Wirtschaftspresse:"Sie blökten den falschen Sound"

Im Mainstream daneben: Medienwissenschaftler Weischenberg über die deutsche Wirtschaftspresse in der Krise.

Thomas Fromm

"Schreibt doch endlich mal was Positives", lautet eine Aufforderung, die die SZ-Wirtschaftsredaktion immer häufiger erreicht. Heiß umstritten ist die Frage, ob die (meist) negativen Nachrichten dieser Tage die schlechte Lage nur abbilden - oder sie womöglich befördern. Der Journalist und Medien-Professor Siegfried Weischenberg plädiert für korrekte, aber nicht reißerische Informationen.

Weischenberg, dpa

Medien-Professor Siegfried Weischenberg: "Die Kunst ist, nah dran zu sein - und trotzdem Distanz zu wahren."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Professor Weischenberg, die Finanzmärkte spielen verrückt, die Weltwirtschaft steckt in einer tiefen Rezession. Wie gut dabei ist die Wirtschaftsberichterstattung?

Siegfried Weischenberg: Es hat ein ganz erstaunlicher und auch schneller Paradigmenwechsel stattgefunden. Noch vor wenigen Monaten dominierten in der deutschen Wirtschaftsberichterstattung neoliberale Positionen. Alles, was mit Regulierung zu tun hatte, war Teufelszeug. Das hat sich im Zuge der Finanzkrise ins Gegenteil verkehrt: Heute besteht die Gefahr, dass nur noch auf der Linie staatlicher Interventionen argumentiert wird. Früher waren die Manager die Könige, heute ist es Finanzminister Peer Steinbrück. Ich würde mir wünschen, dass wir etwas ausgewogener wären.

SZ: Das heißt, die Medien gehen gerade von einem Extrem ins andere?

Weischenberg: Die Gefahr besteht, ja. Ich sehe das Problem, dass der deutsche Wirtschaftsjournalismus alles, was jetzt in der Krise an Ideen aus der Politik kommt, vorschnell absegnet. Nach dem Motto: Der Staat wird es schon richten.

SZ: Was könnten Wirtschaftsjournalisten besser machen?

Weischenberg: Insgesamt mehr Distanz und mehr Zurückhaltung wäre nicht schlecht. Bei vielen Wirtschaftsjournalisten gibt es ein Problem, das wir auch aus dem Politik- und Sportjournalismus kennen: Man muss nah dran sein an den Akteuren, um etwas zu erfahren. Aber oft sind wir zu nah dran und verlieren dabei den Überblick. Die Kunst ist, nah dran zu sein - und trotzdem Distanz zu wahren.

SZ: Zu Beginn der Krise hieß es noch, die Abwärts-Spirale in der Wirtschaft werde von den Redaktionen verharmlost. Jetzt heißt es, viele Medien würden die Menschen mit apokalyptischen Visionen in den Wahnsinn treiben. Haben die Medien die Krise am Anfang verschlafen und übertreiben nun?

Weischenberg: Es hat in den vergangenen Jahren immer schon mal warnende Hinweise gegeben; es gab Publizisten, die versuchten, der Welt zu erklären, dass da etwas schiefläuft am US-Hypothekenmarkt. Aber der Mainstream hat die Probleme nicht gesehen, überhaupt keine Frage. Bis man gemerkt hat, dass hier eine Systemkrise ins Haus steht, hat es ziemlich lang gedauert. Finanzjournalisten, Banker, Analysten - alle waren viel zu lange als Herde unterwegs und haben den falschen Sound geblökt.

SZ: Und heute wird versucht, den richtigen Sound zu treffen... Beeinflussen negative Schlagzeilen in den Zeitungen den Gang der Wirtschaft?

Weischenberg: Natürlich, Wirtschaft hat viel mit Psychologie zu tun. Die Leute leben doch in zwei Welten: Ihrer eigenen, kleinen Welt mit ihren eigenen Erfahrungen. Und in einer Medienwelt. Die Welt draußen, die wird ihnen ja in erster Linie von den Medien erklärt. Deswegen haben Medien ja gerade in der Finanzkrise eine sehr große Verantwortung. Aber die Wirkung ist vielfältig - es ist nicht so, dass einige böse Zeitungen das Kaufverhalten der Menschen bestimmen könnten. Die Sache ist weitaus komplexer. Es soll sogar Leute geben, die mehr konsumieren, je negativer die Berichterstattung wird. Nach dem Motto: Jetzt lassen wir es nochmal richtig krachen. Das ist vielleicht unvernünftig, aber menschlich nachvollziehbar.

