Wolfsburg:Volkswagen: Es ist eine Schande

Volkswagen

Bei VW wird Kritik mit den Mehrheiten der Familien Piëch und Porsche sowie der Länder Niedersachsen und Katar de facto niedergestimmt.

(Foto: dpa)

Bei Volkswagen trifft Familienbeton auf einen gefügigen Staatsaktionär. Nichts ändert sich, darum gilt der Konzern vielen nur noch als Symbol dafür, wie es halt läuft, wenn "die da oben" Mist machen.

Kommentar von Kurt Kister

Vor der Hauptversammlung bei Volkswagen sagte VW-Chef Matthias Müller, er erlebe im Konzern "eine große Veränderungsbereitschaft". Nach der Hauptversammlung hat man den Eindruck, dass sich nicht viel ändert bei VW. Vorstand und Aufsichtsrat einschließlich des umstrittenen Aufsichtsrats- und einstigen VW-Finanzchefs Hans Dieter Pötsch wurden locker entlastet. Der größte Anfall von Mut bestand darin, dass der 20-Prozent-Eigner Niedersachsen sich bei der Entlastung zweier Spitzenmanager, darunter der ehemalige Vorstandschef Martin Winterkorn, enthielt.

Das, so SPD-Wirtschaftsminister Olaf Lies, sei jedoch kein Ausdruck des Misstrauens, sondern ein Zeichen des Respekts vor der Staatsanwaltschaft. Die nämlich ermittelt auch gegen Winterkorn, nachdem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht den gesamten ehemaligen VW-Vorstand wegen Verdachts der Marktmanipulation angezeigt hat. Wenigstens ist die Bafin misstrauischer als der rot-grün regierte Staatsaktionär Niedersachsen.

Lehrbeispiel, wie man mit Großbetrug nicht umgehen darf

So sieht es derzeit aus bei VW: Kritik wird mit den Mehrheiten der Familien Piëch und Porsche sowie der Länder Niedersachsen und Katar de facto niedergestimmt; in Vorstand und Aufsichtsrat tummeln sich weiterhin Spitzenmanager unter Verdacht; der Betriebsrat schweigt sehr laut oder stimmt zu; außer den schon zum Alltag gehörenden Dauerentschuldigungen (nach dem Motto: Tagesordnungspunkt 2.3. "Reue", 2.3.1. "ehrliche Zerknirschung, mit leiser Stimme vorzutragen") wird der Betrugsskandal als unangenehmer Vorfall ("die Diesel-Thematik") möglichst weit nach hinten geredet.

Bei der Schadensbegrenzung richtet sich das Hauptaugenmerk bisher auf den US-Markt, weil man in Wolfsburg von dort aus die schlimmsten Konsequenzen befürchtet. Deutsche, französische oder österreichische Diesel-Fahrer sind offenbar nicht so wichtig wie die Amerikaner.

Volkswagen gibt nicht nur bei der jüngsten Hauptversammlung ein Lehrbeispiel dafür, wie man mit einem selbstinitiierten Großbetrug nicht umgehen darf, dessen Mitwisser wohl in den oberen Etagen saßen. Aber es kommt noch schlimmer. Volkswagen gehört zu jenen Marken und Namen, mit denen Deutschland in der Welt, aber auch hierzulande wenn nicht identifiziert, so doch assoziiert wird. Nein, Volkswagen ist nicht Deutschland, aber es war einmal ein Synonym für ehrliche Ingenieurskunst und erschwingliche, gleichzeitig auch verlässliche Technik. Die kriegen das hin, dachte man, und auch deswegen wuchs mit dem Vertrauen in die Marke auch die ökonomische Kraft dieser Marke.

Sogenannte Kleinaktionäre sind machtlos

Seitdem es VW nicht mehr gelungen ist, den Diesel-Betrug geheim zu halten, hat sich alles verändert - der Aktienkurs ist drastisch gefallen, Volkswagen ist der Schummelkonzern geworden, und wer heute noch behauptet, dass Deutschland ein wenig so sei wie VW, der führt nichts Gutes im Schilde. Er will sich entweder als Amateurausgabe der vielen nörgligen Stehauf-TV-Komödianten über das Land lustig machen, oder er hält "das System" für "versifft", wie sinngemäß neulich ein AfD-Fraktionschef gesagt hat. Möglicherweise ist das neben den Milliardenverlusten die schlimmste Konsequenz aus dem VW-Skandal: Der Konzern gilt heute vielen nur noch als ein Symbol dafür, wie es halt läuft, wenn "die da oben" Mist bauen und den dann nicht wegräumen wollen.

Der Verlauf der Hauptversammlung ist dafür ein Beispiel. Was an Wichtigem geschehen würde, stand aufgrund der betonierten Ansichten der Eignerfamilien P&P fest. Niedersachsen, egal von wem es regiert wird, findet man so gut wie immer aufseiten von P&P, auch wenn manchmal der eine oder andere Amtsträger vor einem Mikrofon Bedenken äußert. Ähnliches gilt - mit Ausnahme der Bedenken - auch für die Freunde aus Katar. Die sogenannten Kleinaktionäre also - allein in diesem Begriff spiegelt sich die leider realistische Geringschätzung der Großeigner wider - konnten schimpfen wie sie wollten. Sie waren Staffage, denn am Ende der Hauptversammlung war es so wie immer: Alle wurden entlastet, Dividenden wurden ausgeschüttet, Versprechen gemacht, alles geschah nur zum Besten des P&P-Konzerns. Fast hörte man im Hintergrund Geigen schluchzen.

Natürlich darf ein Konzern sich in seiner Strategie nicht von der berechtigten Wut eines Teils der Aktionäre leiten lassen. Wenn aber nach einem drastischen, selbstverschuldeten Einschnitt wie dem Diesel-Skandal einstige und aktuelle Verantwortungsträger entlastet und auch noch finanziell belohnt werden, als sei kaum etwas gewesen, dann empfinden das nicht nur wütende Kleinaktionäre als eine Schande. In diesem Sinne ist es gut, dass Volkswagen nicht Deutschland ist.

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