Werkswohnungen:Job plus Bleibe

Unternehmen bauen wieder Wohnungen für Mitarbeiter. Die Betriebe lösen damit gleich zwei Probleme: den Mangel an Fachkräften und den Bedarf an Wohnungen. Werkswohnungen waren schon mal in. Dann verkauften viele Firmen ihre Immobilien.

Von Thomas Öchsner und Steffen Uhlmann, Berlin/München

Werkswohnungen galten in Deutschland lange als Auslaufmodell. Viele Unternehmen wie etwa die Deutsche Bahn, RWE, die Deutsche Post, TUI, Bayer, Thyssenkrupp, Daimler oder Siemens verkauften solche Immobilien - zu gering war der Ertrag, zu groß erschien ihnen der Aufwand, zu wenig zu tun hatten die Wohnungen mit dem Kerngeschäft. Doch nun wird die Werkswohnung neu entdeckt. Das geht aus einer Untersuchung des Berliner Forschungs- und Beratungsinstitut Regiokontext hervor. "Es gibt das Comeback der alten Werkswohnung - allerdings frisch verpackt, in Konzepten zum Mitarbeiterwohnen. Hier entwickeln sich neue Zukunftsmodelle für Wohnen und Arbeiten in Deutschland", sagt Studienleiter Arnt von Bodelschwingh.

Für die Untersuchung befragte das Berliner Institut bundesweit 55 Arbeitgeber. Demnach bieten Handwerksbetriebe genauso wie große Unternehmen wieder verstärkt neben einem Job auch eine feste Bleibe, vor allem in Regionen, in denen die Wohnungsnot groß ist. "Mitarbeiterwohnungen sind kein exotisches Nischenthema mehr", sagt Bodelschwingh. Die Betriebe reagierten damit auf einen doppelten Mangel: den an Wohnungen und den an Fachkräften.

Besonders kommunale Unternehmen setzen wieder verstärkt auf Wohnungen für Mitarbeiter. Oft können sie noch eigene Flächen nutzen, die sie nicht mehr brauchen. Dann fallen die Kosten für das Bauland weg, das knapp ist und sich in den Groß- und Universitätsstädten extrem verteuert hat. "Gute Fachkräfte sind in Ballungsgebieten wie Köln hart umkämpft", sagt Sophie von Saldern, Personalchefin der Kölner Verkehrsbetriebe. Außerdem könne man als kommunaler Arbeitgeber bei der Bezahlung mit privaten Unternehmen nicht mithalten. Umso wichtiger seien die eigenen Wohnungen "im Wettbewerb um die besten Köpfe".

Im Vergleich zum freien Markt seien die Mieten der Wohnungen sehr attraktiv, bestätigt Bernd Preuss, Chef der Wohnungsgesellschaft der Stadtwerke Köln. Die Sicherung von Fachkräften habe dabei Vorrang gegenüber dem Wunsch, gute Renditen zu erzielen. Die Quadratmeterpreise lägen zwischen einem und 3,50 Euro unter den marktüblichen Kölner Preisen für Kaltmieten. Trotzdem, so Preuss, erreiche die Wohnungsgesellschaft mit ihren knapp 2000 Mitarbeiterwohnungen in der Jahresbilanz zumindest eine "schwarze Null".

Was nun wieder modern wird, hat eine lange Geschichte: Im 19. Jahrhundert begann in Deutschland mit Beginn der Industrialisierung der Werkswohnungsbau. Die Bevölkerung wuchs, Wohnungen fehlten, aber für die vielen ersten großen Fabriken waren dringend Arbeiter gesucht. So entstanden zunächst Mitarbeiterwohnungen und -häuser in Bergbauregionen wie dem Ruhrgebiet. Unternehmer wie Alfred Krupp ließen ganze Siedlungen bauen. In Berlin schuf Siemens Wohnraum, in Ludwigshafen der Chemiekonzern BASF. Fabrikbesitzer konnten so auch Arbeiter an ihre Unternehmen binden. Die Werkswohnung avancierte zur betrieblichen Sozialleistung.

Noch in den 1970er-Jahren belief sich die Zahl der Werkswohnungen auf mehr als 450 000 in Deutschland. Doch davon blieb nach dem großen Ausverkauf in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr viel übrig. Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), schätzt, dass aktuell noch knapp 100 000 dieser Werkswohnungen vorhanden sind.

Eine Statistik, wie viele zuletzt neu entstanden sind, gibt es nicht. GdW-Präsident Gedaschko hofft aber, dass die neuen Mitarbeiterwohnungen dazu beitragen, das Defizit an bezahlbaren Wohnraum für Haushalte mit mittleren und unteren Einkommen wenigstens zu verringern.

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