Wettlauf um Patente:Europas erfolgreichste Erfinder

Alle brauchen sie, Länder und Forschungsinstitute, Konzerne, Mittelständler und Gründer: Ohne Erfindungen gibt es keine Zukunft. Den Lohn aber streichen manchmal nicht die kreativen Köpfe ein, sondern bloß die Nachahmer.

Varinia Bernau und Sophie Crocoll

Das Ding nimmt ein Basketballfeld ein, wiegt so viel wie ein vollbetanktes Flugzeug - leistet aber auch mehr als 1200 Sportwagen zusammen. Eine Stadt wie Berlin kann die größte Gasturbine von Siemens versorgen. Um diesen Riesen auf Effizienz zu trimmen, haben 750 Ingenieure zehn Jahre lang geforscht. Mehr als 500 Millionen Euro hat der Konzern investiert. "Wir kommen in keinem unserer Bereiche ohne Patente aus", sagt Uwe Schriek, der bei Siemens in der Abteilung für geistiges Eigentum beschäftigt ist. Ein Patent, das sei so etwas wie eine Garantie auf den Rückfluss der hohen Forschungsausgaben.

Weltgrößte Gasturbine im Kraftwerk Irsching

In einer Gasturbine stecken etliche Patente. 

(Foto: dpa)

Die Internetagentur Effective Webwork kommt gerade dadurch an Aufträge, dass sie für ihre Software keine Lizenzgebühren verlangt. Zum Beispiel für Computerprogramme, die den Kern für Firmennetzwerke in der Gesundheitsbranche bilden. "Viele Krankenhäuser haben Angst davor, ihr Budget zu überziehen. Wenn man denen mit Lizenzgebühren kommt, fliegt man raus", sagt Karsten Wendland, einer der Partner des Unternehmens.

So unterschiedlich der Weltkonzern Siemens und die Internetagentur Effective Webwork sind - beide müssen erfinderisch sein. Siemens hat 2011 allein in Europa mehr als 2000 Patente angemeldet*. So viele wie kein anderes Unternehmen. Effective Webwork kommt ganz ohne aus. Wie kann das sein?

Den Wert eines Patents in dem Moment zu bestimmen, in dem man es anmeldet", sagt Jörn Block, "das ist unmöglich, denn dazu müsste man in die Zukunft schauen können." Block forscht mit Frank Spiegel an der Technischen Universität München zu Technologie- und Innovationsmanagement. Erst einmal, sagen die beiden Wissenschaftler, verschlingt ein Patent viel Geld. Für Recherchen zum Stand der Forschung, für Beratungen von Patentanwälten, für Übersetzungen.

Patente kosten

Am Deutschen Patentamt zahlt man bis zur Erteilung eines Patents etwa 10.000 Euro, in Japan oder den USA das Doppelte, am Europäischen Patentamt eher das Siebenfache, rechnet Helmut Schubert vor. Er leitet die Patentabteilung der Fraunhofer-Gesellschaft, deren Forschung zu einem Drittel vom Staat und zu zwei Dritteln von der Wirtschaft finanziert wird. 20 Millionen Euro, sagt Schubert, gibt seine Einrichtung jährlich für die Bearbeitung und Anmeldung von Patenten aus. Mehr als 100 Millionen Euro an Einnahmen stehen dem gegenüber - Lizenzgebühren, die die Gesellschaft von all jenen erhält, die Ideen nutzen, die an einem der Fraunhofer-Institute entstanden sind.

Etwa den in Berlin entwickelten Standard H264. Der ermöglicht es, Daten so zu komprimieren, dass sich auch hochauflösende Bilder speichern und übertragen lassen - ohne, dass die Bildqualität leidet. In dieser Technologie stecken 200 Patente, etwa 30 wurden am Fraunhofer-Institut entwickelt. Und etwa 500 Lizenznehmer greifen darauf zu. Ein Fernsehhersteller zahlt pro Gerät etwa 30 Cent an die Fraunhofer-Gesellschaft, ein Hersteller von Blue-Ray-Discs noch etwas weniger. Doch die kleinen Beträge summieren sich.

Dieser Aufwand lohnt sich aber nur dann, wenn sich eine Erfindung nicht so leicht kopieren lässt. So wie der Videostandard oder die Gasturbine. Die Quellcodes hingegen, auf denen das Programm von Effective Webwork basiert, sind offen zugänglich. Jeder Programmierer kann damit arbeiten. Das Unternehmen verdient sein Geld, indem es Krankenhäuser berät, die Probleme mit ihrem Intranet haben, weil etwa Mitarbeiter die benötigten Dokumente nicht mehr finden. Programmieren die Berater die Plattform nach den Vorstellungen des Kunden, bezahlt der auch dafür. "Unsere Tagessätze liegen beim Doppelten dessen, was andere Web-Agenturen verlangen", sagt Karsten Wendland. "Dafür bekommen unsere Kunden nicht irgendeine Software, sondern genau, was sie brauchen. Und wenn sie wollen, sind sie uns danach wieder los." Dass andere Firmen auf Basis der Quellcodes das Programm nachbauen und zu Konkurrenten werden könnten, beunruhigt Wendland nicht. Den Rivalen fehle das Gespür dafür, was Krankenhäuser wollen. Und viele seien nicht bereit, ihr System immer wieder anzupassen.

