Weltwirtschaft:Ende des leichten Lebens

Brazil's Growth Pushes Urbanization Rate Towards 90 Percent

Brasiliens Wirtschaft boomte jahrelang. Nun bekommt das Wachsum der BRICK-Staaten einen Dämpfer.

(Foto: Mario Tama/Getty Images)

Jahrelang konnten sich die Industriestaaten auf das starke Wachstum in den Schwellenländern verlassen. Damit ist es mittlerweile vorbei.

Als die Weltwirtschaft abstürzte, gaben ihr die neuen Boomregionen Halt. Während viele Industriestaaten nach der Finanzkrise 2008 lange wankten, zeigten Asien oder Lateinamerika bald erstaunliche Stärke: Die Volkswirtschaften der Schwellenländer wuchsen 2010 schon wieder um durchschnittlich 7,5 Prozent. Ein weiterer Höhepunkt in dem Aufstieg, den Brasilien, China und andere Staaten seit 20 Jahren erleben. Nun aber deutet sich eine grundlegende Wende ab: In den Boomregionen wird der Boom schwächer. Und das könnte Industriestaaten wie der Bundesrepublik zu schaffen machen, die sich an die Konjunkturspritze aus dem fernen Ausland gewöhnt haben.

Der Internationale Währungsfonds IWF rechnet damit, dass die Schwellenländer 2015 nur noch um gut vier Prozent wachsen. Am Montag warnte die Bundesbank, dass diese Abschwächung nicht allein durch die verhaltene Entwicklung von Schwergewichten wie Indien, China oder Russland zu erklären ist: Die Dynamik hat sich in allen Boomregionen merklich verringert. Die mittlere Wachstumsrate aller dieser Länder lag in den vergangenen beiden Jahren nur noch gut halb so hoch wie in den Jahren vor der Finanzkrise. Für Industriestaaten wie Deutschland ist das gefährlich: Die Schwellenländer waren in den vergangenen Jahren für satte 80 Prozent des globalen Wachstums verantwortlich. Deshalb stellen sich zwei Fragen: Woher kommt diese Abschwächung? Und ist sie vielleicht bald wieder zu Ende?

Die Ökonomen der Bundesbank machen Punkt wenig Hoffnung. Sie arbeiten heraus, dass weder Unternehmern noch Organisationen wie der IWF die Flaute in den Schwellenländer voraussahen. Das mag daran liegen, dass sie zunächst vor allem mit kurzfristigen Einflüssen erklärt wurde. Damit, dass zuletzt viele Staaten ihre Geld- und Fiskalpolitik weniger expansiv gestalteten. Oder damit, dass rezessionsgeschüttelte Länder weniger Waren orderten. Vor allem letzterer Grund aber kann kaum stichhaltig sein, meint die Bundesbank. Denn exportabhängige Schwellenländer, die weniger Nachfrage aus den Industrieländern stärker treffen müsste, gehe es nicht schlechter als anderen Staaten. Und die Konjunktur in den Industrieländern verbesserte sich zuletzt, ohne dass die Schwellenländer profitieren würden.

Die Bundesbank sieht einen anderen Grund: Das Wachstum in den einstigen Boomregionen flacht sich grundsätzlich ab, und zwar für eine ganze Weile. Das passt zur Diagnose des IWF, der in den nächsten fünf Jahren in den Schwellenstaaten nur noch fünf Prozent Wachstum im Jahr erwartet - statt sieben Prozent, wie es bislang hieß. Die Gangart bleibt in diesen Regionen in den nächsten Jahren gedämpft, sekundiert die Bundesbank. Und womöglich kommt es noch schlimmer. Industriestaaten wie Deutschland müssen sich bei Exporten auf ein geringeres Tempo einstellen.

Der weitaus größte Teil der Abschwächung lässt sich anhand von China und jener Länder erklären, die wie Brasilien oder Russland besonders von Rohstoffexporten abhängen. In China sieht die Bundesbank vor allem drei Faktoren: Eine Verlangsamung des Strukturwandels, der zuvor deutlich mehr Menschen vom Land in die Städte getrieben hatte, so dass die Arbeitsproduktivität stark zunahm. Zweitens Überinvestitionen etwa in den Häuserbau oder die Stahlbranche. Und ein Auslaufen der Reformen, die zuvor für viel Wachstum sorgten - so sei die Zahl der Beschäftigten in Staatsbetrieben bis Mitte der Nullerjahre um 40 Prozent geschrumpft, verharre aber seitdem auf dem selben Niveau. Bei den Rohstoffexporteuren wie Brasilien oder Russland habe die Preisverdoppelung von 2000 bis 2011 Defizite überdeckt, die sich jetzt zeigen und die Wirtschaft hemmen: Etwa schlechte Infrastruktur und hohe Steuern in Südamerika oder Korruption und politische Unsicherheit in Russland und Zentralasien.

Die Bundesbank sagt voraus, dass sich der Westen womöglich auf mehr als eine gedämpfte Entwicklung in den Schwellenländern einstellen muss: "Unter ungünstigen Umständen könnte sich das Wachstum sogar weiter verringern" - etwa wenn höhere US-Leitzinsen Länder mit außenwirtschaftlichen Defiziten treffen oder die stark angewachsene Verschuldung von Firmen und Staaten Eruptionen auslöst. Die Bundesbank spielt einen China-Schock durch, in dem das Wachstum binnen zwei Jahren um jeweils etwa drei Prozent schwächer ausfällt als vorausgesehen. Deutschland müsse in diesem Fall auf 0,3 Prozentpunkte Wachstum im Jahr verzichten.

Wie können die Schwellenstaaten gegensteuern? Vor allem durch eine Rückkehr zu den Strukturreformen, die vor zwei Dekaden ihren Aufschwung eingeleitet hätten. Also: Mehr marktwirtschaftlicher Umbau in China. Und: In den anderen Ländern eine Diversifizierung weg von Rohstoffen. Allerdings sei die Bereitschaft dazu "eher gering", so die Bundesbank.

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