten hat sich deutlich erhöht: 2007 war dies bei 70,8 Prozent der Fall. 1995 betrug ihr Anteil lediglich 58,5 Prozent. Eine wachsende Zahl von Menschen sehe sich durch die eigene Arbeitslosigkeit gezwungen, in den Niedriglohnsektor zu gehen, sagte Claudia Weinkopf, stellvertretende Direktorin des IAQ. Sie verweist darauf, dass in anderen westeuropäischen Industrieländern eine so niedrige Bezahlung aufgrund von Mindestlöhnen nicht möglich wäre.

Die Berechnungen des IAQ zeigen zudem, dass die niedrigen Verdienste in den vergangenen zwölf Jahren nach Abzug der Inflation im Schnitt nicht gestiegen sind. In Westdeutschland sind sie sogar gesunken. Besonders geringe Stundenlöhne würden dabei zunehmend an Bedeutung gewinnen, heißt es in der Studie. So lagen die durchschnittlich im Niedriglohnsektor erzielten Stundenlöhne 2007 im Westen bei nur noch 6,88Euro und im Osten bei 5,60 Euro. 1,2 Millionen Beschäftigte verdienten sogar weniger als fünf Euro.

SPD, Linke, Gewerkschaften und Grüne fordern, einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen. Union und die FDP lehnen dies ab. Sie fürchten, dass dadurch Arbeitsplätze vernichtet werden. Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die Studie ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir Mindestlöhne in Deutschland brauchen. Löhne, die den eigenen Lebensunterhalt nicht garantieren, haben mit Anstand nichts zu tun. Sie müssen aus unserem Land verschwinden. "

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