Finanzmärkte:Schwache deutsche Konjunktur lähmt Europa

Der Boom ist vorbei: Die deutsche Wirtschaft wächst im zweiten Quartal nur minimal, im restlichen Europa sieht es ähnlich schlecht aus. Ein bisschen Hoffnung machen dagegen gute Konjunkturzahlen aus den USA. Allerdings sind die Börsen trotzdem weiterhin im Minus - auch der Dow Jones verlor zu Handelsbeginn.

Gut ausgefallene US-Konjunkturdaten haben dem Dax am Dienstagnachmittag Unterstützung gegeben. Nach oben geschoben wurde der Leitindex zudem durch die Mitteilung von Fitch, die Bestnote "AAA" für die USA beizubehalten. Der Leitindex notierte 1,5 Prozent schwächer bei 5931 Punkten, nachdem er zuvor mehr als zwei Prozent niedriger gelegen hatte.

"Nach dem Warnschuss von S&P dürfte die Entscheidung von Fitch die Anleger erst einmal ein bisschen beruhigen", sagte ein Händler. Positiv aufgenommen wurde auch die US-Industrieproduktion, die im Juli unerwartet stark gestiegen ist. "Die Zahlen zur US-Industrieproduktion stellen ohne Zweifel eine positive Überraschung dar", schrieb die Postbank in einem Kurzkommentar. Sie ließen darauf hoffen, dass sich das US-Wachstum nach dem sehr schwachen ersten Halbjahr im laufenden Quartal wieder etwas beschleunige.

Allerdings ist der Boom in Deutschland zu Ende. Die deutsche Wirtschaft hat im zweiten Quartal 2011 merklich an Schwung verloren. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg zwischen April und Juni im Vergleich zum Vorquartal lediglich um 0,1 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt mit.

Diese Entwicklung bremste auch das Wachstum in der Eurozone kräftig. Das BIP in den 17 Euro-Ländern legte laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat im Vergleich zum Vorquartal nur um 0,2 Prozent zu. Auch die Wirtschaft aller 27 Staaten der Europäischen Union wuchs nur um 0,2 Prozent. In beiden Gebieten waren es im ersten Quartal noch 0,8 Prozent gewesen.

Die Abkühlung der deutschen Konjunktur war abzusehen, ihr Ausmaß enttäuschte Ökonomen und Investoren dann aber doch. Der Erholungskurs an den Aktienmärkten brach jäh ab: Am Vormittag notierte der Dax bis zu 2,7 Prozent im Minus, MDax und TecDax gaben zeitweise sogar mehr als drei Prozent ab.

"Das ist eine herbe Enttäuschung", sagte WestLB-Analyst Jörg Lüschow. "Die schwachen BIP-Zahlen für das zweite Quartal zeigen, dass auch Deutschland nicht die wirtschaftliche Insel der Glückseligkeit ist", sagte Marktstratege Robert Halver von der Baader Bank.

Nach dem Ende der letzten Wirtschaftskrise vor rund zwei Jahren hatte insbesondere in Deutschland ein Erholungseffekt eingesetzt, der in vielen Unternehmen zu überdurchschittlichen Wachstumsraten geführt hatte. Dieser Effekt hat inzwischen nachgelassen. Dass die Entwicklung nun so deutlich schwächer ausfiel, begründete Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), mit der Entwicklung des privaten Konsums, "der trotz guter Rahmenbedingungen wie hohem Beschäftigungsstand und steigenden Löhne wohl recht schwach war".

Vor der Veröffentlichung der Zahlen hatte die Nachrichtenagentur Reuters 45 Ökonomen befragt. Im Durchschnitt waren sie davon ausgegangen, dass die Konjunktur um etwa 0,5 Prozent zulegen würde. "Das ist das langsamste Wachstum seit Jahresbeginn 2009, als die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte", sagte ein Statistiker.

Als Gründe für die nachlassende Dynamik gelten die Staatsschuldenkrise im Euroraum und die schwächelnde US-Konjunktur - Gefahren, die in den vergangenen Wochen bereits die Börsen weltweit auf Sinkflug geschickt hatten. Eine weitere Ursache sieht Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer in der ungewöhnlich milden Witterung im ersten Quartal, durch die die Bautätigkeit zulasten des zweiten Quartals vorverlegt worden war. "Ohne diesen Effekt wäre das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal nach unseren Berechnungen nicht um 0,1 Prozent gewachsen, sondern um 0,4 Prozent." Doch auch ohne den Effekt hätte sich das Wachstum deutlich verlangsamt.

ING-Ökonom Carsten Brzeski sieht dennoch keinen Grund für Panik: "Nach dem überwältigenden ersten Quartal und im Lichte mehrerer externer Schocks wie den Erdbeben von Japan, dem Anstieg der Ölpreise und dem Abflauen der US-Konjunktur sollten die BIP-Zahlen eher als Normalisierung betrachtet werden denn als Enttäuschung."

Langfristiger Trend bleibt positiv

Volkswirte reagierten prompt und senkten ihre Prognosen für das Gesamtjahr. Die Commerzbank etwa korrigierte ihren Ausblick für 2011 von 3,4 Prozent auf 3,0 Prozent. Volkswirte hatten damit gerechnet, dass sich die Konjunktur abkühlt, aber immer noch ein Plus von bis zu 0,5 Prozent erwartet. Unicredit-Volkswirt Andreas Rees ist überzeugt: "Das zweite Quartal ist fundamental gesehen der Wendepunkt für die deutsche Wirtschaft, die in den nächsten Quartalen weniger stark wachsen wird. Das sehr hohe Wachstumstempo der deutschen Wirtschaft gehört der Vergangenheit an, wir müssen uns mit geringerem Wachstum zufriedengeben."

Berenberg-Bank-Ökonom Christian Schulz erwartet, dass Deutschland gestützt von der robusten Binnennachfrage besser durch die aktuelle Wachstumspause kommen wird als andere Länder: "Aber wenn die USA und mit ihr weitere Volkswirtschaften in die Rezession stürzen, wird es die offene deutsche Wirtschaft besonders hart treffen." Zusätzliche Sparmaßnahmen etwa in den Schuldenländern Frankreich und Italien dürften die wichtige deutsche Exportwirtschaft und damit die Konjunktur insgesamt zusätzlich bremsen.

Nach dem tiefen Einbruch um (korrigiert) 5,1 Prozent im Krisenjahr 2009 war die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr um (ebenfalls korrigierte) 3,7 Prozent gewachsen. Dank des starken Jahresauftakts hat die Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau von Anfang 2008 aber bereits wieder überschritten.

Auch der langfristige Trend ist deutlich positiv: Im Vorjahresvergleich wuchs das BIP nämlich um 2,8 Prozent. Im ersten Quartal waren im Vergleich mit 2010 noch 5,0 Prozent gemeldet worden. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wurde von 41 Millionen Erwerbstätigen erwirtschaftet. Das waren 553.000 Menschen oder 1,4 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Frankreichs Wirtschaft war im zweiten Quartal 2011 überraschend nicht gewachsen, das ohnehin schon moderate Wirtschaftswachstum in Spanien schwächte sich im Vergleich zum ersten Quartal von 0,3 Prozent auf 0,2 Prozent ab. Auch in anderen Industriestaaten kühlte sich das Wachstum im Frühjahr merklich ab. Die weltgrößte Volkswirtschaft USA wuchs um etwa 0,3 Prozent, die japanische Wirtschaft schrumpfte sogar um 0,3 Prozent.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: