Wirtschaftpolitik der Linkspartei:Last der Macht

World Cup 2014 - Karl Marx as Fan

Selbst die Linkspartei beruft sich nur selten auf Karl Marx: Monument in Chemnitz, vom sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel und verziert von Fußballfans.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

25 Jahre nach dem Mauerfall wird es in Thüringen wohl bald den ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei geben - an der Spitze einer rot-rot-grünen Koalition. Welche Folgen hat das für die Wirtschaftspolitik?

Von Marc Beise

Gregor Gysi kennt seinen Karl Marx, und er mag ihn. Für den Übervater der Partei Die Linke, Jahrgang 1948, ist der Vordenker des Kommunismus, Jahrgang 1818, ein großer Geist, ein brillanter Analytiker. Von der praktischen Umsetzbarkeit der Marx'schen Thesen hält der bekennende Sozialist von heute weniger. Gysi ist Politikprofi, professionell wie wenige im Berliner Parteien- und Parlamentsbetrieb, und er hat ein Näschen für das, was geht. Und was nicht.

"Warten Sie's mal ab", sagte er schon vor Wochen, als nach der Landtagswahl in Thüringen nicht mal alle Linken so recht an eine linksgeführte Koalition im östlichen Bundesland glauben wollten, schon gar nicht die Auguren in der Bundeshauptstadt. "Das kommt schon, da können Sie ganz sicher sein." Jetzt, im Herbst 2014, sieht es so aus, dass Bodo Ramelow, Westimport aus Niedersachsen, der erste Linken-Ministerpräsident in der Bundesrepublik Deutschland wird, erfolgreiche Koalitionsverhandlungen seiner Partei mit den kleineren Gruppierungen SPD und Grüne vorausgesetzt.

Ein erstes Gespräch gab es schon, am Dienstag wird weiterverhandelt. Was bei vielen, die rechts von der Partei Die Linke, früher PDS, davor SED stehen, die Frage aufwirft, was das für die Politik des Bundeslandes bedeuten wird, und erst recht für die Wirtschaftspolitik.

Kommt die DDR zurück?

Das könnte man meinen, wenn man noch einmal den Vorschlag der Linken-Parteiführung zur Bundestagswahl 2013 herauskramt. Der atmet den Geist von Umverteilung und Verstaatlichung und das nicht zu knapp. Alle Wirtschaftszweige, die zur Daseinsvorsorge beitragen, sollten in öffentliches Eigentum überführt werden, Banken aufs Gemeinwohl verpflichtet, Rating-Agenturen verboten, Kapitalverkehrskontrollen eingeführt und Vermögen oberhalb von einer Million Euro sollen mit einer Abgabe belegt werden. Für Einkommen von mehr als einer Million Euro sollte in der Spitze ein Steuersatz von 75 Prozent gelten. Der Mindestlohn soll zehn Euro betragen, der Hartz-IV-Regelsatz auf 500 Euro erhöht werden. Die Mindestrente sehen die Linken bei 1050 Euro, die Rente mit 67 wollen sie, klar, rückgängig machen, des Weiteren eine Gehaltsobergrenze des 40-Fachen des Existenzminimums und so weiter und so fort.

Gebrauchsanweisung, wie man das Kapital aus Deutschland vertreibt

Das wird man, wenn man nicht Anhänger der Linkspartei ist, gerne als Gebrauchsanweisung sehen, wie man das Kapital aus Deutschland vertreibt, Arbeitsplätze vernichtet und die Volkswirtschaft in den Ruin treibt.

Das Ganze gepaart mit einer Belehrung durch Sahra Wagenknecht, Jahrgang 1969, ist die größtmögliche Dröhnung, die in Deutschland wirtschaftspolitisch derzeit möglich ist. Die 1. Stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag, früher gern "die schöne Kommunistin" genannt, hat für sich und ihre linken Linkenfreunde zwar Ludwig Erhard entdeckt, den "Vater des Wirtschaftswunders", liest ihn aber garantiert ganz anders als seine ordnungspolitischen Gefolgsleute im konservativen Lager. Zwar singt auch sie das hohe Lied der Marktwirtschaft, aber in einer ganz anderen Tonlage als ein, sagen wir: Wirtschaftsliberaler. Übrigens auch in einer anderen Tonlage als Ludwig Erhard selbst, der von den letztendlichen Segnungen des Kapitalismus überzeugt war und staatlichen Eingriffen misstrauisch gegenüberstand.

Wagenknecht dagegen sagt: "Ich kann mich mit dem Kapitalismus nicht anfreunden." Sie will einen "kreativen Sozialismus". Da, wo sie gegen die verantwortungslosen Banker wettert und gegen zu viel Europa, trifft sie sich mit konservativen Kritikern der Nach-Finanzkrisen-Ära - aber eben auch nur dort. Denn sie will auch Kernbranchen des Staates wie Banken, Energie, Transport, Post und Internet verstaatlichen, Vermögen radikal besteuern, Erbschaften über einer Million Euro enteignen. Das kann man alles wollen, nur leider ist Kapital in der heutigen Welt so flüchtig, dass es bald überall sein wird, nur nicht mehr in Deutschland. Und ohne Kapital, das hat die DDR schmerzlich erlebt, gibt es keine Investitionen, kein Wachstum und keinen Wohlstand.

