Wirtschaftsabschwung:Die beschleunigte Krankheit

2009 droht die größte Rezession seit 1949. Die Arbeitnehmer trifft es härter als die Industrie. Am Boom haben sie kaum verdient, aber an der Krise werden sie wieder voll beteiligt.

Marc Beise

Und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen. Und es kam schlimmer." Das Fundstück aus dem alten Sprüchekalender - nie war es so treffend wie heute. Das Jahr 2008 wird in die deutsche Wirtschaftsgeschichte eingehen als jenes Jahr, in dem die alten Gewissheiten ungewiss wurden.

Wirtschaftsabschwung: Aufgeregte Aktionäre stehen am 29. 10.1929 vor der Börse in New York. Der Kurszusammenbruch der New Yorker Börse löste die Weltwirtschaftskrise aus.

Aufgeregte Aktionäre stehen am 29. 10.1929 vor der Börse in New York. Der Kurszusammenbruch der New Yorker Börse löste die Weltwirtschaftskrise aus.

(Foto: Foto: dpa)

Nicht dass ein Abschwung einsetzte nach sieben fetten Jahren, war das Problem: Nein, das war normal, und nur gedächtnislose Menschen hatten anderes erwarten können. Die Wirtschaft ist wie das Leben ein ewiges Auf und Ab, und nach einer ungewöhnlich langen Aufschwungphase seit etwa dem Beginn des Jahrzehnts war natürlich die Abkühlung der Wirtschaft vorauszusehen; eine Gnade schon, dass sie so lange auf sich warten ließ.

Überraschend war vielmehr die Vehemenz, mit der es nach unten ging. Die Finanzkrise, deren Entstehen und Verlauf an anderer Stelle in diesem Heft beschrieben wird, setzte sich auf den sich anbahnenden Abschwung wie eine virale Entzündung auf einen grippalen Effekt, und schon war der Patient richtig krank.

Der Verfall schritt explosionsartig voran. Noch im Oktober gaben viele Unternehmen, vor allem in dem für Deutschland so wichtigen Mittelstand, zu Protokoll, dass sie natürlich schlechtere Geschäfte befürchteten ("Wir lesen ja auch Zeitung..."), aber in den eigenen Auftragsbüchern noch nicht nachweisen konnten. Schon vier Wochen später, im November, herrschte beinahe überall Tristesse. Wo Verbände aus Pflicht oder Neigung noch schönfärberische Prognosen abgaben ("Der deutsche Export ist weiter in guter Verfassung"), sprachen die einzelnen Unternehmen eine andere Sprache. Sie berichteten von Auftragsrückgängen um 20, 30, 50 Prozent.

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Die beschleunigte Krankheit

Ganz plötzlich war die Krise da - und sie trifft viele Bereiche der Wirtschaft: Die Banken rufen um staatliche Hilfe, Autofabriken haben auf Wochen ihre Werke geschlossen, Leiharbeiter müssen in großer Zahl gehen, Investitionen gehen in die Warteschleife, Werbeausgaben sind eingefroren. Es ist abzusehen, dass die seit Jahrzehnten niedrigste Arbeitslosenzahl von 2,98 Millionen Registrierten im Monat November - bei zugleich höchster Erwerbstätigenzahl (40,84 Millionen) überhaupt - nicht von Dauer sein wird.

Zum Jahresende überboten sich die Konjunkturforscher in ihren pessimistischen Erwartungen und übten sich, das gehört mittlerweile zum Alltag, im Korrigieren ihrer Prognosen. Die Bundesbank rechnet (Stand Ende November) für 2009 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts, also der gesammelten Wirtschaftsleistung des Landes, um ein Prozent; im Sommer hatte sie noch ein Plus von 1,4 Prozent vorausgesagt. Der Internationale Währungsfonds IWF rechnet mit einem Minus von 0,8 Prozent, die Konjunkturforscher der Deutschen Bank sprechen sogar von minus 1,5 Prozent.

Damit hat das Jahr 2009 gute Chancen, für die tiefste Rezession seit Gründung der Bundesrepublik zu stehen; bisher war hierfür 1975 verzeichnet, als auf dem Höhepunkt der Ölkrise die Wirtschaftsleistung um 0,9 Prozent schrumpfte. Die Krise trifft die unterschiedlichen Adressaten unterschiedlich gut vorbereitet. Noch am besten aufgestellt sind die Unternehmen selbst. So verhalten sich ihre Pläne auch lesen und so schlecht die Stimmung auch ist, die monatlich im Ifo-Geschäftsklimaindex abgebildet wird - viele Unternehmen können immerhin einen Teil der Probleme abfedern.

