Wirtschaft in Not:Rettet den Kapitalismus!

Was am "Kapitalismus" ist in der Krise gescheitert? Gefloppt ist die Idee, Finanzmärkte seien rational und könnten sich selbst regulieren. Nicht gescheitert aber ist der Übergang sozialistischer Staaten zur Marktwirtschaft.

Nikolaus Piper

Die Weltrezession ändert vieles, auch die Sprache. Nach dem Untergang der DDR war es eine Zeitlang unmodern, die Marktwirtschaft "Kapitalismus" zu nennen. Man redete lieber von "Globalisierung" oder kritisierte bei Kirchentagen und anderen Gelegenheiten "Neoliberale" und "Marktideologen". Doch nun, in der Krise, gibt es einen neuen Grundton: Demonstranten wollen "den Kapitalismus abwracken", Finanzminister Peer Steinbrück klagt über "maßlosen Kapitalismus" und Oskar Lafontaine erklärt, das Wort Kapitalismus gebe "einfach die gesellschaftlichen Machtverhältnisse" wieder. Nicht nur am linken und rechten Rand, auch in der Mitte der Gesellschaft wächst das Gefühl, dass der Kapitalismus schuld an der Wirtschaftskatastrophe ist. Er steht unter Anklage und "ficht seinen Prozess vor Richtern aus, die das Todesurteil bereits in der Tasche haben", wie der Ökonom Josef Schumpeter vor gut sechzig Jahren schrieb. Das alles sollte misstrauisch machen.

Kapitalismus, Foto: ddp

Erst kürzlich skandierten in Berlin und Frankfurt am Main Tausende gegen Staatshilfen für angeschlagene Banken.

(Foto: Foto: ddp)

Eine humane Wirtschaftsordnung

Wilhelm Röpke, einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, sprach einst vom "Maskenfest der Ideologien" und vermutete handfeste wirtschaftliche oder politische Interessen dahinter, wenn er derart hochtrabende Begriffe hörte. "Kapitalismus" ist jedenfalls so vieldeutig, dass jeder hineinpacken kann, was ihm gerade gefällt. Und gerade das macht den Begriff so gefährlich. Man kann damit den amerikanischen und den britischen Wirtschaftsstil vom kontinentaleuropäischen abgrenzen, man kann aber auch unterstellen, es gebe irgendeine Alternative zur Marktwirtschaft, wobei der Empörungsgehalt des Wortes einen der Pflicht enthebt, diese Alternative zu benennen.

Vieldeutig war der "Kapitalismus", seit es ihn gibt. Erfunden von dem schillernden französischen Staatssozialisten Louis Blanc, spielte der Begriff zu Beginn der Arbeiterbewegung nur eine untergeordnete Rolle. Karl Marx und Friedrich Engels schrieben über die "Bourgeoisie", das "bürgerliche Eigentum", den "Kapitalisten" und die "kapitalistische Produktionsweise", kaum aber über den "Kapitalismus" selbst.

Richtig populär wurde der Begriff, zumindest in Deutschland, nicht durch einen Linken, sondern durch den konservativen Ökonomen Werner Sombart. In dessen 1902 erschienenem Standardwerk war der "moderne Kapitalismus" zunächst lediglich eine wissenschaftliche Kategorie, die Beschreibung eines Wirtschaftssystems, das durch "Erwerbsprinzip und ökonomische Rationalität" gekennzeichnet war.

Sombart war aber ein zutiefst widersprüchlicher Mann; anfänglich sympathisierte er mit der Sozialdemokratie, bewegte sich dann jedoch weit nach rechts, wurde antisemitisch, antiwestlich und zum Anhänger des Nationalsozialismus. Entsprechend mutierte sein "Kapitalismus" von einem wissenschaftlichen Begriff zur ressentimentgeladenen Floskel, zum Gegenmodell der "Volksgemeinschaft". Seither ist der Begriff in Deutschland vergiftet, auch wenn dies heute kaum jemand wahrhaben möchte.

