Weltwirtschaftsforum in Davos:Nach Indien oder China?

Harvard-Dozent Ketels ist Experte für Wettbewerbsfähigkeit und rät deutschen Unternehmen zunächst einmal zu Selbsterkenntnis.

Adrienn Sümeg

sueddeutsche.de: Professor Ketels, ein Thema in Davos ist das rasante Wirtschaftswachstum in Schwellenländern wie Indien und China. Auch deutsche Unternehmen spüren den Druck, sich dort etablieren zu müssen. Wie sollen sie vorgehen?

Weltwirtschaftsforum in Davos: Nach Indien oder China? In erster Linie eine Frage der eigenen Stärken, sagt der deutsche Harvard-Dozent Ketels.

Nach Indien oder China? In erster Linie eine Frage der eigenen Stärken, sagt der deutsche Harvard-Dozent Ketels.

(Foto: Foto: Harvard Business School)

Christian Ketels: Deutsche Unternehmen stehen vor der Herausforderung: Welche Standorte wollen sie weltweit strategisch nutzen? Zunächst müssen sie sich selbst kritisch beleuchten, um ihre eigenen Stärken herauszufinden, die sie gegenüber Konkurrenten aus anderen Ländern in den Augen der Kunden einzigartig machen. Dann haben sie eine gute Chance, weiterhin in diesen Märkten erfolgreich zu konkurrieren.

sueddeutsche.de: Welches Land bietet ein besseres Umfeld für westliche Unternehmen: China oder Indien?

Ketels: Beide Länder bieten enormes Marktpotenzial, aber die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind unterschiedlich. Man muss sich die konkreten Bedingungen ansehen und nicht der allgemeinen Stimmung folgen.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie genau?

Ketels: In China hat es viel Euphorie gegeben. Unternehmen dachten, sie müssen sich unbedingt da etablieren. Im vergangenen Jahr hat sich der Hype um China als Wirtschaftsstandort normalisiert.

Westliche Manager haben gelernt, wie die Realität dort aussieht. Es gibt Potenziale, aber es gibt auch viele Hindernisse, beispielsweise bürokratischer Natur. Die chinesische Volkswirtschaft wird jetzt realistischer gesehen, und das ist für Unternehmen von Vorteil.

sueddeutsche.de: Was ist wichtiger, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu beurteilen: Wie die politischen Rahmenbedingungen dort aussehen oder wie leistungsstark Branchen sind?

Ketels: Wirtschaftswachstum und Marktwachstum sind natürlich wichtig für ein Unternehmen. Doch die haben keinen direkten Einfluss auf die Produktivität. Die kommt aus der eigenen Stärke und im guten Zusammenspiel mit anderen Unternehmen einer Branche oder in einer Region.

sueddeutsche.de: Indische Firmen sind leistungsfähiger als chinesische. Ist damit auch das ganze Land wettbewerbsfähiger?

Nach Indien oder China?

Ketels: Indien liegt in der Tat mit seinen Unternehmen und interessanterweise auch in einigen wissensorientierten Teilen des Wirtschaftsumfelds vorne. China hingegen punktet ganz eindeutig bei Infrastruktur und Produktionseffizienz.

sueddeutsche.de: Indien wird häufig als künftiges Technologiezentrum der Welt und China als verlängerte Werkbank bezeichnet. Stimmt das?

Ketels: In beiden Ländern ist - neben dem Marktpotenzial - entscheidend, dass Löhne unter dem Produktivitätsniveau liegen, welches Unternehmen im gegebenen Wirtschaftsumfeld erzielen können. In China ist dieses Umfeld besonders für Industrieunternehmen attraktiv, in Indien eher für Dienstleister. Doch in beiden Bereichen geht es wohl auch künftig um Aktivitäten mit geringerer Wertschöpfung als in Deutschland.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das für deutsche Unternehmen?

Ketels: Die chinesische Volkswirtschaft wächst stark. Man muss davon ausgehen, dass die Löhne, vor allem in Wachstumsbranchen, ebenfalls stark anziehen werden - und so die Differenz zwischen Lohn und Produktivität kleiner wird. Entscheidend ist, in solche Bereichen in China aktiv zu werden, die auch bei höheren Löhnen attraktiv bleiben.

Dafür ist der Markt riesig. Aber Marktgröße allein heißt nicht Profitabilität. Also: man muss vorher genau wissen, welche chinesischen Stärken man zur Ergänzung der eigenen braucht.

sueddeutsche.de: Was raten Sie deutschen Unternehmen, die auf die Märkte Indien und China streben?

Ketels: In der globalen Ökonomie ist es sehr wichtig zu erkennen: Was macht uns als deutsches Unternehmen besonders? Das sind Faktoren wie Bildung und Qualifikation, die eine Folge des Standorts Deutschland sind - und die uns attraktiver machen als ein Unternehmen aus Skandinavien, den USA oder Japan.

Mein Ratschlag: Auf die eigenen Stärken konzentrieren, bevor man nach China oder Indien geht. Und sich im Anschluss die Frage beantworten: Wie optimiere ich meine Standorte? Das ist die Aufgabe, vor der Manager in einem globalen Markt stehen.

Dr. Christian Ketels ist Mitglied an Professor Michael Porters Institute for Strategy and Competitiveness an der Harvard Business School. Porter zählt zu den führenden Köpfen der strategischen Managementlehre. Seit dem Jahr 2000 arbeitet Ketels eng mit Porter zusammen und konzentriert sich auf Fragen der Wettbewerbsfähigkeit. Er ist beteiligt an der Erstellung des Global Competitiveness Report des World Economic Forum, einem Ranking der Wettbewerbsfähigkeit von Nationen.

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