Wettbewerbsfähigkeit:Vermessung eines Mantras

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Unter Politikern und Ökonomen gibt es ein Zauberwort: Die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten. Aber was heißt das genau? Eine neue Rangliste zeigt nun, wie sich die Länder schlagen - und warum.

Von Benedikt Müller

Wenn Politiker und Ökonomen über krisengeplagte Euro-Staaten oder Schwellenländer reden, dann gibt es ein Zauberwort: die Wettbewerbsfähigkeit. Je nachdem, wie es um eine Volkswirtschaft steht, muss ihre Wettbewerbsfähigkeit entweder "gesichert" werden (minderschwerer Fall) oder "dringend wiederhergestellt" werden (Alarmstufe Rot). Wenn es gerade nicht konkreter geht, passt dieses Mantra immer. Doch was heißt das genau?

Jedes Jahr versuchen die Forscher des Weltwirtschaftsforums zu messen, wie wettbewerbsfähig die Staaten sind. Dazu ziehen sie über 100 Kriterien heran: vom Zustand der Straßen über die Ausbildung der Arbeitskräfte bis zu den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Laut der aktuellen, am Mittwoch veröffentlichten Rangliste ist die Schweiz am besten für den globalen Wettbewerb gerüstet: Unternehmen wie Novartis oder Roche investieren Milliarden in neue Verfahren, zudem locken die hohen Gehälter qualifizierte Arbeitskräfte ins Land. Abwärts ging es für Brasilien: Die Wettbewerbsfähigkeit leide etwa unter der Korruption und dem schlechten Zustand der Verkehrswege, schreiben die Autoren.

Freilich ist das Weltwirtschaftsforum keine neutrale Organisation. Es ist ein Netzwerk, zu dem die größten Unternehmen der Welt gehören. Auch die Studie zur Wettbewerbsfähigkeit wertet beispielsweise Eingriffe in den Arbeitsmarkt oder hohe Steuern als schädlich, ohne deren gesellschaftliche Bedeutung unmittelbar zu würdigen. Allerdings kann den Daten eine gewisse Aussagekraft nicht abgesprochen werden. Schließlich finden sich die wettbewerbsfähigsten Staaten auch beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf den vorderen Plätzen wieder. Die Schweiz kam tatsächlich relativ gut durch die Finanzkrise, und in Brasilien läuft das Volk zurzeit Sturm gegen die Wirtschaftspolitik.

Insofern ist es kein schlechtes Zeichen, dass sich Deutschland auf Rang vier der Liste verbessert hat. Die Autoren loben hierzulande das dichte Netz hoch entwickelter Unternehmen sowie die Kommunikations- und Verkehrswege. Abträglich seien der Wettbewerbsfähigkeit hingegen das Steuersystem und die "ineffiziente Bürokratie der Regierung". Das hätten sich die Politiker, die gerne mit der Wettbewerbsfähigkeit argumentieren, wahrscheinlich anders vorgestellt.

© SZ vom 01.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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