Wirtschafts-Köpfe 2012:Jens Weidmann - Rebell wider Willen

Bundesbankpräsident Weidmann sieht sich als Anwalt der kleinen Sparer und stemmt sich gegen die Politik des lockeren Geldes der Europäischen Zentralbank. 2012 muss er sich vor allem als Schleusenwärter betätigen. Er braucht Erfolge - und dafür vor allem eines: Verbündete.

Hans-Jürgen Jakobs

Eine Institution wie die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Rituale. Eines davon besagt: Zuerst spricht auf den Donnerstags-Sitzungen des EZB-Rats der Präsident, dann der Chef der Bundesbank. Man will in dem erlauchten Kreis rasch hören, wie der Vertreter der wichtigsten Notenbank im Euro-Raum die Lage einschätzt. Jens Weidmann, 43 Jahre alt und seit Mai 2011 im Amt, hat das in den vergangenen Monaten nicht viel genutzt. In wichtigen Fragen war er im Spitzengremium der EZB in einer Minderheitsposition. Genau das will Weidmann ändern. Er kämpft gegen eine "Transferunion", die Europa de facto schon hat. Er sieht sich als Repräsentant der Stabilitätskultur der Bundesbank, die sich der Abwehr von Inflation verschrieben hat, auch gegen politischen Widerstand. Er tut seine Pflicht.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann EZB Bundesbank Euro

Sein Vorgänger trat im Streit mit der EZB zurück. Jetzt muss Jens Weidmann zeigen, dass er geschickter ist als Axel Weber.

(Foto: dapd)

Da ist zum Beispiel die leidige Frage, ob die EZB weiter Anleihen kriselnder Euro-Staaten aufkaufen soll. Sie ist inzwischen vollgesogen mit Papieren aus Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien. Für mehr als 200 Milliarden Euro hat sie Staatsanleihen gekauft, die sich einmal als toxisch erweisen können. Mario Draghi, seit Oktober EZB-Chef, stellt zwar ein Ende des Anleihenkaufprogramms in Aussicht, aber das hat sein Vorgänger Jean-Claude Trichet auch getan. Und dann anders gehandelt.

Da sind aber auch die geldpolitischen Lockerungsübungen der EZB, die für fast eine halbe Billion Euro günstige Kredite an Europas Geschäftsbanken ausreichte und obendrein den Leitzins abermalig senkte, was zu einer heftigen Debatte bei den obersten Geldwächtern geführt hat. Und da ist schließlich der Streit um jene 45 Milliarden Euro, die die Bundesbank an den Internationalen Währungsfonds (IWF) überweisen soll, als Beitrag zum großen Anti-Schuldenkampf - einer Transaktion, bei der Weidmann spektakulär den Beistand des Bundestags suchte. Die Regierungskoalition wollte sich damit aber nicht befassen. Aus Gründen der Unabhängigkeit der Bank, die ja immerhin auch Weidmann bei jeder Gelegenheit hochhält. Es ist eine verkehrte Welt, in der der promovierte Volkswirt Standfestigkeit bewahren muss.

Der frühere Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel wird sich 2012 in schwieriger Lage als Schleusenwärter betätigen müssen. Einer, der aufpasst, dass nicht zu viel Geld in den Markt drängt, ohne dass die Politik Reformen durchsetzt und die verschuldeten Haushalte in Ordnung bringt. Das ist für Weidmann das Hauptübel, deshalb warnt er mit größer werdendem Furor davor, die Notenpresse anzuwerfen. Für viele in den angelsächsischen Ländern, aber auch in der EZB, ist er ein "Orthodoxer", ein Hardliner, einer aus der geldpolitischen "Stahlhelmfraktion" sozusagen. Seine Kritiker würden die EZB am liebsten zum Klon der US-Notenbank in Washington machen, die über Null-Zinsen und Anleihenkäufe immer wieder Geld in den Markt pumpt. Weidmann kennt die Szene nur allzu genau, schließlich hat er selbst einst für den IWF gearbeitet.

Nur für die richtige Sache zu kämpfen, wird dem Chef der Bundesbank nicht reichen. Er braucht 2012 Erfolge. Braucht mehr Verbündete in Europa, muss die Südländer und den undurchschaubaren Präsidenten Draghi für sich gewinnen. Es muss sein Jahr werden. Und das gegen die Schuldenmacher und gegen freigiebige Regierungen, die wiedergewählt werden wollen. Sein stärkster Verbündeter im Streit um die Stabilität des Geldwerts ist die Öffentlichkeit. Dort herrscht nach wie vor die Angst vor Inflation. Weidmann sieht sich als Anwalt dieser Leute, als Fürsprecher der kleinen Sparer. Und er hofft, dass sein Freund Jörg Asmussen, bisher Finanzstaatssekretär und nun im Direktorium der EZB, dort auch zum Chefvolkswirt aufsteigt.

Einstweilen versucht Jens Weidmann, ein wenig Dramatik aus dem Geschäft zu nehmen. Die Deutschen hätten im kommenden Jahr rund drei Prozent mehr Einkommen zur Verfügung, sagt er. Das Wachstum sei robust, der Euro stabil, auch im Vergleich zur D-Mark. Da könne man doch nicht so tun, als ob die Welt untergehe. Und doch: All die Unwuchten auf den Finanzmärkten werden ihn weiter zum Warner werden lassen, zum Rebell wider Willen. Jens Weidmann wird das im Rat der EZB erklären, gleich nach dem Präsidenten.

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