Jedenfalls stand am Anfang der Sozialen Marktwirtschaft und des westdeutschen Wirtschaftswunders der bewusste Bruch mit der Kapitalismus-Kritik im Sinne Sombarts. Walter Eucken, das Haupt der Freiburger Schule der Nationalökonomie, wollte das "Maskenfest der Ideologien" beenden und eine "erfahrungsmäßig basierte Wirtschaftspolitik" begründen. Er war überzeugt, dass die liberale Wirtschaftsordnung die einzig denkbare humane ist. Die Liberalen des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatten seiner Meinung nach versagt, aber nicht weil sie an die Marktwirtschaft glaubten, sondern weil sie nicht dafür gesorgt hatten, dass sie funktionierte. Es wäre heute höchste Zeit, an Eucken anzuknüpfen und zu einem rationalen, "erfahrungsbasierten" Diskurs über Wirtschaftspolitik zurückzukehren.

Dies zu fordern bedeutet nicht, die globale Krise kleinzureden, ganz im Gegenteil. Die Lage der Weltwirtschaft ist extrem bedrohlich und sie wird es auf lange Zeit hinaus auch noch bleiben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was die Globalisierung des späten 20. Jahrhunderts lehrt.

Nicht abwracken - sondern retten

Einige Daten scheinen sich zwar zu bessern, aber für viele Menschen steht das Schlimmste in Gestalt von Arbeitslosigkeit erst noch bevor. Umso wichtiger ist es, konkret und ohne Schnörkel darüber zu reden, was am "Kapitalismus" in der Krise gescheitert ist und was nicht. Gescheitert ist die Idee, Finanzmärkte seien rational und könnten sich selbst regulieren, gescheitert ist das Geschäftsmodell vieler Großbanken, gescheitert sind etliche Institutionen, vor allem die amerikanische Börsenaufsicht SEC, gescheitert ist das System der - wohlgemerkt: staatlichen - deutschen Landesbanken. Die Liste ließe sich verlängern.

Nicht gescheitert aber ist das, was inzwischen meist ebenfalls unter das Kapitalismus-Verdikt fällt: der Übergang bisher sozialistischer Staaten zur Marktwirtschaft und deren Integration durch globale Güter- und Kapitalmärkte.

Der Globalisierungsschub, der nach dem Fall der Berliner Mauer einsetzte, bleibt das zentrale ökonomische Ereignis dieser Epoche, es wird die jetzige Krise überdauern - und das ist ein Segen für Hunderte von Millionen Menschen. Die Hoffnung in dieser Krise gründet sich vor allem auf die Tatsache, dass die Politiker weltweit aus der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre gelernt haben. Die Notenbanken handeln rationaler als damals, die Regierungen greifen mit Konjunkturprogrammen ein und stützen die Banken. Vor allem unternimmt bisher, im Gegensatz zur Großen Depression, niemand den Versuch, die Globalisierung zurückzudrängen. Mehr noch: Die Neulinge der Globalisierung, vor allem die Volksrepublik China, sind in die Krisenpolitik einbezogen.

Rhetorik macht alles schlimmer

Aber diesen rationalen Kurs durchzuhalten, ist nicht einfach. Die Versuchungen des Nationalismus, des Protektionismus und des Rückfalls in die Staatswirtschaft sind groß angesichts der Billionen Euro und Dollar, die die Krise verschlingt, angesichts Massenarbeitslosigkeit und Vermögensverlusten. Die Parole "Wir zahlen nicht für eure Krise" ist verständlich und grundfalsch zugleich. Antikapitalistische Rhetorik macht alles noch schlimmer, weil sie Lösungen suggeriert, die es nicht gibt.

Bei der Lösung der konkreten Probleme lässt sich von den Vätern der sozialen Marktwirtschaft wenig lernen. Sie haben sich nicht mit den Finanzmärkten befasst, weil sie es nicht mussten. Die meisten Dinge, die heute neu zu regulieren sind, gab es 1949 gar nicht. Lernen lässt sich aber von den damals getroffenen Grundentscheidungen.

Die Globalisierung des späten 20. Jahrhunderts zeigt, ähnlich wie die Erfolgsgeschichte der frühen Bundesrepublik, dass nur funktionierende Märkte Wohlstand schaffen. Das westdeutsche Wirtschaftswunder begann, als Ludwig Erhard erkannte, dass trotz Weltwirtschaftskrise die Marktwirtschaft nicht das Problem, sondern die Lösung war. Wollte man den modischen Sprachgebrauch aufgreifen, könnte man sagen: Es geht nicht darum, den Kapitalismus abzuwracken - es geht darum, ihn zu retten.

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