Wirtschaftskrise:Europa fehlen Investitionen in Höhe von 200 Milliarden Euro

Wirtschaftskrise: Arbeiten an der Webmaschine: Egal ob in großen Fabriken oder kleinen Betrieben - Europa braucht Investitionen.

Arbeiten an der Webmaschine: Egal ob in großen Fabriken oder kleinen Betrieben - Europa braucht Investitionen.

(Foto: Giuseppe Aresu/ Bloomberg)

Wie kommt Kontinent wirtschaftlich wieder auf die Beine? Das Forschungsinstitut DIW schlägt einen dreiteiligen Plan vor.

Von Andrea Rexer, Frankfurt

Europa könnte ein Wirtschaftswunder gut brauchen. Will der Kontinent wirtschaftlich auf die Beine kommen, muss mehr investiert werden - das fordert nicht nur der Internationale Währungsfonds (IWF). Finanzminister Wolfgang Schäuble will das Thema ganz oben auf die Agenda der sieben größten Industrieländer (G 7) setzen, deren Führung Deutschland im nächsten Jahr übernehmen wird. Wie bitter notwendig das ist, zeigt nun eine Zahl des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW: Dessen Experten beziffern die Investitionslücke Europas auf 180 bis 200 Milliarden Euro. Damit gibt es erstmals eine greifbare Zahl für eines der drängendsten Probleme Europas. Denn das Wirtschaftswachstum kommt nicht in Schwung, solange sich die Unternehmen so sehr zurückhalten.

Die Kluft zwischen Nord- und Südeuropa wird dabei immer tiefer. Nach Zahlen des DIW haben sich die Direktinvestitionen von Nordeuropa in Südeuropa seit Ausbruch der Finanzkrise halbiert. Haben sie in der Vorkrisenperiode noch 8,6 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die südlichen Nachbarn investiert, sind es seit 2008 nur 4,9 Prozent. Bestenfalls "selektiv" würden die Unternehmen Übernahmen in Italien oder Spanien in Betracht ziehen, sagen Investmentbanker, die bei solchen Geschäften über Grenzen hinweg beratend tätig sind. Deutsche Unternehmer zieht es eher in die USA oder nach Asien. Dort locken bessere Zukunftsaussichten.

Die Wirtschaftsforscher erstaunt das, denn bisher gab es nach Finanzkrisen stets einen Boom an Direktinvestitionen. Unternehmen sind dann billig zu haben, Zukäufe werden dadurch einfacher. Doch anders als während der asiatischen Finanzkrise, als die Währungen in Europa einbrachen, ist der Euro heute stark. Das macht Zukäufe von außerhalb Europas teuer. Zwar sind die Unternehmen in Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland derzeit billiger zu haben als früher, aber börsennotierte Unternehmen sind durch die Aktienhausse gar nicht so günstig, wie man vermuten könnte. Ausschlaggebend für die Zurückhaltung ist aber wohl vor allem, dass die Investoren ihr Geld nicht nach Südeuropa bringen wollen, weil sie aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Aussichten niedrige Renditen erwarten. Und die Wirtschaft wächst nicht, weil es zu wenig Investitionen gibt. Diesen Teufelskreis will die Politik durchbrechen - aber wie?

"Die Politik schafft es nicht, ein glaubhaftes positives Zukunftsszenario zu zeichnen", sagt Marcel Fratzscher, DIW-Chef. Strukturreformen seien zwar notwendig und richtig, aber deren Wirkung setze erst nach einigen Jahren ein. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, hat das DIW einen dreiteiligen Plan vorgelegt, der Europa einen Wachstumsimpuls geben soll: Zunächst soll der Wettbewerb durch eine Vertiefung des Binnenmarkts gestärkt werden. Als Zweites schlägt das DIW vor, durch Steuererleichterungen Investitionen schmackhaft zu machen - etwa durch großzügigere Abschreibungsregeln. Drittens soll ein europäischer Investitionsfonds die Kreditklemme in Südeuropa effektiv bekämpfen. Angesiedelt bei der Europäischen Entwicklungsbank EIB soll der Fonds Garantien und Kredite vergeben können und so das Finanzierungsproblem der Unternehmen in Südeuropa abmildern, die nicht investieren können, weil ihnen die Banken Kredit verweigern.

Damit spricht das DIW ein Problem an, das auch die Europäische Zentralbank (EZB) bereits adressiert hat. Die Notenbank will mit zweckgebundenen Krediten an Banken die Kreditvergabe an Mittelständler ankurbeln. "Das allein wird das Kreditproblem der Banken nicht lösen. Unser Vorschlag ist eine Alternative um die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern", so Fratzscher. Und das sei entscheidend, weil die Geldhäuser Risiken derzeit teils nicht verkraften könnten, teils nicht eingehen wollten.

Zu wenige Investitionen hat übrigens nicht nur Südeuropa, sondern auch Deutschland. "Die 30 größten Unternehmen Deutschlands haben im vergangenen Jahr 37 000 Arbeitsplätze im Ausland, aber nur 6000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen", rechnet DIW-Chef Marcel Fratzscher vor. Besonders erfolgreich waren die deutschen Unternehmen mit ihren Auslandsinvestitionen in den vergangenen Jahren jedoch nicht. Unter dem Strich hätten viele Betriebe Geld verloren, weil sie in faule Finanzpapiere und in die falschen Branchen investiert hätten, analysiert Fratzscher. Aber das könnte sich ändern, hofft er.

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