Werkschließung in Bochum:Wie das GM-Management Opel in die Krise trieb

Interaktive Grafik: Opel in Europa

Opel-Werke in Europa

López-Effekt, schlechte Informationspolitik und ein US-Management, das die eigenen Marken einander attackieren lässt: Viele Ursachen der Misere von Opel liegen in den Chefetagen. Womit hat die Misere angefangen? Wie geht es mit Opel weiter? Fragen und Antworten zur Werkschließung in Bochum.

Fragen und Antworten von Jannis Brühl und Pia Ratzesberger

Herbert Grönemeyer hat sich getäuscht. "Hier, wo das Herz noch zählt/Nicht das große Geld" singt er in "Bochum", der Hymne über die Ruhrstadt. Doch das große Geld zählt eben doch, und dem Management bringen die teuren deutschen Arbeitskräfte zu wenig davon ein. Deshalb soll das Bochumer Werk 2016 schließen, es geht um mehr als 3000 Jobs. Doch wer ist verantwortlich? Warum machen es andere besser? Und womit hat die Misere angefangen? Fragen und Antworten zur Werkschließung.

Welche langfristigen Fehler hat das Management von GM gemacht?

Einst hatte Opel Marktanteile von mehr als 20 Prozent, in diesem Jahr fielen sie auf das historische Tief von sieben Prozent. Bis in die Achtziger war Opel noch ernstzunehmender Konkurrent von Volkswagen. Auch wegen des Sparkurses im Einkauf unter der Ägide von Manager José Ignacio López schwand erst die Qualität, dann das Image. Der eigensinnige Baske drückte die Preise für die Zulieferer immer weiter, die reagierten mit sinkender Qualität. Die vielen Mängel bei Einzelteilen schreckten Kunden ab, zum Beispiel beim Astra.

GM macht mit Opel seit langem hohe Verluste - und reagiert hauptsächlich mit Stellenstreichungen und Wechseln an der Spitze. Sieben Chefs in 14 Jahren hat GM verschlissen. Unter dem sechsten, Karl-Friedrich Stracke, zeichnete sich ein Kompromisskurs mit Arbeitnehmervertretern ab. Er wollte Arbeitnehmern im Gegenzug für Lohnstreichungen eine Gnadenfrist bis 2017 einräumen. Doch Stracke trat im Sommer ab, sein Nachfolger Thomas Sedran verkündete den Bochumer Beschäftigten am Montag das Aus.

Auch die Debatte um die Zukunft der Firma dürfte potenzielle Kunden verunsichert haben - viele fragen sich seit Jahren, wie lange es die Firma überhaupt noch geben wird. Im Jahr 2009 war schon ausgemachte Sache, dass die defizitäre Tochter aus der Muttergesellschaft General Motors (GM) herausgelöst wird. Doch nach langem Gezerre platzte der Deal mit dem kanadisch-österreichischen Zulieferer Magna und der russischen Sberbank, obwohl die schon offiziell den Zuschlag erhalten hatten. Einziger Gewinner des Geschachers war am Ende der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Er gewann in der öffentlichen Meinung an Profil, weil er sich gegen den Rest der Bundesregierung gestellt hatte: Er trat für eine Insolvenz des Unternehmens an und drohte angeblich sogar mit Rücktritt.

Welche kurzfristigen Ursachen hat Opels Krise?

Auch die Schuldenkrise trifft die Branche hart. Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen, macht sie mitverantwortlich dafür, dass das Bochumer Opel-Werk geschlossen wird: "Diese Schuldenkrise hat die Automobilmärkte in Europa ganz, ganz tief getroffen", sagte er im ZDF. Die Krise habe "die Autowerke in Europa ihre Jobs gekostet". Zwar haben andere Autokonzerne wie VW trotz Krise Rekordgewinne eingefahren, aber sie konnten auch Wachstumsmärkte wie China nutzen.

Für Opel dagegen hatte GMs ungewöhnliche Strategie, Regionalmärkte im eigenen Konzern aufzuteilen, dramatische Auswirkungen. So durfte Opel nicht außerhalb Europas verkaufen - einem mittlerweile relativ uninteressanten Markt. Dafür ließ GM die Billig-Tochter Chevrolet auf Europa los - die eigenen Marken stehen in Konkurrenz zueinander, meist auf Kosten des Opel-Absatzes. Eben damit, dass dieser westeuropäische Markt extrem geschrumpft sei und die Branche Überkapazitäten aufgebaut habe, begründet Opel-Chef Sedran die jetzige Werkschließung. Dass Opel nicht global aufgestellt wurde, sei ein schwerer Fehler der Mutter GM gewesen, sagt Autoexperte Dudenhöffer. Auch andere Fehler hat das Management gemacht: "General Motors hätte das Opel-Werk im englischen Ellesmere Port kurzfristig schließen und so Überkapazitäten abbauen sollen", sagte er den Ruhr Nachrichten. Das hätte GM einige Hundert Millionen Euro gespart und den modernen Standort Bochum womöglich gerettet.

40.000 Jobs könnten betroffen sein

Warum steht Ford besser da als Opel?

