Werbung: Haiti-Effekt:Die Apokalypse des deutschen Handwerks

Erst zerbröselt nur ein Brötchen, am Ende Berlin: Das Handwerk wollte sich per Film ein besseres Image verpassen. Dumm nur, dass in Haiti die Erde bebte.

Melanie Ahlemeier

Die Katastrophe beginnt im Detail. Aus der Zeitung fallen die Buchstaben heraus und von der Wand die Tapeten herunter, der Ehering zerspringt. Die Brille zerbricht auf der Nase, die Ampel explodiert im Hintergrund - und nur wenige Film-Augenblicke später stürzen erste einzelne Häuser, dann ganze Straßenzüge ein.

Screenshot: Youtube

Trümmerstadt Berlin: Im Film löst sich einfach alles auf - weil ohne Handwerk nichts läuft.

(Foto: Screenshot: Youtube)

In Berlin geht in einem Werbespot die Welt unter. Am Ende stehen die Menschen desorientiert, nackt und mit Zottelmähne herum, die Füße stecken im Sand. Rundherum: Ödnis pur. Die Botschaft dieses Films ist klar: So sähe die Welt aus, wenn es das deutsche Handwerk nicht gäbe. Kosten des Films: rund eine Million Euro.

Vermutlich sollte es der ganz große Coup werden. Ein mit starken Bildern ausgestatteter Zwei-Minuten-Film, dazu der eingängige Gesang eines Chores mit leicht zu merkenden Liedzeilen (Alles was /von Hand gemacht/ das geht grad' vorbei), ein netter Spruch als Abbinder ("Was wäre das Leben ohne das Handwerk?"), und schon erhält das bis dato - nun ja - ein wenig miefig daherkommende Handwerk ein flotteres Image.

Massive Proteste der Zuschauer

Bewusstseinsveränderung im weitesten Sinne - das hatte sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) vorgenommen. Dumm nur, dass der Werbefilm wenige Tage nach dem Erdbeben auf Haiti erstmals über die Bildschirme der Republik flimmerte und sich Zuschauer, die eben gerade noch die Fernsehnachrichten gesehen hatten, bei den einstürzenden Neubauten im Film an die Ruinen von Haiti erinnert fühlten. Inzwischen hat der Handwerker-Verband das eigene Apokalypse-Werk gestoppt - die Proteste der Fernehsehzuschauer waren zu groß.

"Wir haben daher bis auf weiteres die Ausstrahlung des Spots ausgesetzt", erklärt ZDH-Präsident Otto Kentzler auf der Internetseite des Verbandes.

Auf die Krux mit dem Timing geht Kentzler nicht ein, stattdessen betont er das Engagement des Handwerks nach Naturkatastrophen, erinnert an Hilfsaktionen zur Elbe-Flut und dem Tsunami vor gut fünf Jahren in Südostasien. Ach ja, und dass die auf insgesamt fünf Jahre angelegte bundesweite Kampagne ("Das Handwerk. Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan.") natürlich weitergehe.

"Die weiteren Maßnahmen der Imagekampagne werden wie vorgesehen eingesetzt", schreibt Kentzler. Ein "Sorry" für den unglücklich gewählten Filmtermin unmittelbar zum Kampagnenstart? Ein Versuch der Erklärung, man habe den Film versucht zu stoppen, es kurzfristig aber nicht mehr geschafft? Fehlanzeige.

Bei Experten findet das zweifelsohne ansprechend produzierte Filmchen Anerkennung. "Der Spot ist ohne Frage extrem aufmerksamkeitsstark und beeindruckend gemacht. Und er hat eine klare Botschaft: Ohne Handwerk geht nichts in diesem Land. Schade dass es gerade die kraftvollen Bilder sind, die jetzt diese Assoziationen auslösen", sagt Britta Poetzsch, Vorstand des Art Directors Club für Deutschland und Chief Creative Officer der Agentur McCann Erickson Deutschland.

Doch manchmal beginnt eine Katastrophe nur mit einem Detail - und sei es, dass man beim eigenen Anliegen das Geschehen auf der Welt einfach aus den Augen verliert.

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