Wirtschaftskrise:Maßhalten 2.0

Die Wirtschaftskrise trifft die deutsche Wirtschaft mit voller Wucht. Die hierzulande übliche Vorsicht ist kein guter Ratgeber.

Carsten Matthäus

In seinem berühmt gewordenen Maßhalteappell, einer Rundfunkansprache im Jahr 1962, warnte der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard die Deutschen eindringlich davor, zu viel Geld auszugeben:

spardose, ap

Ludwig Erhard und der Maßhalteappell - und seine Zigarre.

(Foto: Foto: AP)

"Noch ist es Zeit, aber es ist höchste Zeit, Besinnung zu üben und dem Irrwahn zu entfliehen, als ob es einem Volk möglich sein könnte, für allen öffentlichen und privaten Zwecke in allen Lebensbereichen des einzelnen und der Nation mehr verbrauchen zu wollen, als das gleiche Volk an realen Werten erzeugen kann oder zu erzeugen gewillt ist."

Dieser Maßhalteappell war 1962 angesichts von Vollbeschäftigung und Wirtschaftsboom durchaus berechtigt. Es hat sich später zu einer Art deutscher Wirtschaftsmantra entwickelt. Lieber vorsichtig wirtschaften, lieber etwas mehr sparen - das ist die Devise, mit der deutsche Kanzlerinnen und Kanzler mit ruhiger Hand durch alle Unwägbarkeiten der Weltwirtschaft steuern wollen.

Es wäre allerdings ein Fehler, Erhards ökonomisches Vorsichtsprinzip auf die derzeitige globale Wirtschaftskrise anzuwenden. Denn die Situation ist ins Gegenteil verkehrt, die deutsche Wirtschaft steckt in einer schweren Rezession, es droht ein massiver Anstieg der Arbeitslosigkeit. Und noch etwas hat sich fundamental geändert: Die Deutschen haben deutlich mehr reale Werte erzeugt als verbraucht, sie sind zum Exportweltmeister geworden.

Sie haben sich nicht wie die USA und Großbritannien ihren Wohlstand weltweit zusammengeborgt, sondern häuften gemeinsam mit Japan und China riesige Überschüsse an. Gemeinsam kamen die drei Länder 2007 auf einen Leistungsbilanzüberschuss von 835 Milliarden Dollar.

Positiv gesprochen überstieg also der Wert der Exporte den Wert der Importe - Deutsche, Chinesen und Japaner verdienten einen Gutteil ihres Geldes auf Auslandsmärkten. Negativ gesprochen floss sehr viel mehr Kapital aus diesen Ländern ab als in diese Länder hinein. Nach dem Motto: Investiert und konsumiert wurde woanders in der Welt, der Inlandsmarkt war nur ein kleiner Nebenschauplatz.

Das bedeutet aber, dass Länder wie Deutschland, Japan und China mittlerweile so stark von der Gesundheit anderer Volkswirtschaften abhängen, dass sie in Krisenzeiten nicht weniger leiden als die Verursacher der Krise, sondern mehr.

Bricht beispielsweise der weltgrößte Automarkt in den USA drastisch ein, führt dies bei BMW, Daimler und den angeschlossenen Zulieferern sofort zu massiven Absatzproblemen, Kurzarbeit und ersten Insolvenzen. Drastisch formuliert baden deutsche Unternehmen und deren Mitarbeiter gerade den auf Pump finanzierten Boom in den USA aus. Die Aktienmärkte nehmen solche Effekte voraus. So ist nicht etwa der amerikanische Leitindex Dow Jones seit Jahresanfang stärker gefallen als der deutsche Aktienindex Dax, das Gegenteil war der Fall: Nach Berechungen des Economist, der beide Indizes auf Dollarbasis vergleicht, hat der Dax 2008 um 50,9 Prozent verloren, der Dow Jones nur 35,2 Prozent.

In dieser Krisensituation spricht es außerdem Bände, dass gerade die deutsche Regierung zurückhaltend ist mit Konjunkturprogrammen, während in Frankreich, Großbritannien und den USA die Milliarden im Hunderter-Pack auf den Markt geworfen werden. Die Logik ist so einfach wie problematisch: Weil der private Konsum in Deutschland nur einen vergleichsweise geringen Teil des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, nämlich etwa 57 Prozent, wird auch eine Stimulierung des Konsums wenig bringen. Zum Vergleich: In den USA liegt der Anteil bei rund 70 Prozent, in Japan bei immerhin knapp 60 Prozent. Und weil die Deutschen ohnehin zum Sparen neigen, werden sie auf Anreize nur zögerlich reagieren.

Diese Haltung darf sich nicht verfestigen. Um mit Ehrhard zu sprechen wäre es ein "Irrwahn" zu glauben, in der größten Volkswirtschaft Europas kämen die Nachfrageimpulse immer von außen. Es wäre sogar sinnvoll, Erhards Maßhalteappell für Krisenzeiten umzuformulieren - etwa so: "Noch ist es Zeit, aber höchste Zeit, die Nachfrage im Inland anzukurbeln und den Mut zu Investitionen in private und öffentliche Zwecke zu fördern."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: