Wirtschaftskriminalität:Das sind die Gangster des 21. Jahrhunderts

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Ein Mann hält sich Bitcoin- und Ripple-Münzen vor die Augen. (Symbolbild)

(Foto: imago/ITAR-TASS)
  • Die Polizei hat es immer häufiger mit einer neuen Generation von Wirtschaftskriminellen zu tun.
  • Sie manipulieren Aktienkurse im Internet oder zocken Gutgläubige mit Scheinwetten und Kryptowährungen ab.
  • Für die Ermittler ist es schwer, die Täter zu fassen: Im Netz ist es einfacher, Spuren zu verwischen und unerkannt zu bleiben.

Von Harald Freiberger

So schnell sind 250 Euro verdient. Der Kunde meldet sich im Internet bei einem von vielen Anbietern an, die derzeit mit "binären Optionen" werben. Er bekommt sofort einen Anruf, und los geht's mit der scheinbar seriösen Finanzmarkt-Wette. Wie bei einem Optionsschein könne man darauf setzen, dass der Euro oder der Deutsche Aktienindex fällt oder steigt, erzählt der Mann am Telefon. Er selbst empfehle, auf fallende Kurse zu setzen. Man könne ja mal mit einem niedrigen Betrag anfangen. Wie wär's mit 250 Euro?

Zwei Stunden später ist die Wette aufgegangen, auf dem eingerichteten Konto befinden sich schon 500 Euro. "Sehen Sie, wir sind nahe am Markt", sagt der Mann und empfiehlt die nächste Wette mit höherem Einsatz; sie geht wieder auf. Wie beim Hütchenspiel gewinnt der Kunde erst einmal - bis er am Ende alles verliert. Wenn er sein Geld nach einigen gewonnenen Wetten nämlich abheben möchte, hört er nur Ausreden, schließlich ist die Adresse nicht mehr erreichbar. Alles war nur erfunden, die Wetten haben gar nicht stattgefunden, auf dem Konto war lediglich imaginäres Geld - und der Einsatz des Kunden, der nun weg ist. Der Schaden erreicht manchmal fünfstellige Summen.

Binäre Optionen, vor denen auch die Finanzaufsicht Bafin eindringlich warnt, sind eine jener neuen Maschen, die Kriminalbeamte in Deutschland immer häufiger beschäftigen. "Wir sehen einen Wandel bei der Tatbegehung von Wirtschaftskriminalität", sagt Holger Kriegeskorte vom Bundeskriminalamt (BKA). Einzelne Bereiche von Wirtschaftskriminalität verschieben sich mehr und mehr in Richtung Internet und soziale Medien. Dazu zählen Scheinwetten wie die binären Optionen, Betrug mit Kryptowährungen oder Marktmanipulationen mit Computerprogrammen, die eine menschliche Identität vortäuschen, auch Social Bots genannt.

Noch ist der Anteil solcher Taten am Gesamtschaden gering. Bei der Statistik für die Wirtschaftskriminalität 2017, die das BKA kürzlich veröffentlichte (Kasten), spielen die neuen Betrugsarten noch kaum eine Rolle. Die Fälle sind zu frisch, sie liegen bei den Landeskriminalämtern, das Ausmaß lässt sich noch nicht beziffern. Aber Kriegeskorte sagt: "Wir gehen davon aus, dass der Anteil am Schadensvolumen künftig kontinuierlich steigen wird."

Beispiel Kryptowährungen, die durch den Kursanstieg des Bitcoin enormes Interesse bei Anlegern geweckt haben: Betrüger nutzen dies aus und versuchen Menschen über den Tisch zu ziehen. Sie führen über ein sogenanntes Initial Coin Offering (ICO) eine eigene Digitalwährung ein, gaukeln Anlegern vor, diese funktioniere nach demselben Prinzip wie der Bitcoin, nämlich mit der Blockchain-Technologie, und versprechen starke Kurssteigerungen.

In Wahrheit aber besteht das Geschäftsmodell nur aus heißer Luft. Wer in die Digitalwährung investiert hat, verliert all sein Geld. So war es zum Beispiel bei der Betrugs-Kryptowährung Onecoin, die von bulgarischen Tätern initiiert und auch in Deutschland vertrieben wurde. Anleger verloren dabei geschätzt 350 Millionen Euro. "Es ist ein Problem unserer Zeit, dass wegen der niedrigen Zinsen alles attraktiv erscheint, was höhere Rendite verspricht", sagt Kriminal-Experte Kriegeskorte. Oft kauften die Leute blind, sie wüssten gar nicht, worum es sich bei dem Produkt eigentlich handelt.

"Neue Art der Wirtschaftskriminalität"

Beispiel Social Bots: Darunter versteht man die massenhafte Verbreitung von manipulativen Meldungen über Netzwerke wie Twitter oder Facebook. Die Nachricht soll die Empfänger veranlassen, ein Produkt oder eine Geldanlage zu kaufen. Im September 2016 verbreitete sich im Internet in rasender Geschwindigkeit die Nachricht, die Deutsche Bank müsse in den USA Strafzahlungen in Milliardenhöhe leisten. Der Aktienkurs fiel daraufhin um neun Prozent. Die Initiatoren hatten vorher vermutlich mit Optionen auf fallende Kurse gesetzt. Das Unternehmen hatte große Mühe zu erklären, dass es sich um eine Falschmeldung handelte.

"Der Betrug mit Social Bots funktioniert nach dem Prinzip, dass im Internet nicht das stimmt, was wahr ist, sondern das, was am meisten behauptet wird", sagt Kriegeskorte. Social Bots werden so programmiert, dass sie sich wie ein Schneeballsystem verbreiten. Jeder Twitter-Nutzer hat zum Beispiel im Durchschnitt 128 Follower, die eine Nachricht wiederum an ihre Follower weitererschicken, und so weiter.

Ein anderes Beispiel: Ein Betrüger kaufte die wertlosen Aktien einer Pleitefirma und warb dafür über einen Social Bot. Der Kurs stieg daraufhin von einem Cent auf 3,6 Cent. Der Verkäufer machte einen Profit von mehreren Tausend Euro, die Käufer blieben auf ihren wertlosen Aktien sitzen. Die Methode wird überall eingesetzt, wo Meinungen geäußert werden, die zum Kauf verleiten sollen: bei Bewertungen von Hotels, von Produkten bei Amazon, von Verkäufern bei Ebay.

"Die neue Art der Wirtschaftskriminalität ist eine große Herausforderung für die Polizei", sagt Kriegeskorte. Sie unterscheide sich wesentlich von den bisher bekannten Tatmustern. Anlagebetrug der klassischen Art funktioniert so, dass Täter über Anzeigen ein wertloses Produkt bewerben und es über Vermittler an die Opfer bringen. "Bei den neuen Betrugsformen sehen wir die Personen dahinter nicht", sagt Kriegeskorte. Denjenigen, die an der Tat beteiligt sind, sei oftmals nicht bewusst, dass sie einen Betrug begehen, weil sie nur als Programmierer engagiert sind und gegen Honorar ihre Technik und ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellten. Die eigentlichen Täter indes bleiben im Hintergrund, sie verwischen ihre Spuren.

"Die Täter, die wir schon kannten und immer wieder auftauchten, finden wir dort nicht, sie sind zu alt und zu wenig technikaffin", sagt Kriegeskorte. Es handle sich um eine völlig neue Generation von Betrügern mit eigenem Know-how. So wie mit der Digitalisierung der Wirtschaft scheint es auch mit der Digitalisierung der Wirtschaftskriminalität zu sein: Wer mithalten will, muss sich im Internet und in sozialen Medien auskennen.

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