Weltwirtschaftsforum in Davos:Das halbvolle Glas Wasser

So verheerend die Finanzkrise war, so eindrucksvoll hat sich die Weltkonjunktur davon erholt. Doch beim Weltwirtschaftsforum in Davos erinnert Krisenprophet Nouriel Roubini an die nach wie vor ernste Lage.

C. Busse und H.-J. Jakobs, Davos

Wenn Peter Sands über Bank-Reformen nach der Finanzkrise spricht, kommt ihm die Luftfahrt in den Sinn. "Es kann doch nicht nur darum gehen, die Sitzgurte fester zu schnallen, wenn das ganze Verkehrssystem nicht stimmt", sagt der Chef von Standard Chartered, der fünftgrößten Bank der Welt.

Nouriel Roubini

Nouriel Roubini in Davos. Der New Yorker Ökonom vergleicht die Lage der Weltwirtschaft mit dem Wasserglas, das vor ihm steht.

(Foto: AP)

Jetzt seien zwar die Flugzeuge, also die Banken, besser - doch den Markt sieht der mächtige Banker aus London noch nicht in der Balance.

Das ist ein weit verbreitetes Grundgefühl unter den Topmanagern in Davos: Die Folgen des Crashs vom September 2008 wurden einigermaßen bewältigt, aber das Gespenst ist noch nicht endgültig gebannt. Zudem kommen andere Gefahren für die Weltwirtschaft auf, die den derzeitigen Aufschwung empfindlich stören könnten - politische Unruhen und vor allem die Inflation.

Positive Impulse, aber auch viele negative Effekte

Krisenprophet Nouriel Roubini vergleicht die Lage mit dem Glas Wasser, das vor ihm steht an diesem Mittwochmorgen im Kongresszentrum von Davos. Das sei auch entweder halbvoll oder halbleer, sagt der Wirtschaftsprofessor aus New York. Und so gebe es für die Weltkonjunktur derzeit eine ganze Reihe von positiven Impulsen, aber auch viele negative Effekte.

Die Weltwirtschaft sei einerseits viel schneller und viel stärker zurück als erwartet, lobt Roubini. Die Stimmung sei wieder viel besser, das Bewusstsein für Risiken wieder da, was gut sei.

Aber da sind eben auch die Risiken. Roubini, der die Finanzkrise 2007/2008 als einer der wenigen voraussah, verweist auf viele Punkte. Die Schulden der privaten und der öffentlichen Haushalte seien weltweit beängstigend hoch, die Rohstoffpreise ziehen an. Und da sei das Problem des Euro: "Spanien ist zu groß, um zu scheitern, aber auch zu groß, um wirklich gerettet zu werden."

"Bemerkenswertes" Comeback Deutschlands

Politische und soziale Instabilitäten gefährdeten die Wirtschaft, erläutert er und nennt als jüngste Beispiele Tunesien und Ägypten. Und nach wie vor gebe es auch in den USA mehr Probleme als Chancen.

"Wir sind sehr überrascht, wo wir jetzt sind", findet Martin Sorell. Der Chef des britischen Werbekonzerns WPP sagt, die wirtschaftliche Erholung hätte noch vor wenigen Monaten kaum einer für möglich gehalten. Besonders das Comeback von Deutschland sei "bemerkenswert". Und trotzdem seien gerade die großen Konzerne noch sehr vorsichtig. Der Ölkonzern BP oder die Investmentbank Goldman Sachs seien abschreckende Beispiele dafür, dass die Geschäfte trotz des Aufschwungs noch immer nicht laufen, dass die Probleme noch immer nicht beherrschbar seien.

Dass das Geschäft bei Goldman Sachs nicht laufen soll, weist Gary Cohn entrüstet zurück. Er sollte es wissen, er leitet als Präsident das operative Geschäft der New Yorker Investmentbank: Im vierten Quartal 2010 hätten sich lediglich viele Kunden mit riskanten Operationen zurückgehalten, um eine saubere Jahresbilanz zu haben. Das habe sich etwas auf das Ergebnis von Goldman Sachs ausgewirkt.

Gefahr eines unkontrollierten "Schattenbanksystems"

Für den Bank-Chef gibt es inzwischen weniger Risiken und mehr Kapital im Bankensystem - aber die Gefahr sei, dass nur bestimmte Institute reguliert würden und sich ein unkontrolliertes "Schattenbankensystem" breit mache. Am Ende müsste der Steuerzahler womöglich Institute in diesem Sektor retten, womit wohl Hedgefonds gemeint sind. "Risiko ist Risiko", sagt Cohn.

Das wohl größte Risiko ist derzeit die Inflation. Sie sei unvermeidbar, offenbart der britische Bank-Chef Sands, es komme nur darauf an, die Preissteigerung in erträglichen Bandbreiten zu halten. Die Inflationsgefahr sei größer, als die offiziellen Statistiken suggerierten. Eine wichtige Rolle spielten dabei die steigenden Preise für Rohstoffe.

Auch Liu Mingkang erklärt, die Inflation sorge ihn: Er hat als Chef der chinesischen Banken-Regulierer eine wichtige Funktion - und beschreibt, wie sein Land derzeit das Tempo drosselt, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden. "Ein zweistelliges Wachstum ist nicht mehr die Norm. Da haben wir einfach 'Good-bye' gesagt."

Was die weltweiten Rettungsmaßnahmen der Staaten nach der Finanzkrise angehe, sei es noch zu früh, um über sie zu urteilen, findet der Chef-Bankenregulierer von Peking: "Wir haben nur eine bessere Landkarte, um Risiken zu erkennen."

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