Wolfsburg:Das Schwierigste steht VW noch bevor

VW-Chef Müller will aus dem Autobauer einen anderen Konzern machen. Neue Technologien allein werden dafür aber nicht ausreichen.

Kommentar von Thomas Fromm

Wenn Konzerne in eine große Affäre stürzen, dann fahndet man nicht nur nach den Verantwortlichen. Dann beginnt auch schnell die Suche nach den tieferen Gründen für die Misere. Ist da irgendwas in dieser speziellen Konzernkultur, das diesen Skandal mit gefördert hat?

Das war vor einigen Jahren so, als Siemens durch eine veritable Korruptionsaffäre taumelte. Und das war im vergangenen Jahr so, als bekannt wurde, dass Volkswagen bei den Abgasmessungen seiner Dieselautos mit einer Spezial-Software Millionen von Fahrern betrog. Das Erklärungsmuster für die Verfehlungen ging so: Der Konzern wurde jahrelang autoritär geführt, offene Kritik war in dieser sehr speziellen Melange aus Familien-Herrscherhaus und Politik nicht karrierefördernd. Dazu der, selbst für diese Branche ungewöhnlich harte, Erfolgsdruck - alles in allem ein fataler Mix.

Während die Wolfsburger eine Marke nach der anderen kauften und davon träumten, größter Autobauer der Welt zu werden, suchten die anderen nach neuen Wegen. Daimler begann früh, sich eher als Mobilitätsdienstleister denn als Autobauer zu definieren. Und als Ingenieure in Wolfsburg noch ihre Dieselmotoren mit betrügerischer Software hochrüsteten, experimentierten BMW-Techniker im fernen München schon mit Carbon-Karosserien und bereiteten allmählich die Markteinführung neuer Elektroautos vor.

Ohne ein neues Wir-Gefühl gibt es keinen Wandel

VW aber blieb Gefangener seines Systems; blockierte sich jahrelang selbst und verlor wertvolle Zeit mit Macht- und anderen Spielchen. Wo sich einzelne Interessengruppen lieber bekämpften, statt gemeinsam die Zukunft anzugehen, gibt es keinen Wandel. Weder technologisch noch kulturell.

Was Rivalen, Marktstudien und interne Kritiker nicht schafften, erledigte dann die Dieselaffäre: Der neue Vorstandsvorsitzende Matthias Müller, selbst seit Jahrzehnten bei VW unterwegs, plant nun den größten Konzernumbau der Firmengeschichte, um aufzuholen, was lange versäumt wurde. Ob ihm dieser Befreiungsschlag gelingt, wird am Ende nicht an den vielen Milliarden Euro hängen, die er in die Mobilität der Zukunft investieren muss. Er braucht dafür die Menschen in diesem Konzern, und dies dürfte der schwierigste Teil dieser VW-Revolution werden.

Denn der Umbau der Konzernkultur ist weitaus schwieriger, als eine neue Konzernstrategie zu definieren, deren wichtigste Themen, wenn man so will, ohnehin auf der Straße liegen: Müller hat keine andere Chance, als die jahrelange Expansionsstrategie zu beerdigen und das weitverzweigte teure Konstrukt VW neu zu sortieren. Er wird nicht umhinkommen, sich von Unternehmensteilen zu trennen und dafür ganz neue Geschäfte aufzubauen. Alternative Mobilitätskonzepte wie Carsharing, eine konsequente Elektroauto-Offensive - noch bis vor kurzem hatten mächtige Menschen im Konzern alles, was nichts mit dem klassischen Autobau zu tun hatte, für spinnerte Nebensächlichkeiten gehalten. Heute ist eine Zukunft ohne eigene Mobilitätskonzepte und E-Autos nicht mehr vorstellbar; auch bei VW ist diese Botschaft nun angekommen. Wofür es allerdings erst einmal die Diesel-Katastrophe brauchte.

Müllers wirkliche Herausforderung ist nicht die Frage, wie viele Elektroautos er in fünf Jahren baut, sondern wie er den Konzern mit all seinen Fraktionen auf Linie bringt. Der Bruch mit der Vergangenheit wird schwer und schmerzhaft sein, auch wird er nicht geräuschlos und ohne Kämpfe über die Bühne gehen. Der Umbau kostet Milliarden - Geld, das Müller woanders einsparen und umverteilen muss. Gleichzeitig ist der Dieselskandal noch längst nicht abgehakt; auch er wird für VW noch teuer werden.

Müller wird über Jahre gewachsene Fürstentümer aufbrechen und Pfründe einstampfen müssen. Und ausgerechnet diejenigen, die Jahrzehnte lang die alte VW-Kultur prägten und die Strippen zogen, sollen nun dabei assistieren, eine neue Kultur hochzuziehen - eine schwierige, vielleicht sogar unmögliche Mission.

Von den Familienaktionären und -milliardären der Porsches und Piëchs über die Betriebsräte und Standort-Politiker des Landes Niedersachsen bis zu den großen, auf Rendite schielenden Investmentfonds - sie alle haben sehr eigene Vorstellungen davon, wie VW auszusehen hat. Und sie werden alles daran setzen, dies auch durchzusetzen.

Auf Müller kommen turbulente Monate zu. Seine Strategie für das Jahr 2025 wäre gescheitert, wenn dann zwar die Technologien auf dem neuesten Stand wären, die Kultur aber noch auf dem Niveau des Jahres 2015.

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