Ölpreis-Verfall:Warum billiges Öl politischer Sprengstoff ist

GAS PRICES CONTINUE TO SOAR AHEAD OF SUMMER DRIVING SEASON

Für den Verbraucher mag billiges Benzin angenehm sein. Für die Umwelt und das globale Klima ist es eine Katastrophe. Auch die politischen Auswirkungen sind schwer zu überblicken.

(Foto: AFP)

Der Verbraucher freut sich über billige Energie und günstiges Benzin. Aber der sinkende Ölpreis hat gefährliche Folgen für Wirtschaft und Politik.

Von Nikolaus Piper

Jeder, der Auto fährt, kann sich freuen. Benzin ist an deutschen Tankstellen so billig wie seit sechs Jahren nicht mehr, Diesel gibt es gelegentlich schon für weniger als einen Euro pro Liter. Der Preis für ein Fass Nordseeöl - das entspricht 159 Litern - ist erstmals seit vielen Jahren unter die Marke von 40 Dollar gefallen. Der Preisverfall, der voriges Jahr begonnen hat, beschleunigt sich noch. Manche Experten reden schon von einem Ölpreis von 20 Dollar.

Für die Verbraucher überall auf der Welt ist das billige Öl sehr angenehm, besonders wenn das Geld bei ihnen knapp ist. Sie müssen weniger für Energie ausgeben, sie können Geld sparen oder andere Dinge erwerben. Das wirkt kurzfristig wie ein großes globales Konjunkturprogramm von vielen Milliarden Dollar. Besonders Europa mit seiner angeschlagenen Wirtschaft kann das brauchen.

Niedrige Ölpreise bergen langfristig hohe Risiken

Was kurzfristig hilft, kostet jedoch langfristig einen hohen Preis. Billiges Öl ist schlecht für die Umwelt, weil automatisch der Anreiz zum Energiesparen oder zum Einsatz von Sonne und Wind geringer wird. Investitionen lohnen sich nicht mehr und unterbleiben, in erneuerbare Energien ebenso wie in die Ölförderung. Damit wird die nächste Ölknappheit programmiert. Aber das ist nur ein Teil des Problems und vermutlich der kleinere.

Der Preisverfall setzt, neben Ölkonzernen, vor allem etliche Förderländer massiv unter Druck. Die meisten Regime in diesen Ländern sind nicht besonders sympathisch und dem Westen gegenüber im Zweifel feindlich gesonnen. Sie werden aber nicht unbedingt sympathischer, wenn sie in Bedrängnis geraten.

Wichtig ist es, die Ursachen des Ölpreisverfalls zu verstehen: Erstens ist das Angebot gestiegen. Verantwortlich dafür sind vor allem die Vereinigten Staaten, die dank unkonventioneller Fördermethoden - dem sogenannten Fracking - innerhalb weniger Jahre zur Öl- und Gas-Supermacht geworden sind. Zweitens ist die Nachfrage gesunken. In vielen Schwellenländern - vor allem in China - entwickelt sich die Wirtschaft enttäuschend. Diese Staaten werden auf Jahre hinaus langsamer wachsen als geplant.

Für Länder wie Venezuela ist die Entwicklung verheerend

Drittens tobt zwischen den Förderländern ein erbitterter Kampf um Macht und Marktanteile. Saudi-Arabien will in der Organisation Erdöl fördernder Staaten (Opec) seinen Einfluss als größtes und reichstes Mitglied auf jeden Fall sichern. Deshalb konnten sich die Opec-Minister Anfang Dezember auch nicht auf eine Drosselung der Produktion einigen. Dass auf diese Weise ihre neue Konkurrenz, die amerikanischen Fracking-Firmen, ebenfalls unter Druck gerät, nehmen die Saudis dabei billigend in Kauf.

Für ärmere Ölförderländer ist das verheerend. In Venezuela haben die niedrigen Ölpreise dem "bolivarischen Sozialismus" des charismatischen Hugo Chávez die Geschäftsgrundlage entzogen. Das Land versinkt in der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Die Wirtschaft wird um zehn Prozent schrumpfen, die Inflation erreicht 159 Prozent. Die Venezolaner haben daraus bei den Parlamentswahlen die Konsequenzen gezogen und der konservativen Opposition einen Erdrutschsieg beschert. Das ist zunächst einmal ein großer Fortschritt für die Demokratie.

Aber was kommt danach? Wahrscheinlich ist mit dem billigen Öl in ganz Lateinamerika die Welle des Linkspopulismus zu Ende. Die große Frage ist, ob die Konservativen in Venezuela, Argentinien und anderswo jetzt besser regieren als in der Vergangenheit. Auf steigende Öleinnahmen dürfen sie nicht hoffen.

Niedrige Ölpreise haben damals den Fall der Sowjetunion beschleunigt

Für den Westen noch viel brisanter ist der Fall Russland. Dessen Wirtschaft ist von Öl- und Gasexporten heute noch genauso abhängig, wie es die alte Sowjetunion war. Entsprechend hart wurde das Land vom Ölpreisverfall getroffen. Das Bruttoinlandsprodukt wird 2015 um vier Prozent schrumpfen. Inzwischen räumen Regierungsvertreter aus Moskau auch ein, dass der Lebensstandard der Russen sinken wird.

Wie Präsident Wladimir Putin auf diese Schwäche reagieren wird, ob er außenpolitisch noch aggressiver auftreten oder den Kompromiss mit dem Westen suchen wird, weiß niemand. Es dürfte ihm aber sehr bewusst sein, dass die Phase niedriger Ölpreise in den Achtzigerjahren den Zusammenbruch der Sowjetunion wesentlich beschleunigt hat.

Schließlich Iran. Nach dem Auslaufen der westlichen Sanktionen will die Regierung in Teheran so schnell wie möglich auf den Weltölmarkt zurückkehren. Sie dürfte dabei wenig Rücksicht auf andere Produzenten nehmen, schon gar nicht auf Saudi-Arabien. Es ist also klug, für den Rest des Jahrzehnts mit niedrigen bis sehr niedrigen Preisen zu rechnen. Und mit allen Risiken, die dazugehören.

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