Werbung:Netflix will die analoge Reklametafel wiederbeleben

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Sie gehören irgendwie zur amerikanischen Popkultur: Werbeschild für ein Frühstücksrestaurant in New Mexico . (Foto: Jörg Buschmann)
  • Netflix will mehr als 300 Millionen Dollar in eine Firma investieren, der Reklamewände an prominenten Orten gehören.
  • Die Werbeform gilt eigentlich als überholt - für Netflix dürfte sie sich allerdings lohnen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Manchmal imitiert das Leben tatsächlich die Kunst. Im Film "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" sorgt eine Mutter für große Aufregung, weil sie auf drei Reklametafeln außerhalb einer amerikanischen Kleinstadt im Nirgendwo darauf hinweist, dass die Polizei den Mörder ihrer Tochter noch immer nicht gefunden hat. Dabei galten die übergroßen Plakatwände doch schon lange als ziemlich out. Sie haben die Werbepräzision einer Schrotflinte - im Vergleich zu personalisierten Kaufaufforderungen im Internet, unaufgefordert beginnenden Werbefilmchen auf dem Handy und kaum von Inhalten zu unterscheidenden Anzeigen zwischen Einträgen auf sozialen Netzwerken.

Doch jetzt will ausgerechnet das Streamingportal Netflix, das die traditionelle Fernsehbranche revolutioniert hat und sich selbst als "Wegbereiter für digitale Inhalte" bezeichnet, in diesen Markt. Netflix bietet offenbar mehr als 300 Millionen Dollar für die Werbeagentur Regency Outdoor Advertising, der mehrere Old-School-Reklametafeln in den Filetstücken von Los Angeles wie zum Beispiel neben dem Sunset Strip oder in der Nähe des Flughafens LAX gehören. Und es gibt sogar mindestens einen weiteren Bieter. Deutet sich eine Renaissance der Reklametafeln an, die zur amerikanischen Popkultur gehören wie Hamburger und Superhelden-Filme?

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Netflix möchte in diesem Jahr zwei Milliarden Dollar in die Vermarktung seiner Inhalte investieren. Das ist viel Geld. Angesichts der Werbebudgets für Hamburger (die Fast-Food-Kette McDonald's gibt geschätzte zwei Milliarden Dollar pro Jahr aus) und Superhelden-Filme (das Marketingbudget von "Avengers: Infinity War" soll bei 140 Millionen Dollar gelegen haben) aber gar nicht mal so unfasslich viel. Das Streamingportal muss permanent Abonnenten anlocken, um die steigenden Kosten für Inhalte, die in diesem Jahr bei acht Milliarden Dollar liegen sollen, auch irgendwann mal wieder zu refinanzieren.

Es gibt mehrere Gründe, warum der digitale Revoluzzer Netflix ausgerechnet in die traditionelle Branche der Reklametafeln investieren will. Das Unternehmen rühmt sich zwar damit, viel über die Vorlieben seiner Kunden zu wissen, allerdings: Den typischen Netflix-Nutzer gibt es nicht, und den soll es auch gar nicht geben. Das Unternehmen ist nicht auf eine bestimmte Zielgruppe angewiesen, es kann ihm ziemlich egal sein, wer genau die monatliche Gebühr entrichtet - solange es nur insgesamt genug sind. Netflix möchte mit den Reklametafeln womöglich genau die Leute zu Kunden machen, die von der digitalen Kulturrevolution noch nichts oder nur wenig gehört haben.

Die Schrotflinten-Strategie könnte sich dabei als ebenso effektiv für Netflix erweisen, wie sie es gerade für die kalifornische Marihuana-Industrie tut, die sich auch nicht darum schert, wer die Produkte kauft. Seit der Legalisierung als Genussmittel im Bundesstaat an der Pazifikküste sind Cannabis-Shops neben Modelabels und der Unterhaltungsbranche die größten Reklametafel-Werbetreibenden in Los Angeles.

"Die Tafeln kann man nicht ausschalten oder wegwerfen, man kann nicht wegschauen oder umschalten", sagt Brian Alexander von der Werbeagentur Billboard Connection über den zweiten Grund für die Renaissance der Reklametafeln. Es ist zwar erstaunlich und auch ziemlich gruselig, wie präzise die personalisierte Werbung mittlerweile ist. Aufgrund der Datenskandale um Facebook sind einigen Studien zufolge nun viele Leute skeptisch, auf diese Anzeigen zu reagieren. Wer allerdings im Stau von Los Angeles steht oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, der hat oftmals nichts anderes zu tun, als aus dem Fester zu starren: "Die Dinger sind immer da, und die Leute können ihnen nicht aus dem Weg gehen."

Der Krieg zwischen Netflix und den Hollywood-Studios wird nun auch auf Reklametafeln ausgetragen

Der dritte und bedeutsamste Grund allerdings: Reklametafeln verbinden auf eine wundersame und wunderbare Weise das Analoge mit dem Digitalen. Im vergangenen Jahr etwa waren überdimensionale Tafeln zu sehen, auf denen stand: "Netflix is a joke" - Netflix ist ein Witz. Ein übler Streich oder die Attacke eines Konkurrenten? Mitnichten, es war Selbstwerbung für ein Netflix-Special mit Komikern wie Dave Chappelle, Chris Rock und Jerry Seinfeld. Die Fotos von den Reklametafeln verbreiteten sich rasend und millionenfach im Internet, ebenso wie die Werbung für die Serie "Stranger Things", bei der es so aussieht, als würden die vier Kinder mit ihren Fahrrädern auf den Reklametafeln stehen. Man muss gar nicht im Internet suchen, um festzustellen, welch kreative Reklametafeln es gibt. Man bekommt das über soziale Netzwerke beinahe täglich mitgeteilt.

Netflix scheint eine langfristige Werbestrategie entwickelt zu haben, und da kann es sich tatsächlich lohnen, die Reklametafeln nicht nur als solche zu sehen, sondern als Investition in mehrere Immobilien in Bestlage. Es heißt, dass der Technikkonzern Apple etwa 60 000 Dollar pro Monat für die Fläche neben dem legendären Hotel Chateau Marmont bezahlt - und das auch nur aufgrund eines Langzeitrabatts. "Eine Fläche in Bestlage kostet gerne mal mehr als 100 000 Dollar pro Monat", sagt Alexander. Eine geplante Reklametafel über dem Rainbow Bar and Grill auf dem Sunset Boulevard soll mehr als 2,4 Millionen Dollar im Jahr umsetzen. Im Grunde tut Netflix nichts anderes als Leute, die angesichts ständig steigender Mieten prüfen, ob sie nicht doch ein Haus oder eine Wohnung kaufen können.

Wer derzeit den Sunset Strip in Los Angeles hinunterfährt, der sieht zuerst ein riesiges Plakat mit Superhelden darauf, Reklame für "Avengers: Infinity War". Dahinter: Netflix. Dahinter: "Avengers: Infinity War". Dahinter: Netflix. Es gibt einen kalten Krieg zwischen dem Streamingportal und den Hollywood-Studios, der nun auch auf Reklametafeln ausgetragen wird. Meistens, da imitiert dann doch die Kunst das Leben.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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