Sie haben, wie es in der Wirtschaft gerne heißt, in der letzten Krise Anfang des Jahrzehnts "ihre Hausaufgaben gemacht": Vielerorts wurde die Ausgabenstruktur verändert, womit die Lohnstückkosten im internationalen Vergleich ansehnlich gesunken sind, Belegschaften wurden verkleinert und flexible Arbeitszeitmodelle verbessert (beispielsweise Hunderte von Arbeitsstunden pro Mitarbeiter angehäuft, die nun abgearbeitet werden können) - kurz: die Unternehmen sind heute immerhin wettbewerbsfähiger als in der vorangegangenen Krise. Weniger gut vorbereitet sind die Arbeitnehmer. Bei denen kam vom Aufschwung der vergangenen Jahre wenig an, was den Unmut befördert.

Auf der nächsten Seite: Nun rächt sich, dass der Staat nicht vorgesorgt hat. Statt zu sparen wurde von Mehreinnahmen gelebt.

Die beschleunigte Krankheit

Schuld daran ist weniger die Situation in den Unternehmen, wiewohl es in den vergangenen Jahren moderate Tarifabschlüsse gegeben hat, die wiederum maßgeblich den bisherigen Aufschwung getragen haben. Schuld ist vor allem der Staat, der seinen Würgegriff in guten Jahren nicht etwa gelockert, sondern weiter verstärkt hat. Trotz sich abzeichnender Rekordsteuereinnahmen war die große Koalition bekanntlich mit einer Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte gestartet.

Bei der Lohn- und Einkommensteuer schlägt die "kalte Progression" weiterhin unerbittlich zu - weil Steuertarife und -freibeträge nicht automatisch an die Geldentwertung angepasst werden. Und die Sozialabgaben steigen. Damit wird vor allem die Mittelschicht, die maßgeblich ist für die wirtschaftliche Situation in Deutschland, gemaßregelt; der Frust dort ist entsprechend groß - und wächst. Was die Verbraucher insgesamt angeht, war deren Ausgabenbereitschaft zu Beginn des Weihnachtsgeschäfts noch groß - aber wie lange wird das halten? Es ist abzusehen, dass die Konjunktur ihren zweiten Antrieb verliert, nachdem doch bereits der bisherige Erfolgsmotor Export bedenklich stottert.

Wie die Bürger traf die Finanzkrise auch den Staat unvorbereitet - aus eigenem Verschulden. Zwar wird die Bundesregierung für ihr beherztes Handeln in der Finanzkrise allgemein gelobt, doch macht sie nur vordergründig bella figura. Ja, die CDU-Kanzlerin Angela Merkel und ihr SPD-Finanzminister Peer Steinbrück haben nach anfänglichem Zögern mit ihrem Krisenmanagement und den gigantischen Milliarden-Bürgschaften (die hoffentlich nicht eingelöst werden müssen) die Finanzmärkte beruhigt.

Bei der Bekämpfung der Krise der Realwirtschaft sind ihnen die Hände weitgehend gebunden: Wirklich wirksame Konjunkturprogramme müssten mit einer gewaltigen Neuverschuldung erkauft werden - und das angesichts eines ohnehin bedrückenden Gesamt-Schuldenbergs von mehr als 1,5 Billionen Euro, indirekte Schulden noch gar nicht mitgerechnet, die in den Sozialversicherungssystemen stecken.

Nun rächt es sich, dass der Staat in guten Zeiten nicht vorgesorgt hat. Merkels und Steinbrücks Plan eines Haushalts ohne Neuverschuldung, der viele Jahre lang als besonders mutig und konsequent verkauft worden war, hatte immer von Mehreinnahmen und aufschwungbedingten Ausgabenkürzungen gelebt und nicht von wirklichen Sparmaßnahmen auf allen staatlichen Ebenen. Im Winter 2008/2009 hält die Angst das Land im Griff.

Es bedarf schon eines gewissen Weitblicks, um den nächsten Aufschwung vorherzusagen und unverdrossen die Frage zu diskutieren, was getan werden muss, damit Deutschland dann im weltweiten Wettbewerb gute Chancen auf einen Platz in der Spitzengruppe hat. Dabei geht es vor allem um die Innovationsfähigkeit der Unternehmen, um die Frage der Intensität des Zugriffs des Staates bei Steuern und Abgaben, um die Struktur der Arbeitsmärkte und die Qualität der Bildung. Um Themen also, die seit Jahren auf der Tagesordnung stehen. So findet sich am Ende inmitten überraschender Zeiten doch einiges Vertraute.

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