Ähnlich wie in der Internetszene ist es auch im Handel: Jeder kann sich versuchen, aber nicht jeder wird sich am Ende durchsetzen. Bei Dienstleistungen zählen eben andere Dinge als die ausgeklügelte Erfindung. Deshalb sind McDonald's und Google auch ohne Patente weit gekommen. Und doch lässt sich darüber streiten, ob diese Unternehmen nicht ebenso stark unsere Gesellschaft verändern wie Siemens mit seinen Innovationen.

Nicht jedes Patent steht für Innovation

Und nicht jedes Patent steht wiederum für eine echte Innovation, betonen Block und Spiegel. Während in der Pharmaindustrie eine Erfindung in ein Patent münde und dieses wiederum in ein Medikament, stecken in einem Handy Tausende von Patenten. Mit einem einzigen Patent kann ein Unternehmen alle anderen blockieren. Er kann seine Lizenzforderungen in die Höhe schrauben oder Verkaufsstopps verhängen lassen. Es sind juristische Gefechte, wie sie etwa Apple und Samsung gerade quer über den Globus führen. Patente sind längst zu einer Waffe geworden, um die Konkurrenz auf Abstand zu halten.

Europäisches Patentamt, 2004

Bis zu 70.000 Euro kann eine Patentanmeldung beim Europäischen Patentamt kosten. 

(Foto: Rumpf)

Natürlich, sagen die Wissenschaftler, habe es ein Weltkonzern da leichter. Hilflos aber sei ein Mittelständler noch lange nicht. "Er kann seine Erfindung geheim halten. Das ist zunächst die billigste Lösung, kann aber teuer werden, wenn jemand anderer zufällig auf dieselbe Idee kommt, sich diese patentieren lässt - und dann Lizenzen für etwas verlangt, das der Unternehmer längst im alltäglichen Geschäft nutzt." Klüger sei es, seine Erfindung zu dokumentieren. Und zwar so, dass der Unternehmer im Streitfall zwar nachweisen kann, dass er die Idee bereits hatte. Aber zugleich auch so, dass diese Idee möglichst geheim bleibt - beispielsweise in einer Fachzeitschrift, die kaum jemand liest, oder im Schaukasten am eigenen Werkstor.

Aber selbst eine geniale Erfindung ist wertlos, wenn sich kein Kunde für das Produkt interessiert, in dem sie steckt. Ein Patent, sagt Philipp Sandner, muss in den richtigen Zusammenhang gestellt werden, damit es seinen Wert entfaltet. Sandner ist so etwas wie ein Makler. Er bringt Erfinder mit einer guten Idee und Unternehmen, die diese Idee nutzen können, zusammen. Vor kurzem hat er einen Interessenten für eine Technologie gesucht, die ein schwäbischer Mittelständler entwickelt hat, um Bezahlungen mit dem Handy zu erleichtern. Ein Anwalt sagte ihm zunächst, dass er für das Patent keinen Euro bekomme, weil es vor Gericht zu leicht anzufechten sei. Eine deutsche Firma wollte 20.000 Euro für das Patent zahlen, ein US-Unternehmen 200.000 Euro. Letztlich hat Sandner das Patent für eine halbe Million Euro verkauft. An ein Unternehmen aus Südkorea.

Die unterschiedlichen Gebote sind kein Zufall: Technologien verkauft Sandner dort am besten, wo sie gebraucht werden. Die wichtigsten Technologieunternehmen sitzen in den Vereinigten Staaten oder in Asien. In Deutschland gibt es keinen großen Hersteller von Computern mehr. Von einem Ausverkauf der guten Ideen will Sandner trotzdem nicht sprechen. Ein schwäbischer Unternehmer, so beschreibt er seine Erfahrungen, verkaufe vielleicht ein Patent. "Aber er behält seine gute Ausbildung und seinen Forschungsdrang."

Innovation, das sagt auch Norbert Lütke-Entrup aus der Forschungsabteilung von Siemens, sei nichts, was nur innerhalb eines Unternehmens stattfindet. "Sie kommen nicht weiter, wenn Sie sich nur ins Labor einschließen." Der Austausch mit Kunden und Zulieferern, mit Hochschulen und Partnerunternehmen, sei ebenso wichtig, um die Forschung voranzubringen. Und für einen Konzern wie Siemens heißt dies: Kooperationen werden weltweit geschlossen, neue Ideen quer über den Globus entwickelt. Bei solchen Kooperationen seien Patente wichtig. Sie sind so etwas wie eine Währung für das Wissen, das jeder einbringt und sich am Ende eben auch vergüten lassen kann. Und diese Währung wird inzwischen auch in Regionen akzeptiert, in denen lange Zeit hemmungslos kopiert wurde - ohne dafür zu zahlen. "Wir teilen die China-Schelte nicht", betont Schriek aus der Patentabteilung von Siemens. "Chinesische Unternehmen haben inzwischen selbst beachtliche Entwicklungskapazitäten. Das führt zwangsläufig dazu, dass China auch ein gesteigertes Interesse daran hat, den Schutz seines geistigen Eigentums voranzutreiben."

*Anmerkung der Redaktion: Siemens hat 2011 in Europa nicht mehr als 200 Patente angemeldet, sondern mehr als 2000.

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