Deutsche Wirtschaft unter Trump:Niemand hat so viel zu verlieren wie Deutschland

Teile von TTIP-Papieren sollen veröffentlicht werden

Ein deutsches Containerschiff in einem amerikanischen Hafen: Mittelständische Unternehmen sind das Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft.

(Foto: dpa)

Die deutsche Wirtschaft ist erfolgreich, aber höchst verletzlich. Sie braucht offene Grenzen und eine starke EU.

Kommentar von Nikolaus Piper

Paradox ist das: Seit einem Vierteljahrhundert ging es Deutschlands Wirtschaft nicht mehr so gut wie heute. Die Wirtschaft wächst, nicht mit grandiosen, dafür aber verlässlichen Raten, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Löhne steigen, und nebenbei hat das Land auch noch Flüchtlinge in historischem Ausmaß aufgenommen, ohne erkennbaren Schaden zu nehmen. Gleichzeitig hat jedoch eine Mehrheit der Bürger das Gefühl, dass es im Lande immer ungerechter zugeht.

International wird der wirtschaftliche Erfolg zunehmend zum politischen Problem. Deutschland ist unbestritten die wirtschaftliche Vormacht Europas. Das führt zu Neid, Furcht und gelegentlich Hass. Der Europa-Verdruss anderswo hat oft auch einen antideutschen Unterton.

In den Vereinigten Staaten - bisher einer der wichtigsten und verlässlichsten Handelspartner der Deutschen - ist das Wetter umgeschlagen. Der neue Präsident macht klar, dass er die hohen Handelsüberschüsse der Deutschen als "Ausbeutung" empfindet und entschlossen ist, den Verbündeten ohne transatlantische Sentimentalitäten abzustrafen. Bis vor Kurzem schien Deutschland nach den Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts endlich seinen Platz in der Welt gefunden zu haben, dank EU und dank des Bündnisses mit den USA. Jetzt steht dies plötzlich infrage, ausgerechnet aus ökonomischen Gründen. Höchste Zeit also, sich mit der wirtschaftlichen Identität Deutschlands zu befassen.

Wer nach dem wirtschaftlichen Selbstverständnis der Deutschen sucht, der landet früher oder später bei zwei Daten, dem 20. Juni 1948 und dem 21. Januar 1957. An dem einen Tag wurde im kriegszerstörten Westdeutschland die D-Mark eingeführt, am anderen die bruttolohnbezogene Rente. Im kollektiven Gedächtnis der Bundesbürger wurde die Währungsreform von 1948 zum großen Bruch mit der Vergangenheit und dem Beginn des Wirtschaftswunders. Das Rentenvotum markiert den Beginn des westdeutschen Wohlfahrtsstaates. Freier Markt plus starker Sozialstaat - das galt und gilt als das erfolgreiche "Modell Deutschland".

Deutschlands Platz in der Welt steht auf einmal infrage. Der ökonomische Erfolg wird zum politischen Problem.

Das Modell hatte von Beginn an seine Widersprüche. Der Bruch mit der Vergangenheit war nicht so glatt, wie es sich der Vater des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, und dessen liberale Freunde gedacht hatten. Es gab keine Stunde null, viele Strukturen blieben bestehen, gute ebenso wie schlechte. Vor allem gab es damals, wie in der übrigen Gesellschaft auch, noch reichlich braune Reste. Als 1968 junge Deutsche gegen das unzureichend entnazifizierte Establishment rebellierten, wollten sie gleich auch mit der sozialen Marktwirtschaft Schluss machen und steckten dabei selbst mehr in der Vergangenheit, als ihnen bewusst war. Mancher Protest gegen Wirtschaft und Technik jedenfalls klang mehr nach Martin Heidegger denn nach Karl Marx.

Auch im Modell Deutschland ist Platz für Demagogie

Seither geht der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands einher mit einer - oft romantischen - antikapitalistischen Grundstimmung. Es ist sicher kein Zufall, dass der Widerstand gegen das transatlantische Handelsabkommen TTIP nirgendwo in Europa so stark war wie in Deutschland. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass es ausgerechnet Donald Trump ist, der nun den TTIP-Gegnern zum Erfolg verhilft und das Abkommen für tot erklärt. Typisch deutsch ist wohl auch die Neigung, die Lage schlechter zu malen, als sie ist, und konsequenterweise die Sozialsysteme latent zu überfordern. Man wird sehen, was aus dem jetzt beginnenden Rentenwahlkampf herauskommt. Auch im Modell Deutschland ist Platz für Demagogie.

Für sich genommen hat Deutschlands Wirtschaft drei Stärken und zwei Schwächen. Die wichtigste Stärke ist der deutsche Mittelstand, also die Vielzahl kleiner und mittlerer Industrieunternehmen, hoch profitabel, häufig familiengeführt. Sie sitzen irgendwo in der Provinz und beliefern von dort als "heimliche Weltmeister" die ganze Welt. Sie sind das Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft, sie tragen dazu bei, dass Deutschland immer mehr Industriegüter ausführen wird als vergleichbare Länder.

Die alte Deutschland AG gibt es nicht mehr

Stärke Nummer zwei ist die Berufsausbildung. Das duale System von Berufsschule und Lehre bewirkt, dass es auf dem deutschen Arbeitsmarkt (fast) immer gut ausgebildete Facharbeiter gibt. Das System schafft Sozialkapital: Ein Arbeitgeber kann einen jungen Menschen aufwendig ausbilden, auch wenn er damit rechnen muss, dass ihn die Konkurrenz wegkauft. Denn er weiß, dass die anderen Unternehmen genauso ausbilden.

Drittens schließlich ist die deutsche Wirtschaft offen. Die alte Deutschland AG, ein System undurchschaubarer Verflechtungen, bei dem jeder irgendwie jedem gehört, gibt es nicht mehr - dank der rot-grünen Regierung Schröder übrigens. Die Firmen stehen im internationalen Wettbewerb um Kapital und Mitarbeiter, man spricht Englisch. Da sind die Deutschen anderen voraus.

Und nun zu den Schwächen. Die Bedingungen für den Aufbau von Großunternehmen sind hierzulande schlecht. Jeder Verbraucher auf der Welt hat jeden Tag mit den Produkten amerikanischer Konzerne zu tun, die erst in den 1970er-Jahren gegründet wurden, oder später: Microsoft, Apple, Google. Die meisten international operierenden Konzerne aus Deutschland dagegen wurden im 19. oder frühen 20. Jahrhundert gegründet (einzige Ausnahme ist SAP). Derzeit ist Deutschland gerade dabei, seine letzte global relevante Bank zu verlieren. Damit hat auch zu tun, dass Innovationen in Deutschland länger dauern als anderswo. Jetzt treiben die Firmen zwar tatsächlich die Digitalisierung und das Elektroauto voran, aber es bedurfte dazu eben erst einer kollektiven Anstrengung.

Die deutsche Wirtschaft ist erfolgreich, aber höchst verletzlich. Die politischen Risiken sind dabei so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sollte die Welt protektionistisch werden, wäre das für Deutschland eine Katastrophe. Der Erhalt offener Grenzen für den Handel und die Stärkung der EU müssen für die Politik Priorität haben. Niemand hat so viel zu verlieren wie Deutschland.

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