Wohnen:Wer sich traut, baut

Viele Menschen hoffen, durch Baugemeinschaften an günstige Wohnungen zu kommen. Doch das hat auch Risiken.

Von Christoph Gurk

Wagnis Baugenossenschaft

Während die „Kooperative Großstadt“ noch baut, können die Mitglieder der Baugenossenschaft Wagnis schon von ihren Balkonen in München-Riem winken.

(Foto: privat)

Dass der Brief vor einem Jahr ausgerechnet an Weihnachten kam, sei irgendwie passend gewesen, meint Markus Sowa. Schließlich war er ja so etwas wie ein Geschenk, enthielt er doch die Zusage für ein Stück Bauland im Osten von München. Dafür hatte die "Kooperative Großstadt" lange gekämpft, eine Genossenschaft, die Sowa 2015 zusammen mit Christian Hadaller und weiteren Mitstreitern gegründet hatte. Das Ziel: gemeinsames Bauen und günstiges Wohnen, aber mit anspruchsvoller Architektur. Eine schöne Idee, lange aber auch nicht sehr viel mehr, fehlte der "Kooperative Großstadt" doch ein Grundstück. Doch jetzt war da dieser Brief, 1220 Quadratmeter in München-Riem bot die Stadt an, der Traum wurde Realität - inklusive Risiken und Gefahren. "Es war für Christian und mich ein Sprung ins kalte Wasser", sagt Sowa. "Wir mussten von einem auf den nächsten Tag Vollzeit in dieses Projekt einsteigen."

Viele träumen davon, gemeinsam zu bauen und dann günstig und gut zu wohnen

Als die Genossenschaft die Zusage der Stadt bekam, beschlossen Sowa und Christian Hadaller, ihre Jobs als Architekten aufzugeben, um genug Zeit zu haben. Sie wussten, dass es erst mal kein Geld geben würde, dass es nicht einfach werden würde, einen Bankkredit zu bekommen und dass sie als Vorstände mit ihrem Vermögen haften. Trotzdem zögerten Sowa und Hadaller nicht lang: "Damals war klar: Das ist jetzt unsere Chance", sagt Sowa.

Sich gemeinsam etwas aufzubauen, um dafür dann preisgünstig und gut zu wohnen: In Zeiten von teuren Mieten und allgemeiner Wohnungsnot bekommt diese alte Idee neuen Schwung. Überall bilden sich Baugemeinschaften, in denen sich private Bauherren zusammenschließen, um Kosten zu sparen und an günstigeres Wohneigentum zu kommen.

Noch weiter gehen die Genossenschaften: Hier erwerben Mitglieder statt einer Wohnung nur Anteile, dafür bekommen sie günstige Mieten und ein Mitspracherecht. Der Bedarf ist riesig, die Wartelisten der Genossenschaften lang, auch darum gibt es viele Neugründungen, alleine in Bayern waren es in den vergangenen vier Jahren mehr als 20.

Hans Maier ist Direktor des genossenschaftlichen Prüf- und Interessenverbandes VdW Bayern. "Der große Vorteil einer Wohnungsgenossenschaft ist die Wohn- und Mietsicherheit", erklärt er den Boom. Auf der anderen Seite sagt er aber auch: "Die Genossenschaft ist eine unternehmerische Rechtsform, sie ist darum mit unternehmerischen Risiken verbunden." Bei den alten Genossenschaften seien diese Risiken gering, sie hätten schon Bestandswohnungen und Rücklagen. "Neue Genossenschaften haben aber meist noch nicht genug Eigenkapital, um auch schwierige Zeiten überstehen zu können", sagt Maier. "Neugründungen erfordern deshalb immer besonders viel Mut."

In München zum Beispiel fangen diese Risiken schon vor dem Bau an: Um sich für eines der raren Grundstücke der Stadt zu bewerben, muss eine Genossenschaft schon eingetragen sein. Alle Kosten tragen die Mitglieder, genauso wie das Risiko, dass es am Ende doch nicht klappt mit dem Bauland. So war es auch bei der "Kooperative Großstadt". "Die zukünftigen Bewohner mussten Anteile zeichnen, noch bevor das Projekt überhaupt in den Bau ging", sagt Sowa. "Das finde ich auch schon mutig, und das Vertrauen mussten wir erst mal gewinnen."

Die "Kooperative Großstadt" mit ihren etwa 180 Mitgliedern hatte letztendlich Erfolg, im Herbst 2017 konnte sie das Grundstück in Riem kaufen, auf dem nun 29 Wohnungen und eine Ausbildungswerkstätte entstehen. Ohne Risiko ist natürlich auch der Bau nicht. "Schiefgehen kann immer was", sagt Sowa, letztlich aber sind die Risiken beim Wohnungsbau in München gut kalkulierbar. Denn selbst wenn es etwas teurer wird, bisher sind die Immobilienpreise immer gestiegen. Wenn nicht Betrug im Spiel ist, wie es die Staatsanwaltschaft beispielsweise gerade bei der Stuttgarter Eventus eG vermutet, ist es derzeit recht unwahrscheinlich, dass eine Genossenschaft mit Bestandswohnungen tatsächlich Insolvenz anmelden muss.

Welche Fassade? Welche Balkone? Es ist nicht leicht, sich mit fremden Menschen zu einigen

Doch selbst wenn alle wirtschaftlichen und planerischen Probleme gebannt sind, bleiben am Ende immer noch menschliche Risiken. Stefan Krieger kennt sie aus eigener Erfahrung: Der gelernte Schreiner und Diplomkaufmann betreut und unterstützt für die Conplan GmbH seit Jahren Baugemeinschaften, dazu wohnt er mittlerweile auch noch selbst in einer. Wer ein Einfamilienhaus baut, sagt Krieger, könne alles selbst bestimmen. "Bei einer Baugemeinschaft muss man sich aber mit anderen auseinandersetzen." Konkret heißt das: Über Jahre hinweg mehrstündige Planungstreffen, in denen es wegen Grundrissen, Fenstern oder der Fassade immer wieder zu Streit kommen kann und in denen man immer wieder Kompromisse machen muss. "Diesen ganzen Prozess wird man mit Leuten durchlaufen, die man anfangs vielleicht nur von einem gemeinsamen Kaffeetrinken kennt", sagt Krieger.

Doch so wie die Mitglieder am Ende finanziell von günstigem Eigentum oder billigen Mieten profitieren, kann bei einer Genossenschaft oder Baugemeinschaft am Ende auch ein menschlicher Gewinn stehen: Weil man eben nicht nur in einer gemieteten Wohnung oder den eigenen vier Wänden wohnt, sondern in einer Gemeinschaft.

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