Wrigley:London lockt

UK : Royal visit to Devon

Selbst die Queen interessiert sich für Kaugummis und besucht die Fabrik von Wrigley im englischen Plymouth. Der Konzern verlegt seine Europa-Zentrale nach London.

(Foto: action press)

Trotz Brexit bauen Konzerne wie Google oder Apple neue Büros in der britischen Hauptstadt. Der Sog nach London kostet manchmal Jobs in anderen Staaten - wie jetzt bei Wrigley in München.

Von Björn Finke und Michael Kläsgen, London/München

Facebook, Apple, Google, Amazon, Snapchat: Sie alle zieht es trotz des Brexit nach London. Sie bauen dort in den besten Lagen Büros und schaffen Arbeitsplätze. Wrigley verlagert sogar seine Europa-Zentrale dorthin. Das hat unerfreuliche Folgen für Deutschland. Denn der US-Kaugummi-Hersteller entschied nach der Fusion mit Mars, seinen europäischen Sitz von Unterhaching, einer Gemeinde bei München, in die britische Hauptstadt zu verlegen.

Dabei boomt München und gilt als attraktiver Standort. Doch jetzt stehen die Mitarbeiter der Europa-Zentrale vor der Frage, was sie tun sollen: den Arbeitgeber wechseln oder nach London ziehen?

Am Standort in Unterhaching arbeiten bislang gut 500 Mitarbeiter von Wrigley, die meisten davon in der Deutschland-Zentrale, die vom Umzug nicht betroffen ist. Voraussichtlich wird er 2018 vollzogen. Die Entscheidung für London fiel nach dem EU-Referendum: Im Juni 2016 entschieden die Briten, dass ihr Land die Europäische Union verlassen soll. Ob nach dem Brexit 2019 Unternehmen weiter ohne Zölle Handel über den Ärmelkanal treiben dürfen, ist unklar. Aber Wrigley schreckt das offenbar nicht. Auch viele andere internationale Konzerne bauen trotz des EU-Austritts ihre Büros in London aus - manchmal zu Lasten deutscher Standorte.

So verlagerte der dänische Klötzchenkonzern Lego in den vergangenen drei Jahren ein Drittel der Stellen, 50 insgesamt, von Grasbrunn bei München nach London. 38 von ihnen ziehen in diesem Jahr an einen Standort direkt an der Themse. Dort verdoppelt Lego die Fläche des bisherigen Büros. John Goodwin, Executive Vice President von Lego, begründete das im Februar damit, dass London den "Zugang zu einem breiten Spektrum hoch qualifizierter Fachkräfte" eröffne.

Bei Wrigley sieht man die Vorzüge Londons ebenfalls in den vielen gut ausgebildeten Arbeitnehmern in der Metropole. Außerdem sei das Vereinigte Königreich für Mars und das neue Geschäftsfeld Mars Wrigley Confectionery einer der wichtigsten Märkte, sagt eine Sprecherin. Ein bisschen Nostalgie kommt auch hinzu: Mars Chocolate und Wrigley blickten im Königreich auf eine stolze Geschichte zurück.

Die Begeisterung der internationalen Konzerne für die 8,8-Millionen-Stadt überrascht auf den ersten Blick. Schließlich wissen die Unternehmen nicht, welchen Bedingungen der Handel mit der EU nach dem Austritt im Frühjahr 2019 unterliegen wird. Die britische Premierministerin Theresa May hat sich festgelegt, dass das Königreich beim Brexit auch den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen wird. Das wird Geschäfte über den Ärmelkanal in jedem Fall erschweren. Damit zumindest keine Zölle eingeführt werden, möchte May einen umfassenden Freihandelsvertrag mit Brüssel abschließen.

Allerdings gilt es als nahezu unmöglich, sich bis 2019 auf so ein kompliziertes Abkommen zu einigen. Wirtschaftsverbände fordern deswegen eine mehrjährige Übergangsphase nach dem Brexit, in der sich für die Firmen nicht viel ändern wird. Die Politiker könnten derweil den Freihandelsvertrag fertig verhandeln. Doch ob sich die EU und London auf eine Übergangsregelung einigen, ist ebenfalls unklar.

Trotz dieser Querelen baut der amerikanische Internetkonzern Google einen gigantischen Bürokomplex in Londons Innenstadt, in dem 7000 Menschen arbeiten können. Um den Koloss zu füllen, will das Unternehmen 3000 Jobs schaffen. Der Online-Händler Amazon will bis zu 5000 Beschäftigte in einem schicken, neuen Büroturm in Shoreditch unterbringen. Das ist eine einstmals heruntergekommene, aber nun bei Technologie-Start-ups schwer angesagte Gegend neben Londons Bankenviertel, im East End.

Apple setzt dagegen aufs südliche Themse-Ufer. Im Jahr 2021 sollen 1600 Mitarbeiter zur Battersea Power Station ziehen, einem ausrangierten Kraftwerk, bei dem nun Wohnungen und Büros entstehen. Die Industrie-Ikone ist bekannt vom Cover des Pink-Floyd-Albums Animals. Bei Facebook geht es schneller: Der US-Internetkonzern will schon in diesem Jahr ein neues Londoner Büro eröffnen und die Zahl der Beschäftigten von 1000 auf 1500 steigern. Und Snap, das Unternehmen hinter der beliebten Handy-App Snapchat, machte London zur Zentrale fürs gesamte Geschäft außerhalb der USA.

Wie Wrigley und Lego werden die Konzerne von der Aussicht gelockt, in London viele Fachkräfte zu finden. Ob Exporte von Großbritannien in die EU in zwei Jahren komplizierter werden, ist nicht so wichtig, denn die US-Unternehmen haben ohnehin auch Niederlassungen in anderen EU-Staaten. Über die können zur Not die Geschäfte weiterlaufen. So sind die Europazentralen von Apple, Google und Facebook in Irland, der Nachbarinsel, auf der Firmengewinne nur mit niedrigen 12,5 Prozent versteuert werden.

Londons Vorteil ist hingegen, dass die kosmopolitische Metropole junge, gut ausgebildete Menschen aus der ganzen Welt anzieht. Es gibt renommierte Hochschulen vor Ort plus Cambridge und Oxford im Umland. Die Stadt hat eine boomende Start-up-Szene und ist zugleich ein globales Designzentrum. Darum können US-Technologie- und Internetkonzerne wie Apple und Google aus einem vergleichsweise großen Pool an Talenten fischen.

Allerdings verspricht Premierministerin May den Wählern, nach dem Brexit die Zahl der Einwanderer drastisch zu senken. Das könnte es schwerer machen, die vielen schicken Büros zu füllen. Wie das neue Einwanderungssystem nach dem EU-Austritt aussehen soll, hat die Regierung noch nicht verraten. Gegenüber Unternehmen und Wirtschaftsverbänden versichert die Regierung stets, es werde auch nach dem Brexit kein Problem sein, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Google und die anderen Konzerne scheinen darauf zu vertrauen, ansonsten würden die Firmen nicht so viel in London investieren. Ob das Vertrauen berechtigt ist, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

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