Wirtschaft in Ostdeutschland:Aufbau und Angst

20 Jahre nach der Wende: Der Osten holt auf und hängt doch zurück. Eine andere Förderpolitik ist daher nötig. Statt in Beton muss mehr in Köpfe investiert werden.

Steffen Uhlmann

Fast 50 Seiten ist der Jubelreport lang, den Superillu vor dem zwanzigjährigen Jubiläum des Mauerfalls herausbringt. Der Tenor der Sonderpublikation des Magazins, das in den neuen Ländern erscheint, ist eindeutig: "Wir sind besser, als wir glauben!" Viel Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft versucht sich daran, den Ostdeutschen Stolz auf das seit 1989 Erreichte zu vermitteln. Aus Sicht der Autoren macht das Sinn. Denn das ewige Genöle am Aufbau Ost, der immer noch Milliarden verschlingt, mag im Osten kaum jemand hören. Die einen sind genervt, die anderen verbittert.

Unstruttalbrücke, Ostdeutschland, Foto: dpa

Bau der Unstruttalbrücke bei Karsdorf (Sachsen-Anhalt): Die ökonomische Bilanz von Ostdeutschland - eine Erfolgsgeschichte?

(Foto: Foto: dpa)

Keine Frage, die ökonomische Bilanz des Ostens lässt sich als Erfolgsgeschichte erzählen. Man muss nur durch die aufwendig sanierten Städte und Gemeinden laufen, um zu erfahren, was da wieder erblüht ist und vor dem Verfall gerettet wurde. Man fährt auf breiten Autobahnen und schlaglochfreien Straßen. Die ostdeutsche Infrastruktur gehört heute zu den modernsten der Welt. Viele neue Firmen sind entstanden, jedes der fünf neuen Länder kann auf industrielle Leuchttürme verweisen, die über bundesdeutsche Grenzen hinaus auf den Weltmarkt strahlen: Sachsen mit seiner Mikroelektronik rund um Dresden, Thüringen mit seiner optischen Industrie in Jena oder mit den Automobilbauern und -zulieferern von Eisenach, Brandenburg mit seiner Luft- und Raumfahrtindustrie, Sachsen-Anhalt mit der Photovoltaik im Raum Bitterfeld.

Auch sonst ist der Osten aufgestiegen. Der Lebensstandard ist für die meisten deutlich gewachsen. Wer Arbeit hat, verdient besser als zu DDR-Zeiten, fährt jetzt schickere Autos, muss nicht mehr irgendwelchen Konsumgütern hinterherjagen, die der DDR-Mangelstaat ohnehin kaum zu bieten hatte. Vor allem aber: Er kann reisen, so weit es die Geldbörse zulässt. Auch viele Rentnerhaushalte gehören zu den Gewinnern der Einheit, weil Mann und Frau im Arbeiterstaat gleichermaßen berufstätig waren und nun dank Sozialausgleich und Rentenanpassungen ein auskömmliches Einkommen beziehen.

Man kann die Nachwendegeschichte aber auch ganz anders erzählen. Fast ein Fünftel aller Wohnungen steht leer, weil die Ostdeutschen kaum noch Kinder zeugen und junge Leute mangels Perspektive gen Westen und in alle Welt abwandern. Über zwei Millionen Menschen hat der Osten seit dem Mauerfall verloren. Wer geblieben ist, verdient im Durchschnitt rund ein Drittel weniger, produziert ein Fünftel weniger oder ist gleich ohne Beschäftigung. Der Flachbildschirm ist relativ billig, Gesundheit, Bildung und Kultur dagegen sind für den Ossi immens teuer geworden. Und die Angst grassiert, dass der erreichte Lebensstandard über kurz oder lang nicht mehr zu halten sein wird.

Zur Wahrheit gehört auch: 20 Jahre nach dem Mauerfall bleiben der Osten und seine Wirtschaft weiter alimentiert wie ein ungeliebtes uneheliches Kind. Die Transfers aus dem Westen, die nach Berechnungen diverser Institute inzwischen über 1,5 Billionen Euro ausmachen sollen, haben es nicht vermocht, Ostdeutschland wirtschaftlich und sozial auf eigene Beine zu stellen. Die Hilfen werden auch noch in den nächsten 20 Jahren gebraucht. Aber selbst dann wird das West-Ost-Gefälle nicht beseitigt sein. Wenn die Ost-Wirtschaft von jetzt an jedes Jahr um einen Prozentpunkt mehr wachsen würde als der Westen - was zuletzt 2003 der Fall war -, bräuchten selbst die Vorzeigeländer Sachsen und Thüringen, in denen am Sonntag gewählt wird, über ein Vierteljahrhundert, um das nicht sehr reiche Saarland einzuholen.

Schönfärberei ist gefährlich - gerade für den Osten, gerade auch in der Krise. Die subventionsgetriebenen Leuchtturmbranchen, die vielen Regionen mehr Wohlstand gebracht haben, sind tief in den Strudel der Rezession geraten: Das gilt etwa für die Wadan-Werften an der Ostsee, denen die Aufträge fehlen, oder für die Halbleiter- und Photovoltaik-Produzenten, die unter dem Preisverfall auf den Weltmärkten leiden. Sollten solch zentrale Unternehmen verschwinden, hätte das Folgen für die Zulieferfirmen, den Handel und die Dienstleister rundherum - und damit auch für den Arbeitsmarkt, die Sozialstruktur und die Demographie in den betroffenen Regionen.

Immer deutlicher wird, dass die von den ostdeutschen Länderregierungen betriebene Subventionspolitik nach westlichem Vorbild die Strukturprobleme nicht wirklich lösen kann. Die ostdeutsche Wirtschaft taugt nicht als Kleinkopie des Westens. Das Land ist dünnbesiedelt, hat hauptsächlich ein kleinteiliges Gewerbe und dient westdeutschen Großunternehmen vorrangig als verlängerte Werkbank. Die bisherige Förderpolitik muss daher radikal umgebaut werden. Statt in Beton muss mehr in Köpfe investiert werden. Das stärkt die ostdeutsche Innovationskraft und eröffnet vor allem jungen Leute eine Zukunft im Osten.

Soll Ostdeutschland eine echte Chance haben, den Westen jemals einzuholen, müssen zudem vor allem jene Regionen gefördert werden, die bereits über eine starke Wirtschaft verfügen. Für den Rest geht es eher um eine ausreichende Daseinsvorsorge. Ob das politisch durchsetzbar ist, steht in den Sternen, weil bislang noch jedes Dorf und jede Ecke öffentliche Gelder bekommen hat - freilich ohne die Chance, damit ein selbsttragendes Wachstum zu erreichen. Das Ergebnis ist fatal. Der Osten bleibt trotz der Milliardenbeiträge innerhalb der EU ein Entwicklungsland und für Westdeutschland auf Dauer ein Klotz am Bein. Nur hat er sich das selbst zuzuschreiben - und nicht dem Westen.

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