Wettbewerb im digitalen Zeitalter:Warum das Kartellamt die Fernbus-Fusion nicht genehmigen muss

Zentraler Omnibusbahnhof Hannover

Ein Fernbus in Hannover: Flixbus beauftragt mittelständische Busunternehmen, die Linien zu betreiben. Deshalb ist der Umsatz des Vermittlers geringer als gedacht.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Nach der Übernahme von Postbus hat der Fernbus-Anbieter Flixbus einen Marktanteil von 80 Prozent. Trotzdem muss das Kartellamt die Fusion nicht genehmigen.
  • Das Kartellamt prüft erst, wenn der Umsatz der beteiligten Unternehmen 500 Millionen Euro übersteigt.
  • Flixbus unterschreitet diese Schwelle locker, auch weil sie die Busse nicht selbst betreibt.

Von Benedikt Müller

Die Verwunderung ist groß. Da übernimmt das Unternehmen Flixbus, das den Fernbusmarkt in Deutschland sowieso schon dominiert, seinen größten Konkurrenten Postbus, baut damit den Marktanteil auf mehr als 80 Prozent aus. Und doch schreitet das Kartellamt nicht ein, prüft die Fusion nicht einmal. Wie kann das sein, fragen Kunden, Verbraucherschützer und Politiker: Sollen wir zuschauen, wie ein umkämpfter Markt allmählich zum Monopol verkommt?

Selbst der renommierte Wettbewerbsökonom Justus Haucap sagt: "Angesichts des Marktanteils von mehr als 80 Prozent wäre es nicht schlecht gewesen, wenn die Fusion von Flixbus und Postbus wenigstens geprüft worden wäre."

Doch das Bundeskartellamt konnte im Fall Flixbus und Postbus nicht handeln. Und das wussten die Firmen genau, als sie die Behörde über die Fusion informierten. Denn das Kartellamt prüft Zusammenschlüsse erst, wenn die beteiligten Firmen eine gewisse Größe erreicht haben. Gemessen wird diese ausschließlich am weltweiten Umsatz beider Unternehmen. Dieser muss mindestens 500 Millionen Euro betragen; davon müssen 25 Millionen Euro in Deutschland erwirtschaftet werden.

Dass Flixbus diese Schwelle locker unterschreitet, liegt am Geschäftsmodell: Die junge Firma besitzt keine eigenen Busse, sondern beauftragt mittelständische Busunternehmen, im Namen und Anstrich von Flixbus durch das Land zu fahren.

Künftig soll auch der Kaufpreis entscheiden

Flixbus macht Werbung, verkauft Fahrkarten und erhält dafür eine Provision von den Busunternehmen. Deshalb ist der Umsatz von Flixbus geringer als die Summe aller vermittelten Fahrten. Das junge, nicht börsennotierte Unternehmen veröffentlicht seinen Umsatz bislang nicht. Doch fest steht: Wer für 22 Euro von Berlin nach München fährt, zahlt letztlich nur ein paar Euro in die Flixbus-Kasse. So erscheint das Unternehmen auf dem Papier kleiner, unbedeutender, als es vielleicht ist.

Und das gilt für viele junge Firmen. Erst kürzlich hat sich der Taxi-Konkurrent Uber mit dem chinesischen Pendant Didi zusammengeschlossen. Die Plattformen vermitteln Taxi-Kunden an private Fahrer. Das Volumen aller Fahrten ist riesig, doch der Umsatz der Vermittler ist nur ein Bruchteil dessen. Genauso auf dem Markt für Ferienunterkünfte: Immer mehr Urlauber buchen Privatzimmer über Portale wie Airbnb oder Wimdu, klassischen Hotels brechen Umsätze weg. Wimdus eigener Umsatz dagegen spiegelt diese Bedeutung nicht im Ansatz wider.

