Wüstenprojekt Desertec:Nur eine Fata Morgana?

Mit dem Megaprojekt Desertec will Europa seine Energieprobleme herabregeln. Doch die politischen Unruhen in Nordafrika verdeutlichen nun, wie anfällig das Vorhaben ist - lange bevor der erste Sonnenstrom aus der Wüste fließt.

Jeanne Rubner

Es ist schon ein fast magischer Klang, der das D-Wort umgibt. Desertec, das Vorhaben, aus der Wüstensonne und dem Küstenwind Nordafrikas grünen Strom für Europa zu erzeugen, gilt als das Vorzeigeprojekt der deutschen Industrie am Mittelmeer.

Wüstenprojekt Desertec: Das solarthermische Kraftwerk im andalusischen Abengoa gilt als Vorbild für die Desertec-Ingenieure. Die Anlage produziert 20 Megawatt.

Das solarthermische Kraftwerk im andalusischen Abengoa gilt als Vorbild für die Desertec-Ingenieure. Die Anlage produziert 20 Megawatt.

(Foto: BLOOMBERG NEWS)

Bis 2050 will die Desertec Industrie Initiative (DII) 400 Milliarden Euro in Solarkraftwerke und Windparks investieren. Bereits 2015, so hieß es noch im vergangenen Herbst, könnte der erste Sonnenstrom ins Netz gespeist werden. Er soll in einem 500 Megawatt-Kraftwerk in Marokko erzeugt werden, für das derzeit die Planung läuft.

Bis 2020 will Marokko insgesamt 2000 Megawatt Solarstrom-Kapazität - entsprechend zwei Kernkraftwerken - aufbauen. Das Land gilt als idealer Partner, denn bereits jetzt verläuft unter der Straße von Gibraltar eine Unterwasserstromleitung.

Nun aber ist die Region in Unruhe geraten, dominosteinartig scheint der Aufruhr ein Land nach dem anderen zu erfassen. Was in Tunesien begann, setzte sich in Algerien, Ägypten, im Jemen und in Jordanien fort.

Stromerzeugungsnetz für die gesamte Region

In Marokko selbst gehen die Menschen zwar noch nicht auf die Straße. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die jungen Marokkaner, die auch unter der hohen Arbeitslosigkeit leiden, sich gegen die autoritäre Regierung von König Mohammed VI. wenden.

Zudem ist Desertec als gigantisches Stromerzeugungsnetz für die gesamte Region geplant. Im Konsortium sitzt bereits ein tunesischer Gesellschafter, die Tochter des staatlichen Stromversorgers. Kurz vor Weihnachten ist eine Machbarkeitsstudie vereinbart worden, die prüfen soll, ob ähnlich wie in Marokko auch in Tunesien ein Demonstrationskraftwerk entstehen kann. Nun aber herrscht Funkstille in Tunis. Interesse haben auch Ägypten und Libyen angemeldet.

Bislang vor allem Angst vor terroristischen Attacken

Kritiker des Projekts hatten bislang vor allem vor terroristischen Attacken auf Kraftwerke und Stromleitungen gewarnt. Eine Destabilisierung der Region hatte kaum jemand vorhergesagt. Droht nun ein Stopp des Projektes?

Keinesfalls, betonen die Beteiligten. "Nicht unmittelbar betroffen" sei das Vorhaben von den aktuellen politischen Ereignissen, sagt DII-Sprecher Alexander Mohanty. "Die Arbeiten gehen weiter." Schließlich sei Desertec eine langfristige Vision.

Noch im Planungsbereich

Was in Marokko derzeit passiert, bewegt sich in der Tat noch im Planungsbereich: Gemeinsam mit der dortigen staatlichen Solarenergieagentur werden Standorte vermessen, um für ein mögliches Kraftwerke wichtige Größen wie Sonneneinstrahlung oder Entfernung zum bestehenden Stromnetz zu ermitteln. "Ganz normale Vorarbeiten also" laut Mohanty, "sie gehen weiter." Und weil derzeit noch keine Anlagen gebaut würden, müsse man auch keine Techniker oder Ingenieure abziehen.

Bei Desertec ist man nicht alarmiert, ganz im Gegenteil. "Jetzt erst recht" heißt es sowohl im Münchner DII-Büro wie auch bei der Hamburger Desertec-Stiftung, die die ursprüngliche Idee des Wüstenstroms vorantreibt.

"Die Unruhen zeigen, dass die Menschen nach besseren Lebensbedingungen verlangen", sagt Katrin-Susanne Richter, Vorstand der Stiftung. Genau deshalb brauche es mehr sozioökonomischer Projekte, wie Desertec einmal eines sein soll. Vorhaben also, die nicht nur Profite abwerfen, sondern die gesamten wirtschaftlichen Bedingungen vor Ort verbessern.

Neue Arbeitsplätze vor Ort

"Desertec geht über das Thema Energie hinaus", ist DII-Geschäftsführer Paul van Son, überzeugt. Weil nicht nur Kraftwerke mit europäischer Technik in der Wüste hochgezogen werden sollen, sondern vor Ort Arbeitsplätze entstehen sollen, das Stromnetz ausgebaut und Wissen transferiert soll. "Wir schaffen Infrastruktur, Industrialisierung, Investitionen", zählt Mohanty die Vorteile auf. "Das Modell 'Wir stellen alles hin und die putzen nur noch die Spiegel' wäre ein ganz schlechtes Geschäft für diese Länder", sagt auch Tunesien-Experte Steffen Erdle von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). "Die Wertschöpfung muss vor Ort passieren."

Die nordafrikanischen Staaten sollen im übrigen den Desertec-Strom auch selber nutzen, zumindest teilweise. Denn sie brauchen dringend neue Energiequellen für ihren wachsenden Bedarf: Der Versuch, eine Industrie vor Ort aufzubauen verlangt nach bezahlbarem Strom. Selbst jene Staaten wie Libyen oder Algerien, die Erdgas oder Öl besitzen, exportieren die fossilen Brennstoffe lieber als sie selbst zu verfeuern.

Auch deshalb würden die nordafrikanischen Partner, ist man bei Desertec überzeugt, ein gutes Geschäft machen: Den Wüstenstrom, den sie nicht brauchen, können sie nach Europa verkaufen. Und letztlich funktioniert auch nur so das Geschäftsmodell Desertec, denn selbstlos sind die beteiligten Unternehmen nicht: Sie erwarten durchaus, dass die Wüstenstaaten Sonnen- und Windstrom exportieren und damit einerseits Europas Energiehunger teilweise stillen und andererseits zu einer besseren Klimabilanz des Kontinents beitragen. Stabile Verhältnisse sind also im Interesse aller.

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