Aber Wagenknecht ist ja nur das eine Gesicht der Linkspartei. Das andere ist Gysi, die personifizierte Vernunft. Wer ihn offen reden hört, fühlt sich an den alten Spruch erinnert: Wer jung ist und nicht links, hat kein Herz. Wer alt ist und nicht konservativ, hat kein Hirn. Gysi macht auch vor Unternehmern bella figura. Er nimmt vorweg, was sonst erst nach Erhalt des Ministeramtes gilt - Gysi war ja auch schon mal Wirtschaftssenator in Berlin, im Jahr 2002, wenn auch nur für ein halbes Jahr, ehe er wegen einer Lappalie zurücktrat, aber auch in dieser kurzen Zeit war er ziemlich pragmatisch.

Gysi weiß, wann er überziehen würde

Gysi, der alte Fuchs, weiß, wann er überziehen würde. Und da "der Gregor" und "der Bodo" gut miteinander können, weiß es der Ramelow im Zweifel auch.

Der Bodo sagt auf die Frage nach dem Alleinstellungsmerkmal seiner Partei in der Wirtschaftspolitik als Erstes Sätze wie diesen: "Wir müssen der klein- und mittelständischen Wirtschaft so beistehen, dass zum Beispiel staatliche Begleitung, Unterstützung, Beratung und Förderungen bei diesen Unternehmen schneller und unbürokratischer ankommen als bisher. Nicht der Bürger oder der Betrieb soll durch die Instanzen laufen, sondern die Behördenakten sollen sich bewegen." Sein persönlicher Draht zur Wirtschaft ist nach eigener Aussage "exzellent".

Und tatsächlich hat die Ramelow-Linke im Thüringer Wahlkampf gar nicht das Blaue vom Himmel versprochen wie die Berliner Kollegen, sondern war regelrecht demütig vor den Mühen des Alltags. Sie hat eigentlich nur eine einzige Zahl "garantiert": die 5000. So viele Lehrerstellen will sie schaffen, wohlgemerkt in zehn Jahren. Macht also 500 im Jahr.

Wer wissen will, was aus einem rot-rot-grünen Thüringen wird, kann auch mal in die Bundesländer gucken, in denen die Linken bereits mitregiert haben: In Sachsen-Anhalt tolerierten sie von 1994 bis 2002 eine rot-grüne Koalition, in Mecklenburg-Vorpommern regierten sie von 1998 bis 2006 mit, in Berlin von 2002 bis 2011, in Brandenburg seit 2009. Linke stellen im Osten Minister, Oberbürgermeister, Landräte. In Mecklenburg-Vorpommern halfen sie mit, die Hartz-IV-Gesetze durch die Berliner Instanzen zu bringen, obwohl das für die Bundes-PDS des Teufels war. In Berlin boxten sie ein Sparprogramm durch, das ihren Anhängern Tränen in die Augen trieb. Die Linke an der Regierung heißt bisher überall: Realpolitik.

Auf Landesebene lassen sich kaum wirtschaftspolitische Weichen stellen

Man kann auch nach Baden-Württemberg blicken, wo eine grün-rote Landesregierung selbst manchem in der Wolle CDU-gefärbten Unternehmer immerhin ein Achtungsräuspern entlockt, weil insbesondere die grün geführten Ministerien und die Staatskanzlei des Landesvaters Winfried Kretschmann zwar einigermaßen grün, vor allem aber professionell und mit dem Blick auf die Belastungsgrenzen der Wirtschaft geführt werden.

In Baden-Württemberg wird Realpolitik gemacht, freilich mit einem grünen Anstrich, also mit Augenmerk zum Beispiel auf die ökonomischen Chancen der ökologischen Wende. In Thüringen, könnte man fortfahren, wird in Zukunft ebenfalls Realpolitik gemacht, mit linkem Anstrich, also besonderem Augenmerk auf der Sozialpolitik. Aber selbst da wird vermutlich nicht weniger Geld zum Fenster rausgeworfen, als mancher erwartet. Oder anders ausgedrückt: In Thüringen wird mutmaßlich nicht unsolider gewirtschaftet als in Nordrhein-Westfalen unter SPD- und übrigens auch CDU-Ministerpräsidenten.

Denn, das weiß sogar Sahra Wagenknecht, und sie sagt es eher gequält, auf Landesebene kann man wirtschaftspolitisch so schrecklich viele Weichen gar nicht stellen. Die Umverteilungsfolterkammer der Linken steht, wenn überhaupt, in Berlin, nicht in der Provinz.

Wenn die Linke freilich, und da kommt wieder der Stratege Gregor Gysi ins Spiel, auf Landesebene reüssiert, dann wird sie womöglich eines Tages auch auf Bundesebene ministrabel. Dann wird sich zeigen, wie viel Erhard in der Partei steckt - oder ob es nicht doch der olle Marx ist, der das Sein bestimmt. Und was das dann, eines Tages, für die immer noch viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt heißt.

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