Weltwirtschaft:Tödliches Spiel im Depressionsgetöse

Inmitten der Katastrophenmeldungen zur Konjunktur breitet sich ein viel gefährlicheres Gift aus: Protektionismus.

Alexander Hagelüken

Langsam stumpfen die Deutschen ab. Mit ermüdender Regelmäßigkeit hören sie, die Wirtschaft schrumpfe wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Für die Beschreibung der Krise wird auch gern der Vergleich mit 1929 genommen. "So dramatisch wie zuletzt vor acht Jahrzehnten" klingt eben noch monströser als der Bezug zum Krieg. Angesichts all dieser Negativrekorde wäre das Publikum vermutlich kaum mehr erstaunt, wenn nun ein Chefvolkswirt die schlimmste Rezession seit der Schlacht auf dem Amselfeld oder dem Bau der Pyramiden ausrufen würde.

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Händler an der New Yorker Rohstoffbörse: Freier Handel, die Basis des Wohlstands

(Foto: Foto: Reuters)

Im konstanten Depressionsgetöse gehen leicht die Momente unter, in denen es hinzuschauen gilt, um die Erschütterung unseres Alltags zu ermessen. Jetzt ist so ein Moment. Weil gemeldet wird, dass die Deutschen im April im Vergleich zum Vorjahr 30 Prozent weniger Waren exportiert haben. 30 Prozent. Das lässt ahnen, dass die skeptischen Wachstumsprognosen der Bundesregierung womöglich nicht skeptisch genug sind. Wenn der Export im ganzen Jahr so stark schwindet, fehlt 2009 ein Achtel der gesamten Wirtschaftsleistung. Anders ausgedrückt: Der Jahresumsatz der drei größten Industriekonzerne VW, Daimler und Siemens, die eine Million Menschen beschäftigen, wäre einfach weg.

So arg wird es wohl nicht kommen. Manche konjunkturelle Frühindikatoren weisen ja schon seit Wochen nach oben. Doch die Exportzahlen für April sind ein Rückschlag. Nach dem überraschenden Plus im März hatten Fachleute wenigstens eine stabile Null erwartet. Stattdessen lieferte die Bundesrepublik fünf Prozent weniger Waren als im März.

Mit Ausnahme Japans ist keine große Industrienation für Exportschocks so anfällig wie Deutschland. Sobald zeitgewinnende Programme wie Kurzarbeit auslaufen und sich die Rezession manifestiert, werden Hunderttausende Arbeitsplätze verschwinden - wahrscheinlich viel mehr als bei den Nachbarn.

Am Rand eines Handelskriegs

Wie kann sich das Land dagegen schützen, bei jedem Infekt der Weltwirtschaft eine Lungenentzündung zu erleiden? Eine Antwort darauf ist, dass Deutschland unabhängiger vom Handel werden sollte, egal was der ökonomische Mainstream predigt. Das heißt nicht, den Export zu schwächen. Aber es heißt, nach Wegen zu suchen, um die Nachfrage dauerhaft anzuregen. Die Sparquote ist - im Schnitt, nicht bei Geringverdienern - höher als notwendig. Wenn die Deutschen bei gleichen Exporten mehr konsumieren, wird die Volkswirtschaft stabiler.

Kurzfristig sind die Politiker anders gefordert. Sie müssen dafür sorgen, dass der globale Warenaustausch nicht noch stärker schrumpft. Diese Gefahr besteht, weil sich das Gift des Protektionismus langsam in den Venen der Weltwirtschaft ausbreitet. Groß war im Frühjahr die internationale Aufregung, als die amerikanische Regierung bei ihrem 800 Milliarden Dollar schweren Konjunkturpaket US-Firmen bevorzugen wollte. Präsident Obama gelobte, Protektionismus zu verhindern. Nun erweist sich: Seine Versprechen waren hohl. Länder und Kommunen sperren ausländische Firmen aus, auch deutsche. Schon kündigen betroffene Staaten wie Kanada Vergeltung an. Wie immer in solchen Fällen droht ein globaler Handelskrieg, der in Deutschland noch mehr Arbeitsplätze vernichtet, als sowieso zu befürchten ist.

Protektionismus droht

Dabei sollte alles ganz anders laufen: Beim Weltfinanzgipfel Anfang April schworen die Lenker der 20 größten Industrienationen, den Protektionismus zu stoppen. Sie starteten Milliardenkredite, um Exporte zu fördern, die Ausblicke der Fachleute klangen bald positiver. Vorbei, vergessen. Die Welthandelsorganisation registriert seit dem Schwur von London eine neue Welle protektionistischer Maßnahmen.

In der Krise spielen Politiker die Tatkräftigen, indem sie heimische Firmen vor Konkurrenz schützen. In Wahrheit spielen sie aber mit der Basis unseres Wohlstands, dem freien Handel. Ja, es kann alles noch schlimmer kommen, als sich mancher von Katastrophennachrichten Ermüdete heute denkt.

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