Deshalb stehen die Mindestumsätze, die der Staat dem Kartellamt vorschreibt, in der Kritik. Im Prinzip seien sie zwar vernünftig, sagt Ökonom Haucap. "Wenn das Bundeskartellamt jede Fusion in Deutschland prüfen müsste, und sei es nur der Zusammenschluss zweier Imbissbuden in einer Stadt, würde die Bürokratie überhand nehmen." Doch gerade auf neuen, schnell wachsenden Märkten seien die Umsätze einzelner Unternehmen oft noch sehr niedrig, "obwohl man schon weiß, dass die Unternehmen sehr groß werden können."

Umsatz und Bedeutung des Unternehmens klaffen oft auseinander

Auch Angelika Westerwelle, Mitglied der Monopolkommission der Bundesregierung, hält die Umsatzschwellen für nicht mehr zeitgemäß. "Sie stammen aus einer Zeit, in der Unternehmen anders expandierten als heute." Früher wäre ein Busmarkt gewachsen, indem sich beispielsweise ein Anbieter zunächst im Norden, ein anderer im Süden ausgebreitet hätte. Der Verdrängungswettbewerb hätte später begonnen. "Heute verhält sich ein Unternehmen wie Flixbus wie ein Digital-Start-up: Es erkauft sich schnelles Wachstum mit sehr niedrigen Preisen", sagt Westerwelle. Wer länger durchhalte, erreiche schnell eine marktbeherrschende Stellung. Selbst mit niedrigen Umsätzen.

Wie weit der Umsatz und die Bedeutung eines jungen Unternehmens auseinandergehen können, wurde besonders deutlich, als Facebook vor gut zwei Jahren den Handy-Nachrichtendienst Whatsapp übernahm. 19 Milliarden Euro zahlte das soziale Netzwerk für das junge Unternehmen. Dabei ist der Umsatz von Whatsapp in den einzelnen Ländern gering. Deshalb schalteten sich in Europa nur wenige nationale Kartellbehörden in Facebooks Fusionspläne ein. Der hohe Kaufpreis zeigt jedoch die Bedeutung von Whatsapp für den Markt an Digitalangeboten: Die vielen Nutzer und deren Daten machen das Chat-Programm so wertvoll, nicht die Geschäftszahlen des Vorjahrs.

Expertin hält große Anbieter für sinnvoll

Deshalb will die Bundesregierung dem Kartellamt neue Eingriffsmöglichkeiten geben. Sie arbeitet zurzeit an einer Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Künftig soll das Kartellamt auch dann einen Zusammenschluss prüfen, wenn der Kaufpreis mindestens 350 Millionen Euro beträgt. Wettbewerbsexperte Haucap begrüßt zwar den Plan. Doch sei der Grenzwert zu hoch angesetzt. "In den USA liegt die Schwelle zurzeit bei gut 70 Millionen Dollar, dabei ist der US-Markt viel größer als der deutsche", sagt Haucap. Die Fusion von Flixbus und Postbus wäre sicherlich unter einer 350-Millionen-Euro-Grenze geblieben, schließlich wollte die Deutsche Post ihr Busgeschäft loswerden. Offiziell schweigen die Firmen über den Kaufpreis.

Doch selbst wenn das Kartellamt die Fernbus-Fusion geprüft hätte, ist unklar, zu welchem Schluss die Behörde gekommen wäre: Geht es bei der Stellung von Flixbus nur um den Fernbus-Markt, oder sind Flixbus' wahre Konkurrenten die Bahn und die Fluggesellschaften? Expertin Westerwelle ist überzeugt, dass ein großer Fernbus-Anbieter mit einem flächendeckenden Netz den Wettbewerb mit anderen Verkehrsmitteln besser führen kann als viele kleine.

"Sollte Flixbus die Preise zu stark erhöhen, öffnet das den Raum für neue Wettbewerber", sagt Westerwelle. "Denn die Eintrittsbarrieren auf dem Busmarkt sind vergleichsweise niedrig." So wie im April 2015, als der britische Anbieter Megabus mit Kampfpreisen von einem Euro pro Fahrt in Deutschland startete. Doch die Geschichte endete vor gut einem Monat: Da kündigte Marktführer Flixbus an, das Geschäft von Megabus in Kontinentaleuropa zu übernehmen.

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