Im zweiten Teil: Warum die Rolle sogenannter Experten noch kritischer ist, als die der Journalisten - und welche Interessen Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter hat.

"Norbert Walter ist in gewisser Weise Lobbyist."

SZ: Das heißt aber, man sollte lieber mal auf die eine oder andere negative Schlagzeile verzichten und stattdessen positive Geschichten bringen?

Weischenberg: Es kann nicht sein, dass die Medien die Wirklichkeit schminken. Was wir wollen, ist kompetent und wirklichkeitsnah informiert zu werden. Was nicht geht, ist aus Rücksicht auf die Konjunktur und das große Ganze die Nachrichten ins Positive zu drehen. Andererseits sollten Nachrichten aber auch nicht unnötig zugespitzt oder positive Meldungen bewusst ausgeblendet werden.

SZ: Aber es gibt ja fast nur noch negative Schlagzeilen. Als Deutsche-Bank-Chefökonom Norbert Walter prophezeit hatte, dass die Deutsche Wirtschaft um fünf Prozent schrumpfen werde, kritisierten das manche als Alarmismus. Heute können wir fast sicher sein, dass es so kommt - oder schlimmer. Wie kann man diese Nachrichten mit gutem Gewissen bringen, ohne die Menschen zu deprimieren?

Weischenberg: Man muss sie sogar bringen. Ich sehe die Rolle der sogenannten Experten allerdings kritischer als die vieler Journalisten. Die Experten kommen nicht in die Medien, indem sie langweilige Aussagen machen. Also neigen sie dazu, zuzuspitzen und zu dramatisieren. Wenn Sie drei verschiedene Ökonomen fragen, bekommen sie vier verschiedene Antworten. Journalisten sollten natürlich darüber berichten und einordnen - dabei aber zum Beispiel darauf hinweisen, dass jemand wie Walter für seine spektakulären Prognosen bekannt ist. Das relativiert das Ganze dann wieder. Und man muss einordnen, warum Walter so etwas tut. Er ist nicht nur Chefökonom, sondern in gewisser Weise auch Lobbyist. Das gehört dazu.

SZ: Ist die Krise für den Einzelnen überhaupt noch fassbar? Wenn wir schreiben, dass die angeschlagene Münchner Immobilienbank Hypo Real Estate 100 Milliarden Euro braucht, weil das besser ist, als sie pleitegehen zu lassen, ist das doch kaum noch zu vermitteln. Vor allem dann nicht, wenn die Leute immer weniger Geld im eigenen Portemonnaie haben und sehen, wie ihr Spardepot immer weiter in sich zusammenfällt.

Weischenberg: Natürlich ist das nicht zu vermitteln. Diese immer wieder neu auftauchenden Milliardenbeträge entziehen sich dem Alltag der Menschen vollkommen. Außerdem: Wenn wir erst dann darauf kommen, dass die HRE systemrelevant ist, wenn sie mit 100 Milliarden Euro gerettet werden muss, ist das für die Menschen erst recht nicht mehr nachvollziehbar. Die fragen sich doch: Warum hat man da nicht früher mal nachgeschaut? Warum musste es erst so weit kommen?

SZ: In den USA trauen sich einzelne Manager aus Angst vor Übergriffen wütender Bürger kaum noch aus dem Haus. Wer hat Schuld - die Medien?

Weischenberg: Natürlich trifft die Medien hier eine Mitschuld, sie schreiben ja täglich, dass viele Manager versagt haben und gleichzeitig millionenschwere Bonuszahlungen einfordern. Viele Banker - wenn auch längst nicht alle -, das wissen wir heute, haben alles andere als einen tollen Job gemacht. Dass sich hier der Volkszorn entlädt, wundert mich nicht. Dafür würde ich jetzt aber nicht die Medien verhaften.

SZ: Von Pogromstimmung ist inzwischen die Rede.

Weischenberg: Ich halte es für völlig überzogen, ja, peinlich, in der öffentlichen Debatte solche historischen Analogien zu konstruieren. Die Manager sind jetzt in der Defensive, aber sie kommen wieder - das werden Sie sehen. Aufgabe der Wirtschaftsredaktionen muss dann sein, die Entwicklung des neuen Selbstbewusstseins kritisch zu begleiten.

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