Wirtschafts-Nobelpreis:Die Theorie zu Hartz

Wenn Wissenschaft auf Wirklichkeit trifft: Mit den Forschungen der Nobelpreisgewinner Peter Diamond, Dale Mortenson und Christopher Pissarides lassen sich die Hartz-Reformen begründen - aber auch andere Marktphänomene.

Nikolaus Piper

Manchmal ist es einfacher, den Nobelpreis zu bekommen als einen Job in Washington. So erging es jedenfalls Peter A. Diamond, Wirtschaftsprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). In Frühjahr hatte ihn Präsident Barack Obama für den freiwerdenden Posten eines Mitglieds im Vorstand der Notenbank Federal Reserve nominiert. Doch der US-Senat verweigerte Diamond die Bestätigung - angeblich wegen Zweifeln an der Qualifikation.

Wirtschafts-Nobelpreis vergeben

Die drei Wirtschafts-Nobelpreisträger 2010 (von links nach rechts): Peter A. Diamond, Christopher A. Pissarides und Dale T. Mortensen.

(Foto: dpa)

Der republikanische Senator Richard Shelby, der die Opposition gegen Diamond angeführt hatte, sagte damals: "Ich glaube, dass es im gegenwärtigen Umfeld der Unsicherheit nicht gut wäre, wenn Entscheidungen zur Geldpolitik von Vorstands-Mitgliedern getroffen werden, die im Job erst noch lernen müssen." An diesem Montag wurde Diamond von der Königlichen Akademie der Wissenschaften mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnis-Preis für Ökonomie ausgezeichnet.

Der 70-jährige Diamond teilt sich den Preis mit dem Amerikaner Dale T. Mortensen, 71, von der Northwestern University in Illinois und dem in Zypern geborenen Briten Christopher A. Pissarides, 62, der an der London School of Economics lehrt. Die Wissenschaftler erhielten die mit zehn Millionen Kronen (eine Million Euro) dotierte Auszeichnung für ihre Forschungen über Märkte, auf denen es längere Zeit dauert, bis Angebot und Nachfrage zusammenkommen, sogenannte "Suchmärkte".

Diamond habe die Eigenarten solcher Märkte analysiert, hieß es in der Begründung des Preiskomitees. Mortensen und Pissarides hätten die Theorie erweitert und sie auf den Arbeitsmarkt angewandt. "Käufer und Verkäufer finden sich nach der klassischen Sichtweise des Marktes sofort, ohne Kosten, und haben vollkommene Informationen über die Preise aller Güter und Dienstleistungen", erklärte das Komitee.

"Dies entspricht aber nicht dem, was in der realen Welt geschieht." Die Modelle machten verständlich, wie Arbeitslosigkeit, offene Stellen und Löhne durch Regulierung beeinflusst würden. Die Preisträger gäben mit ihren Theorien Antworten auf die Frage, warum es gleichzeitig viele Arbeitslose und zahlreiche offene Stellen gibt. Zusammen entwickelten sie das Diamond- Mortenson-Pissarides-Model (DMP), das heute zu den Standardinstrumenten der Arbeitsmarktforschung gehört.

Diamond begann seine Forschungen in den frühen siebziger Jahren. Damals litten alle Industrieländer unter steigender Arbeitslosigkeit. Die öffentliche Debatte wurde dabei durch zwei Positionen geprägt: Nach der neoklassischen Lehre ist die Ursache von Arbeitslosigkeit immer in zu hohen Reallöhnen zu suchen, nach der keynesianischen Analyse liegt das Problem in fehlender Nachfrage. Mit beiden Modellen ließen sich aber die damalige Arbeitslosigkeit nicht erklären. "Es vor allem Pissarides, der eine neues Paradigma einführte und die Forschung von Grund auf veränderte", sagt Bernd Fitzenberger, Professor an der Universität Freiburg. Entscheidend sind jetzt Dinge wie die Suchkosten der Arbeitnehmer und die Marktmacht der Arbeitgeber.

Die ineffizienten Arbeitsmärkte

Der Kern der Theorie sieht, stark vereinfacht, so aus: Arbeitsmärkte sind ineffizient, wenn Arbeitslose immer nach einem nächstbesseren Job suchen, den es nicht gibt, und Unternehmen nach dem nächstbesseren Arbeitnehmer, den es ebenfalls nicht gibt. Die praktische Anwendung der Theorie besteht darin, den Suchprozess zu optimieren. Das Nächstliegende sind dabei Informationen: Je transparenter der Arbeitsmarkt ist, desto eher können Arbeitgeber und Arbeitnehmer die unnötige Suche nach dem Nächstbesten aufgeben.

Die Theorie lässt aber auch Rückschlüsse auf die richtige Höhe der Arbeitslosenunterstützung zu: "Arbeitslosengeld kann man als Subvention des Suchprozesses deuten", sagt Fitzenberger. Wird zu viel gezahlt, dauert die Suche unnötig lange, fällt die Unterstützung zu niedrig aus, dann nutzen die Arbeitgeber ihre Marktmacht und stellen Mitarbeiter zu Löhnen ein, die nicht deren Produktivität entsprechen.

Eine fast klassische Anwendung des DMP-Modells sind die Hartz-Reformen der rot-grünen Bundesregierung. Zwar spielte die Theorie direkt keine Rolle in den Beratungen der Hartz-Kommission. "Wir sind nach dem Prinzip Best Practice vorgegangen", erinnert sich Kommissionsmitglied Klaus Luft. "Wir haben einfach in anderen Ländern geschaut, was funktioniert und was wir übernehmen konnten."

Doch viele dieser Modelle im Ausland sind durch die Forschungen von Diamond, Mortensen und Pissarides beeinflusst worden. "Die ganzen Reformen Hartz I bis II, die Kundenzentren in den Arbeitsagenturen, der Arbeitgeberservice, die Einschaltung privater Vermittler, all dies lässt sich mit der Theorie begründen", sagt Fitzenberger.

Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, sieht auch Implikationen für die derzeitige Debatte um die Höhe der Hartz-IV-Bezüge: "Durch eine Politik des Förderns und Forderns, aber auch durch eine effizientere, Suchkosten reduzierende Arbeitsvermittlung kann die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzt werden. Darum geht es bei Hartz IV. Leistungsausweitungen führen letztlich zur Verlängerung der Arbeitslosigkeit." Bereits vor fünf Jahren hatte das Institut Zukunft der Arbeit in Bonn, dem Zimmermann ebenfalls vorsteht, Mortensen und Pissarides mit dem Preis für Arbeitsmarktforschung ausgezeichnet.

Die Theorie von den Suchmärkten lässt sich auf alle Märkte anwenden, in denen Produkte mit ausgeprägten individuellen Eigenschaften gehandelt werden. Mit ihr lässt sich erklären, warum Häuser und Wohnungen oft monatelang leer stehen, ohne dass Vermieter oder Verkäufer mit dem Preis nachgeben.

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