All die Management-Probleme, die Opel über Jahre geschwächt und ausgehöhlt haben, hatte Ford nie: Von Anfang an war klar, dass die amerikanische Konzernmutter das Sagen hat. Opel hingegen versuchte sich ständig gegen General Motors zu emanzipieren und trug seinen Streit mit dem Management auch noch breit in der Öffentlichkeit aus. Ford hat auch kein größeres Imageproblem. Bei Opel kratzten Fragen nach der Qualität der Autos am Ansehen: Unter jungen Leuten gilt Opel bis heute als uninteressant. Da konnten auch Werbespots mit Grand-Prix-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut nicht mehr helfen. Neuerdings soll Dortmund-Trainer Jürgen Klopp das Image verbessern - zu spät für die Arbeiter in Bochum. Bei Ford blieben Imageprobleme aus. Zudem hat es der Konzern im Gegensatz zu General Motors in den USA geschafft, die Automobilkrise ohne staatliche Hilfen zu überstehen. Fords Deutschland-Chef Bernhard Mattes lobt am eigenen Unternehmen die vorausschauende Planung: Ford habe früh auf kleine und verbrauchsarme Fahrzeuge gesetzt und sich rechtzeitig Kredite beschafft. Heute steht das Unternehmen daher besser da als Opel. Der Hersteller beschäftigt allein in Köln mehr als 17.300 Mitarbeiter. Opel wird in Bochum 3300 entlassen.

Was bedeutet die Werkschließung für Bochum?

Das Aus für das Opel-Werk ist hart für die Stadt. Denn der Autohersteller ist nicht der Erste, der seinen Standort dort schließt und damit Tausende Arbeiter auf die Straße setzt: Vor vier Jahren beendete der finnische Handyhersteller Nokia sein Engagement, 2200 Menschen waren plötzlich ohne Job. Wie Nokia stand auch Opel einst für gelungenen Strukturwandel - für den Übergang einer Region von der Kohle zur Industrieproduktion. Doch 2016 wird Opel seinen letzten Zafira über das Produktionsband laufen lassen, bis dahin sollen mehr als 3300 Jobs wegbrechen. Einer der größten Arbeitgeber Bochums kommt mittlerweile aus einer ganz anderen Branche als der Industrie: Die Hochschulen beschäftigen in Verwaltung und Forschung mehr als 6000 Mitarbeiter. Vielleicht liegt hier die Zukunft Bochums. "Der Standort Bochum muss es endlich schaffen, auch ohne Opel auszukommen", fordert Branchenexperte Dudenhöffer. Nun ist die Stadt dazu gezwungen.

Wie viele Menschen sind noch betroffen?

Nicht nur die Opel-Mitarbeiter müssen um ihre Arbeitsplätze bangen, sondern auch viele der etwa 100 Zulieferer im Ruhrgebiet. Das US-Unternehmen Johnson Controls stellt in Bochum zum Beispiel Fahrzeugsitze her und liefert diese "just in time" direkt an die Produktionsbänder von Opel. Durch die Stilllegung des Werks sollen laut Gewerkschaft in der gesamten Region bis zu 40.000 Jobs betroffen sein - vom großen Zulieferer bis zur Imbissbude. Die Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet rechnet mit deutlich weniger, nämlich 10.000, betroffenen Arbeitsplätzen. Eine Sprecherin sagt: "Wir gehen davon aus, dass insgesamt 4500 Arbeitsplätze bei Opel wegfallen und der Erfahrungswert zeigt, dass diese Zahl mal drei oder mal vier genommen werden muss, um einen ungefähren Richtwert zu erhalten."

Wie geht es nun mit Opel weiter?

Der zwischenzeitlich schon beschlossene Verkauf an Magna, die bewusste Konkurrenz durch Chevrolet, die Blockade der Auslandsmärkte - und nun das Aus in Bochum: Es fällt schwer, zu glauben, dass GM tatsächlich ein langfristiges Interesse an Opel jenseits des technischen Wissens hat, das in der Firma gespeichert ist. Die Gewerkschaft IG Metall will nun immerhin für die anderen deutschen Werke des Autobauers das Schlimmste verhindern. Sie fordert dort Beschäftigungsgarantien. Es gebe "keine klare Ansage, was mit den Werken in Eisenach, Kaiserslautern und Rüsselsheim geschieht". Ein Sprecher sagt: "Es geht um ein Zukunftskonzept für alle Standorte und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen." Doch dieses Zukunftskonzept lässt auf sich warten. Die Tarifkommission der Gewerkschaft wird dem Sprecher zufolge an diesem Mittwoch die seit Monaten laufenden Verhandlungen mit dem Opel-Vorstand weiterführen. Offen bleibt, ob die Gewerkschaft dem Unternehmen weiter die bereits ausgehandelte branchenweite Lohnerhöhung von 4,3 Prozent stunden wird. Vom Management sind vorerst keine Visionen zu erwarten. Als Unternehmenschef Sedran den Beschäftigten am Montag das Ende verkündete, hatten viele von ihnen noch Fragen. Sedran verschwand durch die Hintertür aus der Versammlung, ohne sie zu beantworten.

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