Wie Kriminelle das Finanzsystem gefährden:Der Sechs-Billionen-Dollar-Betrug

In Hongkong gedruckt, in Zürich zwischengelagert: Italiens Polizei fängt falsche US-Anleihen ab, es ist ein spektakulärer Erfolg. Die Papiere sollten einen Wert von mehr als sechs Billionen Dollar haben - mehr, als Deutschland in einem Jahr erwirtschaftet.

Nikolaus Piper, New York

Sechs Billionen Dollar. Eine sechs mit zwölf Nullen. Mehr als die deutsche Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres. Es wäre ein riesiger Geldbetrag, ein riesiger Betrug gewesen - wenn denn alles geklappt hätte. Das Ganze hätte sogar zu einer "ernsten Bedrohung der internationalen Finanzstabilität" führen können, warnt die italienische Polizei. Doch stattdessen wurde es zu einem spektakulären Erfolg für die Mafiajäger.

Italian Carabinieri display fake U.S. Treasury bonds during a news conference in the southern Italian city of Potenza

Italienische Polizisten präsentieren den Fund: gefälschte US-Staatsanleihen.

(Foto: Reuters)

Mit der "Operation Vulcanica" gegen das organisierte Verbrechen nahm die Polizei an verschiedenen Orten des Landes acht Männer unter dem dringenden Verdacht fest, einen großen internationalen Betrug mit gefälschten amerikanischen Staatsanleihen vorbereitet zu haben. Das teilte die Polizei in der süditalienischen Provinzhauptstadt Potenza mit. Drei der Männer sitzen jetzt in Untersuchungshaft, darunter nach Recherchen der Tageszeitung La Repubblica ein ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Montescaglioso. Der Betrug wurde durch die Aktion der Behörden verhindert.

Sechs Billionen Dollar, das entspricht mehr als einem Drittel sämtlicher ausstehender Staatsschulden der Vereinigten Staaten (15,4 Billionen Dollar). Die Verbrecher planten offenbar, die gefälschten Anleihen in Länder der Dritten Welt weiterzuverkaufen. Die phantastischen Zahlen auf den Anleihen dürfen allerdings nicht zu falschen Schlüssen führen: Der Fall belegt weniger die Macht des internationalen Verbrechens über die Finanzmärkte, sondern das Ausmaß, in dem bestimmte Verbrecher auf die Naivität und das Unwissen ihrer Mitmenschen zählen können. Die US-amerikanische Botschaft in Rom teilte nach Prüfung der beschlagnahmten Anleihen mit, diese seien noch nicht einmal "gefälscht", sondern lediglich "fiktiv", also reine Phantasieprodukte, von denen es eine "echte" Version nie gegeben hat.

"Verbreitetes Betrugsschema, besonders in Italien"

Die beschlagnahmten Papiere tragen das Ausgabedatum 1934 und sind in 6000 Tranchen zu je einer Milliarde Dollar aufgeteilt. Sie tragen die Aufschrift "Federal Reserve System" und "Chicago". Nach Auskunft der Federal Reserve Bank of New York beliefen sich jedoch die höchsten Tranchen, die 1934, nach dem Ende der Weltwirtschaftskrise, ausgegeben wurden, auf lediglich 100.000 Dollar. Sie kamen nie in den freien Handel, sondern wurden für Transaktionen zwischen der US-Notenbank Fed und ihren Mitgliedsbanken in den einzelnen Bundesstaaten verwendet.

Der Handel mit fiktiven amerikanischen Anleihen sei ein "verbreitetes Betrugsschema, besonders in Italien", erklärte Edwin Donovan, Sprecher des US Secret Service, in Washington. Anleihen mit phantastischen Nominalwerten seien besonders in Europa im Umlauf, wo das Publikum mit dem tatsächlichen Aussehen der US-Papiere nicht vertraut sei.

Die US-Notenbank Federal Reserve schätzt, dass unbedarfte Anleger mit Hilfe solcher falschen Anleihen bereits um insgesamt zehn Milliarden Dollar betrogen wurden. Nach Angaben der US-Behörden werden im Jahr durchschnittlich 100 Betrugsversuche mit US- Wertpapieren aufgedeckt. Im Jahr 2009 hatten Polizei und Zöllner zwei Lieferungen von Anleihen im Nennwert von 116 und 134 Milliarden Dollar beschlagnahmt. In beiden Fällen handelte es sich um Papiere mit dem Ausgabejahr 1934. Die Verbrecher behaupteten damals angeblich, die Papiere seien in Japan gefunden worden.

Auch der Friedensvertrag von Versailles tauchte auf - als Fälschung

Der Betrug, der durch die "Operation Vulcanica" gestoppt wurde, wäre jedoch der bei weitem größte der jüngeren Geschichte geworden. Und so sieht der Tathergang nach Darstellung der Polizei in Potenza aus: Die fiktiven Anleihen wurden vermutlich in Hongkong gedruckt und im Jahr 2006 in drei Kisten nach Zürich gebracht. Dort lagerten die Verbrecher die Papiere in den Safes einer schweizerischen Treuhandgesellschaft ein. Das würde erklären, warum Anleihen mit dem Ausgabejahr 1936 bereits 2009 in Umlauf kamen.

Die Schweizer Polizei konfiszierte die Papiere schließlich im Januar 2012 und informierte die Behörden in Italien. Wie die Staatsanwaltschaft Zürich mitteilte, ermittelte die Polizei in dem Kanton bereits 2011 gegen die Betrügerbande. Zusammen mit den fiktiven Anleihen entdeckten sie auch eine - ebenfalls gefälschte - Kopie des Friedensvertrages von Versailles. Offenkundig wollten die Verbrecher ihren Opfern eine Geschichte auftischen, wonach die angeblich fast achtzig Jahre alten Wertpapiere irgendwann zurückgezahlt werden könnten.

Der Staatsanwalt von Potenza, Giovanni Colangelo, sagte in einem Gespräch mit der New York Times, die Polizei hätten Telefongespräche der Verdächtigen abgehört. Danach hätten sie geplant, mithilfe der falschen Anleihen Plutonium auf dem nigerianischen Schwarzmarkt zu kaufen. Weitere Details teilte er jedoch nicht mit. Gefälschte oder fiktive Anleihen werden bei internationalen Betrügereien oft als Sicherheit verwendet, um einen normalen, legalen Kredit zu bekommen.

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