Widerrede (1):Warum der Aufruf der deutschen Wirtschaftswissenschaft schadet

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Für die Ökonomen, die die europäische Bankenrettung kritisieren, scheint ein Austritt Deutschlands aus dem Euro die beste Lösung zu sein. Sie müssten der Öffentlichkeit aber die Folgen erklären und den Schritt mit den Risiken vergleichen, die eine direkte Unterstützung der Banken aus dem Rettungsschirm mit sich bringt. Der Debatte fehlt es an Sachlichkeit.

Peter Bofinger

"Der Aufruf schadet dem öffentlichen Ansehen der deutschen Wirtschaftswissenschaft. In einer Diskussion, die naturgemäß durch viele Ängste und Emotionen geprägt ist, muss die Aufgabe der Wissenschaft darin bestehen, durch eine nüchterne Diagnose der Probleme und eine Analyse der Vor- und Nachteile alternativer Therapien zu einer Versachlichung beizutragen. Diesem Anspruch wird der Aufruf nicht gerecht.

Bei der Diagnose der Probleme im Bankensektor des Euro-Raums geht es in erster Linie um die Frage, welche Auswirkungen sich aus Bankinsolvenzen in den Problemländern auf die Stabilität des gesamten Finanzsystems des Euro-Raums ergeben können. In dem Aufruf wird lapidar festgestellt: 'Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen (...) kann: die Gläubiger selber, denn (...) nur sie verfügen über das notwendige Vermögen.'

Dabei wird verschwiegen, dass es sich bei den Gläubigern der Banken zu einem nicht unerheblichen Teil um Banken aus anderen Mitgliedsländern handelt, die eben nicht über das notwendige Eigenkapital verfügen, um größere Verluste abzufedern.

Die Hauptleidtragenden solcher Ansteckungseffekte sind deshalb nicht die 'Wall Street' oder die 'City of London', sondern Banken in Frankreich und Deutschland und damit auch der deutsche Sparer und der deutsche Steuerzahler. Ein Zusammenbruch des Bankensystems in Spanien oder Italien würde dort zudem zu einer schweren Rezession führen, von der auch die deutsche Wirtschaft erheblich beeinträchtigt würde.

Wissenschaftliche Beratung sollte neben einer sauberen Diagnose auch entsprechende wirtschaftspolitische Handlungsanweisungen geben. Abgesehen von der etwas naiven Aufforderung der Autoren des Aufrufs, dieses Thema sehr ernst zu nehmen und es mit den Abgeordneten Ihres Wahlkreises zu diskutieren, findet man hierzu keinen einzigen Satz. Wenn man das Bauchgefühl der Autoren richtig interpretiert (' ... die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euro-raum verfügen'), scheint für sie ein Austritt Deutschlands aus dem Euro die beste Lösung zu sein. Warum sprechen sie das aber nicht klar und deutlich aus?

Als Wissenschaftler sollten sie der Öffentlichkeit dann aber auch die Konsequenzen eines solchen Schritts verdeutlichen und sie mit den Risiken vergleichen, die sich aus einer der Möglichkeit einer direkten Rekapitalisierung von Banken durch den EFSF/ESM ergeben, wie sie jetzt durch den Gipfel ins Auge gefasst worden ist."

© SZ vom 09.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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