Wirtschaftswachstum:Ein Plan, in dem viel Schulz steckt

Stahlherstellung im Stahlwerk Annahütte in Hammerau, 2014

"Wir müssen verhindern, dass Oben und Unten auseinanderdriften", heißt es recht plakativ aus dem Wirtschaftsministerium.

(Foto: Robert Haas)
  • Das Wirtschaftsministerium hat einen Plan für "inklusives Wachstum" vorgelegt.
  • Die Punkte darin erinnern stark an die Wahlkampfthemen des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
  • Es geht unter anderem um Umverteilung, bessere Bildungschancen und mehr Investitionen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Am Dienstag hätte Matthias Machnig eigentlich in Frankfurt sein müssen, aber der Flug wurde gestrichen. In Berlin streikt das Bodenpersonal für höhere Stundenlöhne. Irgendwie passend für das Thema, das den Wirtschaftsstaatssekretär dieser Tage umtreibt.

Statt im Flieger sitzt Machnig nun in seinem Büro und räsoniert über "Inklusion". Just an diesem Dienstag ist ein Papier aus dem Wirtschaftsministerium publik geworden, das Handelsblatt hatte darüber berichtet. "Deutschland - stark und gerecht", heißt es, "Ein Zehn-Punkte-Plan für inklusives Wachstum" - also Wachstum für alle. Der Katalog dürfte aus Machnigs Büro gekommen sein, viele Strategien des Wirtschaftsressorts haben hier ihren Ausgang. "Wir müssen verhindern, dass Oben und Unten auseinanderdriften", sagt Machnig nun. "Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihr Einkommen stagniert oder gar rückläufig ist, während andere immer mehr verdienen." Wer aber derart abgehängt werde, der verliere den Glauben an die soziale Marktwirtschaft. "Wir brauchen eine Debatte, wie wir inklusives Wachstum organisieren können", sagt Machnig, "wie Menschen an Wohlstand und Wachstum stärker teilhaben können."

Die zehn Punkte aus dem Ministerium geben zumindest ein paar Anhaltspunkte. So seien mehr junge innovative Unternehmen im Land nötig - und entsprechende Anreize dafür. Konkret denkt das Wirtschaftsministerium an einen Steuerbonus, mit dem kleine und mittlere Unternehmen Personalaufwendungen für die Forschung von der Steuer absetzen können. Aus dem Finanzministerium gab es dazu zuletzt verschiedene Signale, doch in der Sache herrscht Stillstand. Nehme der Finanzminister "seinen Fuß von der Bremse", dann lasse sich das schnell umsetzen, findet Machnig, ein SPD-Mann.

Das Thema Gerechtigkeit versteckt sich in jeder zweiten Zeile

Ähnlich liegt die Sache bei einem anderen großen Thema, der Digitalisierung. Ein "Zukunftsfonds" müsse dafür entstehen, gespeist aus Überschüssen des Bundes. "Dieser Fonds sollte insgesamt zehn Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln erhalten", heißt es in dem Papier. Entlegene Gegenden sollen so schneller ans Breitbandnetz angeschlossen werden, Schulen sollen eine bessere IT-Ausstattung bekommen und Bürger eine Verwaltung, die sich auf elektronischem Wege erreichen lässt.

Vieles in dem Papier erinnert schon an den aufziehenden Wahlkampf; das Thema Gerechtigkeit, auf das vor allem der designierte SPD-Kandidat Martin Schulz setzt, versteckt sich in jeder zweiten Zeile. "Die erfolgreiche Bildung und Qualifizierung sozial benachteiligter Personengruppen ist der Schlüssel für inklusives Wachstum", heißt es da etwa. Dies erfordere mehr Umverteilung, denn die öffentlichen Bildungsangebote sollen "mit den Mitteln eines gerechten Steuersystems modernisiert und ausgebaut werden". Was das konkret bedeutet, führt ein eigener Punkt aus. So müssten untere und mittlere Einkommensbereiche entlastet werden, während die "Spitzeneinkommen und große Vermögen" stärker belastet werden. Auch müssten Einkünfte aus Arbeit und Kapital wieder gleich besteuert werden. Um die Kapitalflucht einzudämmen, gilt für Kapitaleinkommen seit Jahren ein fixer Satz von 25 Prozent, während Arbeitseinkommen mit bis zu 42 Prozent besteuert wird. Auch eine Finanztransaktionssteuer und ein Ende des "Steuerdumpingwettbewerbs in Europa" verlangt das Ministerium.

Das "Arbeitslosengeld Q", mit dem Arbeitslose länger Leistungen erhalten können, wenn sie sich weiter qualifizieren, taucht ebenfalls auf. Martin Schulz hatte es vorige Woche selbst in die Debatte gebracht. Auch der Rechtsanspruch für eine Rückkehr in Vollzeit, um den Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ringt, bekommt einen eigenen Absatz - in der Koalition ist er derzeit hoch umstritten, eine Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes gilt als fraglich. "Das ändert aber nichts daran, dass es in der Sache richtig ist", sagt Machnig.

In schlecht bezahlten Berufen sind mehr Frauen als Männer beschäftigt

Ohnehin gelten den "flexiblen und gerechten Arbeitszeiten" anderthalb Seiten in dem 17-seitigen Papier. "Karriereabbrüche, ein Abgleiten in prekäre Arbeit und erzwungene Teilzeitbeschäftigung als Ergebnis einer Familiengründung sind zu verhindern", heißt es da. Stattdessen sei eine neue "Familienarbeitszeit" wünschenswert, mit der sich Kinderbetreuung und Berufstätigkeit gleichmäßig aufteilen lasse.

Dazu passt die Forderung nach einem "weiblicheren Unternehmerbild": Zu wenige Frauen gründeten hierzulande ein Unternehmen. Es müsse gelingen, "mehr Mädchen und junge Frauen für den Schritt in die Selbständigkeit zu motivieren". De facto aber fänden sich in schlecht bezahlten Branchen und Berufen mehr Frauen als Männer. "Auch solche Fragen gehören zur Inklusion", sagt Machnig. Zunehmend aber sehe das auch die Wirtschaft ein, zuletzt beim Elitentreffen in Davos.

Das Wirtschaftsministerium wäre nicht das Wirtschaftsministerium, wenn es in dem Papier nicht auch für mehr Investitionen und eine aktivere Industriepolitik würbe. Staatliche Investitionen könnten auch helfen, Handelsbilanz-Ungleichgewichte abzubauen, sagt Machnig. Und industrielle Jobs seien eben weitaus besser bezahlt als einfache Dienstleistungen. Etwa jene auf einem Rollfeld in Berlin.

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